60 Jahre Volkhoven-Amoklauf: Als der Mann mit dem Flammenwerfer in die Schule kam

Am 11. Juni 1964 kommt es zum Attentat von Volkhoven. Ein Mann betritt einen Schulhof, zündet einen Flammenwerfer, tötet zehn Menschen, verletzt viele schwer. 60 Jahre später liegt das Motiv noch immer im Dunkeln.

Was ein gewöhnlicher Schultag hätte sein sollen, wurde am 11. Juni 1964 im Kölner Stadtteil Volkhoven zu einem Albtraum. Acht Kinder und zwei Lehrerinnen verloren ihr Leben, 20 Schüler erlitten schwerste Verbrennungen. Sie wurden Opfer eines Mannes, der mit einem selbstgebauten Flammenwerfer und einer Lanze in der katholischen Volksschule Amok lief. Der Amokläufer beging Selbstmord. Die Tat gilt als einer der ersten Schulamokläufe der Bundesrepublik, lange vor Erfurt oder Winnenden.

Für Angehörige und Überlebende bleibt der Tag unvergessen. Auch die heutige Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker erinnert sich. Sie war damals sieben Jahre alt. „Trauer und Anteilnahme, aber auch Unverständnis und Zorn waren in der ganzen Stadt zu spüren, und wir Kinder waren angsterfüllt. Das Geschehene bewegt mich noch heute und erscheint mir auch nach so vielen Jahren noch immer unbegreiflich.“Suizid-Disclaimer

Zum 60. Jahrestag des Attentats gedenkt die Stadt Köln der Opfer mit einer Gedenkfeier am Dienstag, gefolgt von einem Trauermarsch. Bereits am Sonntag fand ein Gedenkgottesdienst statt.PAID CRIME 36 1964 Das Feuer

„Die Kinder liefen laut schreiend durch die Gegend“

Der 11. Juni 1964 hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Kölner eingebrannt. Es ist ein frühsommerlicher Morgen. In den Klassen wird gerechnet, Lehrerin Anna Langohr turnt gerade mit ihrer Klasse auf dem Schulhof, als sich ein Mann nähert. Sein Name: Walter Seifert. Er wohnt in der Nähe der Schule, trägt einen blauen Arbeitsanzug, auf dem Rücken eine Gartenspritze. Man hält ihn für einen Handwerker. Wenige Meter vor der Kindergruppe richtet er die Düse auf sie. Eine riesige Stichflamme schießt heraus und trifft die Kinder.  

Seifert, ein 42-jähriger, offenbar psychisch kranker Frührentner und ehemaliger Wehrmachtssoldat, macht mit einem selbstgebauten Flammenwerfer und einer eineinhalb Meter langen Lanze Jagd auf Kinder und Lehrer. Anna Langohr stellt sich schützend vor die Kinder, wird jedoch selbst in Brand gesetzt, als Seifert den Feuerstrahl auf sie richtet.  

Barbara Peter gehörte zur Turngruppe auf dem Schulhof, damals war sie acht Jahre alt. „Die Kinder liefen laut schreiend durch die Gegend“, erinnert sie sich in ihrem Buch „Das Herz der Stadt stand still“. Auch sie erleidet schwere Verbrennungen. Peter läuft nach Hause zu seinem Vater, der sie ins Krankenhaus bringt.Bilder der Weltgeschichte

Lehrerinnen wollen den Amokläufer von Volkhoven aufhalten

Seifert richtet nun seine Tatwaffe auf ein Klassenzimmer, trifft damit viele Kinder. Lehrerin Gertrud Bollenrath kann die Flammen löschen und stellt sich Seifert in den Weg. Dieser ersticht sie kaltblütig mit seinem Speer. Die 62-jährige Bollenrath stirbt wenig später im Krankenhaus.

Ein Polizist schildert damals einem WDR-Reporter, was sich im Klassenraum abgespielt haben muss: „Der Strahl ging durch die offenen Fenster bis an die gegenüberliegende Wand, über die Kinder weg und auf die Tische. Die Bücher sind zum Teil mit verbrannt.“ Flüchtende Kinder seien vom Amokläufer mit dem Feuerstrahl angegriffen worden.

Im Gebäude versuchen derweil zwei Lehrerinnen, die Türen zu versperren. Doch dem Amokläufer gelingt es, eine zu öffnen. Die 24-jährige Ursula Kuhr wird von der Lanze am Oberschenkel verletzt, dann sticht Seifert mehrfach auf sie ein. Sie stirbt noch am Tatort.

Motiv des Täters unklar

Mitarbeiter der Müllabfuhr helfen den Kindern, stoppen Fahrzeuge, um die Kleinen in Kliniken zu bringen. Einige Kinder können gerettet werden, andere erliegen Wochen später ihren Verletzungen. Die Überlebenden müssen teilweise monatelang in den Kliniken bleiben und leiden noch heute unter den Folgen der Verbrennungen.

Seifert, selbst ehemaliger Schüler der Schule, vergiftet sich nach dem Massaker mit einem Pflanzenschutzmittel. Polizisten nehmen die Verfolgung auf, werden aber mit einer Lanze angegriffen. Ein Schuss setzt den 42-Jährigen außer Gefecht, er kann noch kurz befragt werden – doch das Gift tötet ihn.Wenige Tage nach dem Amoklauf legen Eltern und Kinder Blumen am Tatort nieder
© ZUMA/Keystone

Die Ermittlungen ergaben, dass Seifert seine Tat minutiös geplant haben musste. Als Motiv gab er an, dass man ihn habe umbringen wollen. Er habe weder die Lehrerinnen noch die Kinder gekannt. Weitere Erklärungen seien „zu langatmig“. Das Motiv blieb im Dunkeln. Bis heute.

Ärzte hatten bei Seifert zuvor einen „schizophrenen Defektzustand bzw. paranoide Entwicklung“ diagnostiziert. Nach dem Krieg hatte er Schwierigkeiten, beruflich Fuß zu fassen, hatte Ärger mit den Behörden. 1961 starb seine Frau an Komplikationen ihrer Schwangerschaft, auch das Kind überlebte nicht. Seifert erhielt offenbar keine angemessene Hilfe.PAID Klebold-Interview Lesestück_12.52

Gedenken an die zehn Toten auch 60 Jahre später

Die acht ermordeten Kinder wurden auf dem Friedhof von Volkhoven-Weiler in einer gemeinsamen Grabstätte beigesetzt. Acht Grabkreuze erinnern an sie. Noch heute werden Blumen und Kerzen auf die Gräber gelegt.

Ursula Kuhr wurde auf dem Kölner Südfriedhof und Gertrud Bollenrath auf dem Nordfriedhof beigesetzt. Bei der Beisetzung sagte der damalige Oberbürgermeister Theo Burauen: „Das Herz der Stadt stand still.“

Die katholische Volksschule in Volkhoven wurde nach dem Attentat nicht wiedereröffnet, und die Behelfsbaracken, in denen die Klassen untergebracht waren, wurden abgerissen. Eine neue Schule wurde im benachbarten Stadtteil Heimersdorf errichtet. Der Name der Einrichtung: Ursula-Kuhr-Schule.

Quellen: Stadt Köln, Kölnisches Stadtmuseum, Kultur.Landschaft.Digital., Ursula-Kuhr-Schule, „Kölner Stadt Anzeiger“, WDR, „General-Anzeiger“, „Kölner Rundschau“, Domradio, „Der Köln-Lotse“