Die Tränen sind vorprogrammiert: Nach achteinhalb äußerst erfolgreichen Jahren verlässt Jürgen Klopp am Sonntag den FC Liverpool. Der Abschied im Heimspiel gegen Wolverhampton dürfte ein rauschendes Fest werden.
Es begann mit diesem feinsinnigen Satz, der wohl auf ewig mit ihm verbunden bleiben wird. „I’m the normal one“, sagte Jürgen Klopp an seinem ersten Arbeitstag beim FC Liverpool. Nahezu neun alles andere als normale Jahre später endet am Sonntag eines der emotionalsten Kapitel des berühmtesten englischen Fußballclubs. Ein letztes „You’ll never walk alone“, eine letzte Huldigung aus der mythischen Kop, eine letzte Ehrenrunde. „Wir wurden alle zusammen von Zweiflern zu Glaubenden. Meine Botschaft ist: Glaube daran – und du wirst weiter die Welt verändern“, sagt Klopp.
Vielleicht wäre dem 56-Jährigen zum Abschied ein Gegner mit mehr Sexappeal als die Wolverhampton Wanderers zu wünschen gewesen. Am Ende ist das aber auch egal. Denn an der ausverkauften Anfield Road wird es allein Klopps Party werden. Er hat den FC Liverpool nicht nur wiederbelebt, er hat ihn emotional auf ein ganz neues Niveau gehoben. Für den Club hat er die Welt nicht verändern, er hat sie auf den Kopf gestellt.
Das All-Inclusive-Paket
Alte Wegbegleiter des Schwaben wundert das nicht. „Er hat Mainz, Dortmund und Liverpool verändert. Nicht nur die Vereine, sondern auch die Städte und die Menschen“, sagt Christian Heidel der Deutschen Presse-Agentur. Der Sportvorstand des FSV Mainz 05 hatte Klopp einst zum Trainer gemacht, die beiden verbindet eine enge Freundschaft.
Was Klopp auszeichnet, ist die Begegnung auf Augenhöhe. Er sieht sich eben nicht wie sein Amtskollege José Mourinho als „Special One“. Er ist Kloppo, ob der Gegenüber nun Weltstar Mohamed Salah oder jemand an der Supermarktkasse ist. „Auch wenn er jetzt viel bekannter ist als er damals vor 34 Jahren, als wir uns kennengelernt haben, war, ist er immer noch er selbst geblieben – verlässlich, ehrlich, pflichtbewusst und humorvoll“, betont Heidel.
Als Trainer biete Klopp laut Heidel das „All-Inclusive-Paket“ von der fußballerischen bis zur sozialen Kompetenz. In Dortmund führte das zu Titeln, in Liverpool ebenfalls. Herauszuheben ist hier die Meisterschaft aus der Saison 2019/20. Jener Titel, auf den sie am River Mersey 30 Jahre lang gewartet hatten und dann aufgrund der Corona-Pandemie nicht richtig feiern konnten. Er verband trotzdem, machte die Pandemie ein Stück weit erträglicher und Klopp unsterblich.
Jürgen Klopp Liverpool Ende 15.54
Der besondere Normale
In der Jordan Street ist Klopps Größe für jeden wahrnehmbar. Hier, gegenüber von Hausnummer 53 und einer Bob-Marley-Statue, mitten im In-Viertel Baltic Triangle prangt eines der ersten Klopp-Wandgemälde. Mittlerweile ist der Ort zu einer kleinen Pilgerstätte für LFC-Fans geworden, obwohl es nicht mehr das einzige sogenannte „Mural“ ist.
Der Weg dorthin bedurfte auch Überzeugung, es gab mit Klopps Ankunft keinen garantierten Erfolg. „Liverpool war ein großer Club bevor ich kam“, sagt der Coach. „Aber es war nicht klar, das jeder dasselbe wollte. Einige lebten noch in der Vergangenheit. Es bedurfte einer großen Veränderung.“
Die Ära Klopp erinnerte den LFC daran, was er im Kern ist. Die Atmosphäre von Anfield, großartige Europapokalnächte, verschworener Zusammenhalt. Und wenn einem das mit dem Club gelingt, überträgt sich das auf die gesamte Stadt. „Er verkörpert die besten Eigenschaften dieser Stadt“, sagt Bürgermeister Steve Rotheram und geht an Klopps Anfänge in der Hafenstadt zurück: „Er möchte der Normale sein, aber eigentlich ist er sehr besonders.“
„Einfach weg“
„Klopp ist für uns der Bill Shankly der heutigen Zeit“, sagt Jamie Webster. Die Worte des über die Stadt hinaus bekannten Musikers und Liverpool-Fans sind ein Ritterschlag. Schließlich gilt der Schotte als Über-Trainer der Reds, stieg in die First Division auf, feierte in den 60er und 70er Jahren drei Meisterschaften und zwei Europapokalsiege.
Er war nicht der erfolgreichste Trainer des Vereins, was auch für Klopp gilt. Doch Shankly verbindet mit Klopp, dass er den Club über das Spielfeld hinaus verstand. Die Fans, die Geschichte, die Legenden. Vor der Kop, der Tribüne des harten Kerns der Reds-Fans, steht heute eine Shankly-Statue. „He made the people happy“, ist darunter zu lesen. Er machte die Menschen glücklich. Treffender geht es auch im Fall Klopp nicht.
Und nun? Einen Plan habe er nicht, betont Klopp. Das würde ihn zu sehr binden, er will einfach eine Art von Freiheit genießen, die er über Jahrzehnte nicht hatte. Freunde treffen, reisen, Fußball schauen, ganz neutral. Irgendwann werde er wieder arbeiten, aber vorerst gilt: „Ich bin nicht verfügbar. Ich bin einfach weg. Wir werden sehen, wie lange es dauert.“