Ausgerechnet bei jungen Menschen legt die AfD bei der Europawahl am stärksten zu. Die Partei sieht sich schon als neue Stimme der Generation Z. Aber ist sie das wirklich? Drei Thesen zum Rechtsruck unter Jungwählern.
Die Wahlparty in seinem Wahlkreis sei bis zwei Uhr morgens gegangen, sagt der Vorsitzende der „Jungen Alternative“, Hannes Gnauck. Es habe schließlich einiges zu feiern gegeben. Seine Partei, die AfD, erreichte ihr bisher bestes Ergebnis in einer bundesweiten Wahl – auch unter jungen Wählern. „Wir sind unglaublich beliebt bei jungen Leuten“, sagt er. „Die Unkenrufe, die Jugend wähle links oder grün, haben sich als falsch herausgestellt.“
GRAFIK Europawahl Altersgruppen
Bei vergangenen Wahlen galt: Junge Menschen wählten kaum die AfD. Die Europawahl hat diese Gewissheit erschüttert. Bei den Wählern unter 25 Jahren wurde sie laut Infratest-Umfrage mit 16 Prozent zweitstärkste Kraft – nur knapp hinter der Union und fünf Prozentpunkte vor den Grünen. Damit hat sie in dieser Altersgruppe ihr Ergebnis seit der vorherigen Europawahl 2019 verdreifacht. Nirgends hat die AfD sonst solche Zugewinne erzielt. Wieso ist eine in Teilen rechtsextreme Partei in der Generation Z so beliebt? Drei Thesen zum jungen Rechtsruck.
1. Junge Erwachsene fühlen sich nicht gehört
Die Jugend blickt immer pessimistischer in die Zukunft – das zeigt die gerade erschienene TUI-Jugendstudie, für die vor der Europawahl über 1000 junge Erwachsene repräsentativ befragt wurden. 44 Prozent davon glauben, dass es ihnen einmal schlechter gehen werde als ihren Eltern. Nur 25 Prozent erwarten eine Verbesserung, ein Tiefstwert. Das liegt wohl auch daran, dass junge Erwachsene in besonderem Maße von aktuellen wirtschaftlichen Krisen betroffen sind: Die Inflation frisst kleine Einkommen; wer eine Wohnung will, muss oft lange darauf warten; die Rente ist unsicher. Offenbar überwiegt all das die angesichts des Arbeitskräftemangels sehr guten Aussichten auf dem Jobmarkt.
Die Studie zeigt auch: Junge Erwachsene fühlen sich von Politikern nicht gehört. Nur jeder Zehnte glaubt, dass die Politik sich mehr für die Interessen junger als alter Menschen einsetzt. Dieser Eindruck beeinflusse auch das Wahlverhalten, glaubt Demokratieforscher Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin. „Junge Menschen wollen nicht selten unangepasst wählen“, sagt er. Bei der vergangenen Europa- oder Bundestagswahl hätten deshalb viele Junge für die Grünen gestimmt, die aus der Opposition einen konsequenten Klimaschutz forderten.
Von dieser Konsequenz sei nicht viel übriggeblieben, sagt Merkel. „Die Grünen sind in der Regierung alle möglichen Kompromisse eingegangen, bei der Klimapolitik, bei der Rüstungspolitik, bei Waffenlieferungen.“ Plötzlich wirke eine Stimme für die Grünen alles andere als unangepasst. Die Partei holte bei Jungwählern 11 Prozent, 23 Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren. „Nun können die Rechtspopulisten von der AfD die Fundamentalopposition für sich vereinnahmen“, sagt Merkel. „Der Protest gegen die Etablierten, das Provozierende, das ist die Rechte.“
2. Klima ist für die Jungen nicht mehr das wichtigste Thema
Sind die Stimmen für die AfD also reine Protestwahl? Lange war diese These vor allem bei politischen Gegnern der AfD beliebt. Denn sie sagt indirekt aus: Wer AfD wählt, interessiert sich nicht für Inhalte.
Dabei könnte bei der Europawahl genau das Gegenteil eingetreten sein: Jüngere Wähler stimmten für die AfD, gerade weil sie die Partei bei den relevanten Themen für kompetent hielten, glaubt Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. Er hat die TUI-Jugendstudie betreut. „Junge Wähler machen ihre Wahlentscheidung stark davon abhängig, welche Probleme aktuell diskutiert werden und wem sie deren Lösung zutrauen.“ Denn: Junge Menschen seien viel seltener an eine etablierte Partei gebunden als ältere Wähler.
Juni 2019: Demonstration von „Fridays for Future“ in Aachen
© Sascha Schuermann
Bei der Europawahl im Mai 2019 dominierte das Thema Klimaschutz. Zwei Tage vor der Wahl gingen mit „Fridays for Future“ Hunderttausende junge Menschen auf die Straße, mehr als je zuvor. Am Wahltag stimmte jeder dritte Wähler zwischen 18 und 24 Jahren für die Grünen.
Doch diesmal war nicht die Klima-, sondern die Migrationspolitik das wichtigste Politikfeld für junge Wähler. In der TUI-Jugendstudie gab fast jeder Zweite Zuwanderung als wichtigstes Problem der EU an. Davon dürfte die AfD profitiert haben. Auch die Union konnte ihr Ergebnis unter jungen Wählern deutlich verbessern. Sie hatte zuletzt gefordert, Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Antrages in einen Drittstaat zu bringen.
3. Vor allem junge Männer hadern mit der „Wokeness“
Der AfD ist es gelungen, vor allem junge Männer für sich zu gewinnen. Laut einer Schnellanalyse von Infratest Dimap für die ARD holten die Rechtsradikalen unter ihnen 21 Prozent der Stimmen, bei den gleichaltrigen Frauen jedoch nur 11 Prozent. In keiner Altersgruppe waren die Geschlechterunterschiede größer. Es ist ein Phänomen, das nicht nur in Deutschland beobachtet wird: In mehreren westlichen Demokratien driften junge Männer und Frauen politisch auseinander.
Lange haben Wahlforscher den Aufstieg der neuen Rechten vor allem als reaktionäre Gegenbewegung gedeutet. Als Antwort auf einen Wandel hin zu progressiven Werten. Demnach stehen auf der einen Seite vor allem junge Menschen, die diesen Wandel vorantreiben und auf der anderen Seite alte Menschen, die ihn ablehnen.
Doch das Wahlergebnis weist nun in eine andere Richtung: Dass offenbar auch viele junge Männer diesen Wandel ablehnen. Dass die Gleichberechtigung, die Veränderung von Rollenbildern und das Gendern von ihnen als Gefahr wahrgenommen werden. „Solche Bewegungen produzieren in aller Regel Gegenkräfte.“, sagt Merkel. „Aktuell findet ein rascher Kommunikationswandel statt, der vor allem junge Männer verunsichert.“
Eine Verunsicherung, die die AfD im Wahlkampf für sich zu nutzen versuchte: Auf TikTok sprach Spitzenkandidat Maximilian Krah explizit junge Männer an. „Lass dir nicht einreden, dass du lieb, soft, schwach und links zu sein hast. Echte Männer sind rechts.“ Dazu ein Versprechen: „Dann klappt’s auch mit der Freundin.“ Krahs Video wurde 1,5 Millionen Mal angesehen, es ist sein mit Abstand reichweitenstärkstes auf der Plattform.
Kann die AfD ihren Erfolg unter jungen Wählern festigen?
Wenn es nach „Junge Alternative“-Chef Gnauck geht, ist der jüngste Erfolg erst der Anfang. Bei jungen Wählern, sagt er, gehe definitiv noch mehr. „Früher war der Coole der Linke, der sich gegen das System aufgelehnt hat. Heute ist der Coole der rechte Mann, der sich ein normales Leben wünscht. Man könnte fast sagen: Wir sind die neuen Punks.“
Doch es gibt Grund zur Skepsis. Wahlforscher Faas sagt: „Da wächst keine homogene rechte Generation heran.“ Es stimmt ja: Die große Mehrheit junger Menschen hat nicht die AfD gewählt. Und obwohl erste Wahlentscheidungen als prägend gesehen werden, dürften die wenigsten Jungwähler bislang eine nachhaltige Bindung zur AfD aufgebaut haben. Faas sagt aber auch: „Wir haben gelernt, dass es auch bei den jungen Leuten Offenheit für rechts gibt. Und das muss man sehr, sehr ernst nehmen.“