Nach Ampel-Aus: Das ist die Vertrauensfrage und so funktioniert sie im Bundestag

Nach dem Aus der Ampel-Koalition beantragt Olaf Scholz die Vertrauensfrage. Automatische Neuwahlen sieht das Grundgesetz zwar nicht vor, trotzdem gibt es einen Weg dorthin.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat am vergangenen Donnerstag bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) beantragt, dass das Parlament ihm das Vertrauen ausspricht. Darüber soll der Bundestag an diesem Montag abstimmen. Ein Scheitern bei der Vertrauensfrage ist für den Kanzler eine Möglichkeit, selbst eine vorgezogene Bundestagswahl herbeizuführen.

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„Kanzlermehrheit“

Es gilt als sicher, dass Scholz die Abstimmung – wie erwartet – verlieren wird. Auch wenn es einen Unsicherheitsfaktor gibt. Der Bundestag hat 733 Abgeordnete. Um das Vertrauen des Parlaments zu bekommen, müsste Scholz 367 Stimmen erhalten – die absolute Mehrheit bzw. die sogenannte „Kanzlermehrheit“.Umfragen Kanzlerfrage Stimmverteilung Grafiken 18.15

Die SPD-Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten will dem Kanzler das Vertrauen aussprechen. Die Grünen, der noch in der Regierung verbliebene Juniorpartner der SPD, haben sich noch nicht entschieden. Ihre Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann hatte zwar kurz nach dem Ampel-Aus angekündigt, dass die Grünen ebenfalls für Scholz stimmen würden. Inzwischen ist aber auch eine Enthaltung im Gespräch.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP war zuvor nach knapp drei Jahren im Amt gescheitert. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Finanzminister Christian Lindner entlassen und verband dies mit schweren Vorwürfen gegen den FDP-Chef. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, sagte Scholz. Der Kanzler will die Vertrauensfrage stellen und damit vorgezogene Neuwahlen herbeiführen.

Im Gegensatz zu anderen Parlamenten der Welt gibt es für den Deutschen Bundestag praktisch nur diesen einen Weg, sich mitten in der Legislaturperiode aufzulösen: wenn der Kanzler dem Parlament die Vertrauensfrage stellt und bei der Abstimmung darüber keine Mehrheit erhält. Dann, so heißt es im Grundgesetz, „kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers“ den Bundestag auflösen. In der Geschichte der Bundesrepublik haben einige Kanzler und ihre Parteien diesen Weg eingeschlagen, um aus Neuwahlen gestärkt hervorzugehen. Doch nun müssen SPD, Grüne und FDP laut Umfragen bei einer Bundestagswahl herbe Verluste befürchten.

Vertrauensfrage ist der Weg zu Neuwahlen

Auf dem Weg der Vertrauensabstimmung können Kanzler, Bundestag und Bundespräsident also nur gemeinsam Neuwahlen einleiten. Zu Beginn einer Legislaturperiode oder wenn der Kanzlerposten aus anderen Gründen vakant ist, kann der Bundespräsident zudem das Parlament dann auflösen, wenn ein neu zu wählender Kanzlerkandidat dort trotz wiederholter Versuche keine absolute Mehrheit findet.

Neuwahlen Vertrauensfrage 12.37

Eine Selbstauflösung des Bundestags sieht die Verfassung ebenso wenig vor wie eine Auflösung allein durch den Bundeskanzler oder den Bundespräsidenten. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes zogen damit 1949 die Konsequenz aus den instabilen Verhältnissen der Weimarer Republik (1918 bis 1933). Diese und andere Regelungen sollten verhindern, dass häufige Neuwahlen, Regierungswechsel und Blockaden das Land unregierbar machen. Stattdessen sollten das vom Volk gewählte Parlament und die aus ihm hervorgegangene Regierung in die Pflicht genommen werden, sich bis zum Ende der vierjährigen Legislaturperiode zusammenzuraufen. Eigentlich sollte der aktuelle Bundestag regulär am 28. September 2025 neu gewählt werden.

Oder doch nur den Kanzler tauschen?

Einen Regierungswechsel ohne Neuwahl des Parlaments ermöglicht das Grundgesetz durch ein sogenanntes konstruktives Misstrauensvotum: Ein Kanzler und seine Regierung können nur gestürzt werden, wenn der Bundestag mit absoluter Mehrheit einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin wählt. Ohne einen solchen konstruktiven Schritt kann das Parlament der Regierung formal nicht das Misstrauen aussprechen. Der Bundespräsident allein kann den Kanzler nicht auswechseln. Auch dies ist eine Lehre aus den Pattsituationen in der Weimarer Republik, die den Weg in die nationalsozialistische Diktatur Adolf Hitlers geebnet hatten.

Infobox Hauptstadt NL

In der bundesdeutschen Geschichte haben Kanzler insgesamt fünfmal die Vertrauensfrage gestellt, also den „Antrag“, ihnen „das Vertrauen auszusprechen“, wie es in Artikel 68 des Grundgesetzes heißt. Nur in zwei Fällen hatten die Amtsinhaber die Absicht, sich den Rückhalt der Parlamentsmehrheit zu sichern, wie es ursprünglich beabsichtigt war: 1982 ließ sich Helmut Schmidt (SPD) in einer Koalitionskrise das Vertrauen aussprechen – was nicht verhinderte, dass Schmidt noch im selben Jahr durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Bundestags von Helmut Kohl (CDU) abgelöst wurde. 2001 sicherte sich Gerhard Schröder (SPD) die Zustimmung zum umstrittenen Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, indem er diese Abstimmung mit der Vertrauensfrage verknüpfte.

Die Optionen von Olaf Scholz 8.24

In den drei übrigen Fällen nutzten die Kanzler die Vertrauensfrage als Schachzug, um Neuwahlen herbeizuführen: Dass 1972 Willy Brandt (SPD), der 1982 gerade ins Amt gekommene Helmut Kohl (CDU) und 2005 Gerhard Schröder (SPD) Vertrauensabstimmungen verloren, war vorher abgesprochen. Alle drei Politiker handelten in der Hoffnung, durch Neuwahlen ihre Koalition zu stabilisieren. Während Brandt und Kohl dies gelang, scheiterte Schröder: Die SPD verlor die Bundestagswahl und wurde Juniorpartner in einer Großen Koalition von Angela Merkel (CDU). Obwohl die jeweiligen Bundespräsidenten mitspielten, wurden die sogenannten „unechten Vertrauensfragen“ als Missbrauch des Grundgesetzes kritisiert. Sie erhielten aber schließlich den Segen des Bundesverfassungsgerichts.