Noch wird in Syrien geschossen. Dennoch hat der Bundestagswahlkampf schon ein neues Thema gefunden: die mögliche Rückkehr von Flüchtlingen in das Bürgerkriegsland.
André Neumann ist nicht unbedingt der typische ostdeutsche Christdemokrat. Der Altenburger Oberbürgermeister sitzt zwar im Landesvorstand der Thüringer CDU. Aber er hat oft eine etwas andere Meinung als die Mehrheit in seiner Partei.
Am Montag sagte Neumann zum Beispiel: „Ich hoffe, dass viele syrische Flüchtlinge in Deutschland bleiben. Sie sind nicht nur eine kulturelle Bereicherung, sondern wir brauchen sie auch als Arbeitskräfte.“
Damit ist Neumann eher eine Ausnahme in der CDU. Jens Spahn, der Vizefraktionschef der Union im Bundestag, wirkt da schon repräsentativer. Ihm kann es jetzt, da das Assad-Regime überraschend gestürzt ist, gar nicht schnell genug gehen mit der Rückkehr oder gar Rückführung der Geflüchteten.
Spahn: 1000 Euro für jeden, der nach Syrien zurückkehrt
Spahn schlug eine Prämie vor. „Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagt: Jeder, der zurückwill nach Syrien, für den chartern wir Maschinen, der bekommt ein Startgeld von 1000 Euro“, sagte er am Morgen in der RTL/ntv-Sendung „Frühstart“.
Auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder mutmaßte öffentlich: „Der Grund, Syrien zu verlassen, war vor allem Assad. Deswegen wird es viele Menschen geben, die jetzt einfach in ihre Heimat zurückwollen.“
Während also in Syrien noch gekämpft wird, sickert das Thema längst in den Bundestagswahlkampf ein. Verwundern kann das kaum, gehört doch die Migration in Umfragen zu den meistgenannten Problemen. Hier können Stimmen geholt werden.
Ebenso erwartbar ist daher, dass sich die AfD an die Spitze der Forderungen stellt. „Wer in Deutschland das ‚freie Syrien‘ feiert, bei dem liegt augenscheinlich kein Fluchtgrund mehr vor“, verbreitete die Bundesvorsitzende Alice Weidel bereits am Sonntag per X. „Er sollte umgehend nach Syrien zurückkehren.“
Weidel: Bei vielen ist der „Fluchtgrund entfallen“
Auf Nachfrage des stern äußerte sich Weidel ausführlicher. Es stehe außer Frage, dass „bei vielen Personen aus Syrien der Fluchtgrund entfallen“ sei, sagte sie – vor allem bei jenen, die angegeben hätten, von der ehemaligen Regierung verfolgt worden zu sein.
„Selbstverständlich müssen diese Personen auch zeitnah in ihr Heimatland zurückkehren“, sagte sie. Die Bundesregierung sollte mit den Anrainerstaaten, welche die aktuelle Situation begrüßen oder unterstützen, in Kontakt treten.
Ähnlich sieht es die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht. „Von den Syrern, die hierzulande die Machtübernahme durch Islamisten bejubeln, erwarte ich, dass sie möglichst bald in ihr Heimatland zurückkehren“, sagte sie stern.
09: Debatte um SyrienFlüchtlinge Faeser gegen Spekulationen – 06d9b36c947873bb
Gleichzeitig warnte Wagenknecht aber vor einer neuen Fluchtwelle nach Deutschland. „Vieles deutet darauf hin, dass Syrien sich zu einer neuen islamischen Republik entwickelt.“ Sie forderte deshalb die Bundesregierung auf, sich für den Schutz von Mädchen und Frauen sowie Minderheiten wie Alawiten, Christen, Kurden und Armenier einzusetzen. Diese Menschen dürften nicht von den neuen Machthabern „verfolgt und unterdrückt und damit in die Flucht getrieben werden“.
Die Vorsicht, die aus Wagenknechts Worten klingt, ist allerdings auch bei Weidel herauszuhören. Aus ihrer Sicht ist die Lage in Syrien „alles andere als stabil“. Deshalb, sagte sie, müsse auch zu jenen Staaten, die das neue System in Syrien als Bedrohung ansehen, Kontakt gehalten werden. „Weder für die Menschen in der Region noch für Europa kann es von Interesse sein, wenn eine weitere Fluchtbewegung im Nahen Osten ausgelöst wird.“
Doch um wie viele Menschen in Deutschland geht es überhaupt? Und wie viele von ihnen arbeiten?
Eine Viertelmillion Syrer arbeitet in Deutschland
In Deutschland lebt rund eine Million Menschen mit syrischer Staatsbürgerschaft – Stand 31.12.2023 waren es genau 972.460. Hinzu kommen etwa 165.000 Syrer, die seit 2015 die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben.
Gut die Hälfte der Syrer – etwa 520.000 – beziehen Bürgergeld. Die Kosten dafür belaufen sich aktuell pro Monat (Zahlen vom Mai 2024) auf knapp 350 Millionen Euro. Arbeitslos gemeldet waren davon 155.000; etwa 250.000 waren unterbeschäftigt, gehen also keiner regulären Arbeit nach.
Doch etwa eine Viertelmillion Menschen aus Syrien arbeitet in Deutschland. Zu ihnen gehören auch knapp 6000 Ärzte. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt deshalb bereits vor einem Mangel. Würden sie in größerer Zahl Deutschland verlassen, würde dies in der Personaldecke „ohne Zweifel spürbar“, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß dem „Spiegel“.
Die Bundesregierung hat sich für eine Doppelstrategie entschieden. Auf der einen Seite verhängte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schon am Montag einen vorübergehenden Entscheidungsstopp für alle laufenden Asylverfahren syrischer Staatsbürger. Auf der anderen Seite warnte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) als Dienstherrin der Behörde vor voreiligen Forderungen.
„Aktuell ist die Lage in Syrien aber sehr unübersichtlich“, sagte die Ministerin. Konkrete Rückkehrmöglichkeiten seien nicht vorhersehbar: „Es wäre unseriös, in einer so volatilen Lage darüber zu spekulieren.“ Auch die EU-Kommission erklärte, dass es für eine sichere Rückkehr nach Syrien noch zu früh sei.
Oberbürgermeister Neumann in Altenburg formuliert es so: Wer zurück in die alte Heimat wolle, dem wünsche er alles Gute, zumal Syrien Aufbauhelfer benötige. Er hoffe aber, dass viele der integrierten Flüchtlinge in Deutschland blieben: „So einige Unternehmen oder Krankenhäusern würden ohne Syrierinnen und Syrer deutlich schlechter funktionieren.“