In Italien hat die Regierung bei der Europawahl gesiegt: Giorgia Meloni ist gegenüber ihren Koalitionspartnern gestärkt und kann die Verfassungsreform vorantreiben, um ihre Macht auszubauen. Und in Brüssel könnte ihr noch eine wichtige Rolle zufallen.
Es war kurz nach Mitternacht, eine Stunde nach Schließung der Wahllokale, als sich eine strahlende Giorgia Meloni im pinkfarbenen T-Shirt in den sozialen Medien zeigte, mit Mittel- und Zeigerfinger formte sie das Victory-Zeichen: „Grazie. Die Brüder Italiens sind die stärkste italienische Partei. Wir haben unser Ergebnis bei der Parlamentswahl übertroffen.“ Die rechtspopulistische Premierministerin ist seit knapp zwei Jahren im Amt und hatte angekündigt, sich an ihrem Wahlergebnis von 26 Prozent messen lassen zu wollen.
Ihr Sieg mit fast 29 Prozent bei der Europawahl liegt nun noch jenseits dessen. Meloni hatte im Wahlkampf ganz auf ihre Strahlkraft gesetzt. So hatte sie die Italiener dazu aufgerufen, einfach „Giorgia“ auf den Stimmzettel zu schreiben, dies würde genügen.
Giorgia Meloni gibt sich als Frau aus dem Volk – mit Erfolg
Meloni, das ist die Frau aus dem Volk, nahbar und direkt, eine Politikerin, die auch nach 20 Monaten an der Regierung noch bodenständig auftritt. Auch deshalb fliegen ihr, vor der so viele einst warnten, nun die Sympathien der Italiener zu. Ihr überraschend großer Wahlerfolg stärkt ihre Macht innerhalb der Koalition, vor allem gegenüber ihrem verbündeten Rivalen Matteo Salvini.
Europawahl Wahlabend in Brüssel
Der Vizepremier hatte sich immer wieder mit provokativen Äußerungen auf der internationalen Bühne blamiert. Zuletzt ätzte er gegen den französischen Staatspräsidenten Macron, dieser sei ein „Kriegstreiber“, weil er einen Einsatz der Nato-Truppen in der Ukraine für möglich hielte. Der Putin-Sympathisant Salvini hatte gedroht, er unterstütze keine Waffenlieferungen Italiens, wenn sie gegen Ziele auf russischem Gebiet eingesetzt würden.
Melonis Rivale Salvini ist gescheitert
Doch der Chef der Lega-Partei ist mit seinem Versuch gescheitert, rechts von Meloni Stimmen zu gewinnen. Er hatte den homophoben und rassistischen General Vannacci gegen die Regierungschefin in Stellung gebracht – vergebens. Ein etwas anderes Bild bei ihrem zweiten Koalitionspartner Antonio Tajani von Forza Italia. Die Partei des vor einem Jahr verstorbenen Gründers Silvio Berlusconi war bereits totgesagt. Doch dem so umsichtigen wie zurückhaltenden Tajani ist es gelungen, aus dem Schatten Berlusconis zu treten und sich als Anführer einer gemäßigten Partei der Mitte zu etablieren. Der Wahlerfolg des früheren EU-Parlamentspräsidenten kommt Meloni nun bei ihren Manövern in Europa zugute.
In Brüssel hat Meloni sich Respekt erarbeitet, vor allem gibt sie ihren Wählern das Gefühl, Italien werde unter ihrer Führung in Europa ernst genommen. Mit ihrem Bekenntnis zur Unterstützung der Ukraine, auch zur Nato und zur EU, gilt sie als verlässliche Partnerin. Nach der Europawahl kommt ihr nun eine Rolle als Vermittlerin zwischen den europäischen Christdemokraten unter Ursula von der Leyen und den rechten Parteien ausgenommen der AfD zu. Sie kann gewissermaßen eine Königinmacherin werden.
Dabei wird sie auch Forderungen stellen, gerade in der Migrationspolitik: Innerhalb der großen EU-Länder war und ist sie die treibende Kraft. Ihre Ziele: mehr Abschottung einerseits. Und andererseits Abkommen mit den Herkunfts- und Transitländern zur Eindämmung der illegalen Einwanderung. Sogar Melonis Idee eines Auffanglagers und eines Abschiebezentrums für Bootsflüchtlinge in Albanien wird inzwischen in der EU als Modell für die Auslagerung von Asylverfahren diskutiert.
Meloni will Psychotests für Richter
Innenpolitisch gibt der Wahlerfolg Meloni nun Rückenwind, ihre umstrittenen Reformen voranzutreiben. Das ist zum einen die Justizreform, von der Kritiker sagen, sie schränke die Unabhängigkeit der Richter ein. Sie steht mit der Idee in der Tradition rechtspopulistischer Regierungen. Auch Silvio Berlusconi war die Justiz stets ein Dorn im Auge. Die italienischen Richter seien voreingenommen und linkslastig, sagt Meloni. Deshalb will sie psychologische Tests für Bewerber auf das Amt des Staatsanwaltes und des Richters einführen.
Zum anderen drängt Meloni auf eine Verfassungsänderung. Es ist ihre wichtigste Reform und soll ihr als Regierungschefin künftig mehr Macht geben. Der zentrale Punkt: Der Ministerpräsident soll direkt vom Volk gewählt werden – Meloni verwendet auch in ihren eigenen Worten für ihr Amt die männliche Form. Wird ein Regierungschef durch ein Misstrauensvotum der Abgeordneten gestürzt, kann er die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen verlangen. Das wäre ein wichtiges Instrument, um das Parlament im Zaum zu halten. Bis zum Ende der Legislaturperiode will Meloni die Verfassungsreform durchsetzen – um sich dann von den Italienern direkt wieder wählen zu lassen. Nach der Europawahl sieht es nun so aus, also ob ihre Chance dafür ziemlich gut stünden.