Die Syrier nannten das Saidnaja-Gefängnis „Schlachthaus“. Hier ließ Diktator Assad Oppositionelle massenhaft foltern und hinrichten – zwei Berichte geben Auskunft.
Die syrischen Aufständischen haben während ihres Blitz-Feldzuges gegen das Assad-Regime Tausende politische Häftlinge aus den berüchtigten Gefängnissen des Landes befreit. Eine dieser Haftanstalten war besonders grausam: Saidnaja, von den Syrern „Schlachthaus“ genannt. Kein Ort in dem geschundenen Land symbolisiert den Terror und das Grauen, mit dem Machthaber Baschar al-Assad sein Volk unterdrückte, perverser als Saidnaja. Sogar Kinder und Frauen sollen dort eingesessen haben.
In den sozialen Medien tauchten unmittelbar nach der Befreiung zahlreiche Gefangener unzählige Videos auf, die das Innere des sternförmigen Gebäudekomplexes zeigen sollen. Fleckige Betonwände, Verliese im Boden, verdreckte Zellen, dunkle Gänge und Menschen, die ihr Glück über die Befreiung kaum zu fassen scheinen. Ein Video zeigt beispielsweise eine Familie, die ihren verloren geglaubten Sohn nach 14 Jahren das erste Mal wieder in die Arme schließt.
Saidnaja bedeutet unvorstellbares Ausmaß an Barbarei
Dank der Menschenrechtsorganisation Amnesty International und der Organisation ADMSP, ein Zusammenschluss von Überlebenden und Familienangehörigen, das die Verbrechen dokumentiert, existieren mittlerweile präzise Beschreibungen dessen, was sich in dem Gefängnis abgespielt hat. Amnesty International schätzt, dass im Zeitraum von 2011 bis 2015 in Saidnaja zwischen 5000 und 13.000 Menschen hingerichtet oder zu Tode gefoltert worden sind. Die meisten seien Zivilisten gewesen, die das Regime kritisiert oder auf andere Weise aufgefallen seien.Interview Knaus Syrien 6.05
Für vergangenen neun Jahre liegen kaum konkrete Zahlen vor. In der Hochphase sollen 20.000 Menschen inhaftiert gewesen sein. In einer weiteren Studie (Befragung von 400 ehemaligen Gefangenen) kam die Organisation ADMSP zu dem Ergebnis, dass Ende 2018 etwa 2.500 Menschen einsaßen. Die meisten von ihnen seien junge, gut ausgebildete Männer aus sunnitischen Familien gewesen. Folter und Hinrichtungen waren bis zur Befreiung an der Tagesordnung. Eine sehr große Zahl der Inhaftierten habe die Hölle nicht überlebt.
Massengräber und ein Krematorium
Saidnaja war seit jeher ein Gefängnis der Militärpolizei, aber mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 2011 wurde es vermehrt genutzt, um massenhaft Oppositionelle wegzusperren. Zumindest für die ersten Jahre sind Massenhinrichtungen belegt. Im Bericht von Amnesty heißt es, dass zunächst an zwei Tagen in der Woche 20 bis 50 Gefangene am Galgen hingerichtet wurden, später habe sich die Frequenz erhöht. Der Ablauf der Hinrichtungen war laut der Schilderung der 65 Überlebenden, die die Grundlage für den Amnesty-Report bilden, stets gleich.Ein Ort des Grauens: Männer zeigen Galgen im Gefängnis Saidnaja in Syrien, nachdem Aufständische die Gefangenen befreit haben
© Emin Sansar
Zunächst kamen die Opfer vor ein Militärtribunal, das innerhalb von wenigen Minuten ein Urteil fällte. Die Verurteilten wussten allerdings nicht, welche Strafe sie erhalten würden. Wenn es so weit war (am späten Nachmittag), sammelten die Wächter die Todgeweihten ein und brachten sie in eine Sammelzelle, wo sie ihnen eine letzte Tracht Prügel verpassten. Die Schreie der Verurteilten sollten für die übrigen Insassen zu hören sein. Von dort transportierte man die Opfer gefesselt und mit einer Augenbinde versehen in der Nacht in ein anderes Gebäude, wo sich im Keller der Hinrichtungsraum befand. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubten die Gefangenen, dass sie lediglich in ein anderes Gefängnis verlegt würden. Erst als sie nach ihrem letzten Wunsch gefragt wurden, realisierten sie, dass sie hingerichtet würden. In Saidnaja soll es diverse Massengräber, zeitweise sogar ein Krematorium gegebenen haben, um die zahllosen Leichen zu verbrennen, wie Satellitenaufnahmen andeuten.
Der Staat Syrien verdiente an den Gefangenen
Auch die verschiedenen Foltermethoden der Assad-Schergen in Saidnaja sind dokumentiert. Wasserentzug war eine der beliebtesten Arten, Prügel zählte zum Standard. „Nachdem sie uns kein Wasser mehr gaben, warteten wir vor der kleinen Luke in der Tür, durch die sie normalerweise das Wasser gossen. (…) Wir leckten das Kondenswasser von den Wänden und der Decke. Nach neun Tagen begannen die ersten, ihren eigenen Urin zu trinken“, sagte ein Mann im Amnesty-Bericht aus. Im ADSMP-Bericht heißt es, dass ausnahmslos jeder verprügelt und an Penis oder Anus misshandelt wurde. Leichen wären tagelang in den Zellen liegengelassen worden.
Die Häftlinge hätten ihre spärlichen Essensrationen, wenn die Wärter es so wollten, direkt vom verdreckten Boden essen müssen – oder aus der Toilette. Die Wärter hätten die Gefangenen zudem gezwungen, sich gegenseitig zu vergewaltigen, tagelang nasse Kleidung zu tragen oder nackt herumzulaufen. Waschen, Hygiene und medizinische Versorgung seien oft verweigert worden. Zudem wurde der Besitz der Häftlinge häufig konfisziert. Im Winter mussten die Inhaftierten die Kälte in den unbeheizten Zellen ertragen. Krankheiten und Infektionen waren stark verbreitet, die Zellen häufig brutal überbelegt.
Doch damit nicht genug. Die Verhaftungen dienten auch dem Zweck, auf zynischste Art und Weise Profit aus den Sorgen der Angehörigen zu schlagen. Die mussten laut ADSMP-Report zwischen 500 und 10.000 Dollar zahlen, um Informationen über das Schicksal der Verhafteten zu erhalten, die meist spurlos von der Bildfläche verschwunden waren.
Quellen: „Amnesty International„, „Amnesty International“-Video, „ADSMP„, „Der Spiegel„, „Deutschlandfunk Kultur„