Direkt an den Ministerpräsidenten wenden sich die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim: Sie fordern seit langem ein wertvolles Gemälde aus der Kunstsammlung NRW zurück.
In einem jahrelangen Raubkunst-Streit wenden sich die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim jetzt direkt an Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst. Die Anwälte fordern in einem der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Brief an den CDU-Regierungschef die Rückgabe des 1918/19 entstandenen Gemäldes „Die Nacht“ von Max Beckmann. Das Bild, eines der Hauptwerke Beckmanns, befindet sich in der landeseigenen Kunstsammlung NRW.
„Man könnte dieses Gemälde anstandslos endlich zurückgeben, wenn man denn den politischen Willen dazu aufbrächte“, schreibt Erben-Anwalt Markus Stötzel. Zumindest erwarteten die Erben Flechtheims, dass das Land NRW unverzüglich dem bereits seit dem Frühjahr beantragten Verfahren vor der Beratenden Kommission zustimme. Diese vermittelt seit 2003 bei Streitigkeiten um die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter.
Eine der hochbetagten Flechtheim-Erben, Penny Hulton, war im Sommer im Alter von 96 Jahren gestorben. Der andere Erbe, Michael Hulton, ist 78 Jahre alt.
Kunstsammlung will Schiedsgericht anrufen
Die Kunstsammlung will dagegen das Verfahren an das künftig zuständige Schiedsgericht übergeben, da die Beratende Kommission in absehbarer Zeit ihre Arbeit einstellen werde. Ab 2025 soll dieses Gremium die Kommission ersetzen und die Rückgabeverfahren für nationalsozialistisches Raubgut in Deutschland verbessern.
Das Schiedsgericht eröffne auch die Möglichkeit, das Verfahren öffentlich zu verfolgen, teilte das Museum auf dpa-Anfrage mit. Die Erben-Vertreter seien über alle Schritte informiert.
Externe Provenienzforscher seien mit weiteren Recherchen zu dem Beckmann-Gemälde beauftragt worden, hieß es weiter. „Das Ergebnis dieser umfassenden Recherchen fiel nicht eindeutig aus.“ Im Einvernehmen mit den Erben sei die Beratende Kommission zunächst nicht angerufen worden.
Dem widersprechen die Anwälte der Flechtheim-Seite. Es habe darüber kein Einvernehmen gegeben, betonen sie.
Verfahren „verschleppt und untergraben“
Schon vor fast 15 Jahren sei die Prüfung der Provenienz des Gemäldes angestoßen und ein Restitutionsbegehren an das Land Nordrhein-Westfalen gestellt worden, heißt es in dem Brief an Wüst. Die Anwälte werfen dem Land vor, seither über viele Jahre hinweg die Erkenntnisse der Provenienzforschung zum Fall Flechtheim wie auch zu dem Beckmann-Gemälde ignoriert und ein „Restitutionsverfahren verschleppt und untergraben“ zu haben.
So habe die Flechtheim-Seite bereits im Jahr 2016 den ehemaligen FDP-Bundesminister Gerhart Baum als Vermittler eingeschaltet. 2019 habe die damalige NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen zugesagt, dass das Land die Beratende Kommission anrufen wolle. Dies sei jedoch nie geschehen.
Flechtheim floh vor den Nazis
Alfred Flechtheim war einer der schillerndsten Galeristen der Weimarer Republik. Seine Sammlung mit Werken berühmter Maler von Picasso bis Beckmann musste der jüdische Kunsthändler bei seiner Flucht aus Hitler-Deutschland 1933 zurücklassen. Verarmt starb er 1937 im Londoner Exil.
Gemäß den Washingtoner Prinzipien sollen für NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter gerechte und faire Lösungen gefunden werden. 2013 hatte das Kölner Museum Ludwig ein Kokoschka-Gemälde an die Erben Flechtheims zurückgegeben. Auch von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen fordern die Erben Kunstwerke zurück.