Nach der kurzzeitigen Ausrufung des Kriegsrechts in Südkorea ist die Opposition im zweiten Anlauf mit einem Antrag auf die Absetzung des Präsidenten Yoon Suk Yeol erfolgreich gewesen. 204 der 300 Abgeordneten im Parlament stimmten am Samstag für eine Amtsenthebung. Yoon erklärte daraufhin, er werde „für eine Weile zur Seite treten“. In der Hauptstadt Seoul feierten nach der Abstimmung hunderttausende Demonstranten bei Minusgraden.
Yoon ist ab sofort von seinem Amt suspendiert. Das Verfassungsgericht hat nun 180 Tage Zeit, um über die Zukunft des Präsidenten zu entscheiden. Das Gericht besteht derzeit nur aus sechs Richtern und muss eine einstimmige Entscheidung treffen. In der Zwischenzeit übernimmt Ministerpräsident Han Duck Soo die Amtsgeschäfte des Präsidenten.
Han wandte sich in einer Ansprache an seine Landsleute und erklärte, er erkenne die „Verantwortung für die derzeitige Situation zutiefst an“. Am wichtigsten sei nun, dass es „nicht die geringste Lücke in der Verwaltung der Staatsangelegenheiten“ gebe, betonte er. Für den späten Abend berief Han den nationalen Sicherheitsrat ein.
Eine Sprecherin der Europäischen Union forderte eine „rasche und ordnungsgemäße Lösung“ der politischen Krise im Einklang mit der südkoreanischen Verfassung.
Für den Erfolg des Antrags auf Amtsenthebung war eine Zweidrittelmehrheit von 200 Stimmen benötigt worden. Diese konnte die Opposition, die lediglich über 192 Sitze im Parlament verfügt, nur mit Hilfe von Stimmen aus Yoons PP-Partei erreichen. 85 Abgeordnete stimmten gegen den Antrag, zudem gab es drei Enthaltungen und acht ungültige Stimmen.
„Die heutige Amtsenthebung ist ein großer Sieg des Volkes und der Demokratie“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Demokratischen Partei (DP), Park Chan Dae, nach der Abstimmung. Noch vor einer Woche war die Opposition mit einem ersten Antrag auf Amtsenthebung gescheitert: Damals hatten die allermeisten Abgeordneten von Yoons Partei das Votum boykottiert.
Der 63-jährige Yoon ist der dritte Präsident in der Geschichte Südkoreas, der vom Parlament des Amtes enthoben wurde. 2017 ereilte den damaligen Präsidenten Park Geun Hye dasselbe Schicksal, im Jahr 2004 versuchten die Abgeordneten, Staatschef Roh Moo Hyun aus dem Amt zu befördern. Dessen Amtsenthebung war jedoch nach zwei Monaten durch das Verfassungsgericht für ungültig erklärt worden.
Vor dem Parlamentsgebäude bejubelten rund 200.000 Demonstranten das Ergebnis der Abstimmung. „Ist es nicht erstaunlich, dass wir, das Volk, dies gemeinsam erreicht haben?“, rief die 52-jährige Choi Jung Ha. „Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass das Verfassungsgericht den Antrag unterstützen wird.“ Angesichts eisiger Temperaturen verteilten Freiwillige kostenlose Handwärmer, Kaffee und Essen an die Demonstranten.
Parallel versammelten sich laut Polizeiangaben auch 30.000 Anhänger Yoons nahe des Gwanghwamun-Platzes im Zentrum von Seoul. Sie schwenkten südkoreanische und US-Flaggen und forderten die Verhaftung der Oppositionsführer. Einer der Demonstranten sagte der AFP, Yoon habe „keine andere Wahl“ gehabt, als das Kriegsrecht zu verhängen. „Ich bin mit jeder Entscheidung einverstanden, die er als Präsident getroffen hat.“
Auslöser für die politischen Unruhen in Südkorea war die Ausrufung des Kriegsrechts durch Yoon vor mehr als einer Woche. Er hatte angesichts eines Haushaltsstreits überraschend von dieser Maßnahme Gebrauch gemacht und damit das In- und Ausland aufgeschreckt. Das Parlament hatte jedoch in einer dramatischen Sitzung von seinem Vetorecht gegen diesen Schritt Gebrauch gemacht, woraufhin Yoon das Kriegsrecht nach wenigen Stunden wieder aufhob.
Die Polizei leitete wegen der Ausrufung des Kriegsrechts Ermittlungen gegen Yoon und seine engsten Vertrauten ein. Der Präsident darf Südkorea im Moment nicht verlassen, sein Verteidigungsminister Kim Yong Hyun wurde festgenommen.
Am Donnerstag teilte die Polizei mit, sie habe das Hauptquartier des Militärkommandos der Hauptstadt Seoul durchsucht, dessen Soldaten während des kurzzeitig geltenden Kriegsrechts auf den Straßen waren. Laut der Nachrichtenagentur Yonhap startete die Polizei zudem einen neuen Versuch, Büros des Präsidenten und seiner Vertrauten zu durchsuchen.
Yoons ohnehin niedrige Zustimmungswerte sanken nach den Turbulenzen der vergangenen Woche weiter ab und lagen laut einer am Freitag veröffentlichten Umfrage von Gallup Korea bei elf Prozent. 75 der Befragten sprachen sich für eine Amtsenthebung aus.