Party-Emojis, Jubel-Kommentare, Doppelgänger-Wettbewerb: Warum Menschen nach dem Mord an Brian Thompson den mutmaßlichen Täter feiern.
Der kaltblütige Mord an Brian Thompson, dem Chef des Versicherungsunternehmens United Healthcare, sorgt weiter für Wirbel. Während der Konzern sich nach der Tat vergangene Woche mitten in New York für die „vielen Beileidserklärungen“ bedankte, häufen sich zugleich Sympathiebekundungen für den Schützen. In den sozialen Medien hat der mutmaßliche Angreifer mittlerweile sogar eine kleine Fangemeinde. Mehr oder minder unverhohlen machen einige User klar, dass sie den Mord an dem Versicherungschef gutheißen. Hintergrund ist in den meisten Fällen das umstrittene Geschäftsgebaren des Unternehmens.
Thompson war am Mittwochmorgen vor einem großen New Yorker Hotel in Manhattan von hinten erschossen worden. Der Täter ist nach wie vor flüchtig, seine Identität ist noch unbekannt.STERN C Brian Thompson United Healthcare 19.45
„Heldenkult“ um den mutmaßlichen Mörder von Brian Thompson
Unter anderem auf Facebook und Reddit gebe es einen regelrechten „Heldenkult“ um den mutmaßlichen Täter, sagte Alex Goldenberg, Experte für Drohungen im Internet am Network Contagion Research Institute, der „New York Times“. Laut einer Untersuchung des Instituts drückten sechs der zehn erfolgreichsten Posts auf der Plattform X zu dem Angriff entweder Unterstützung für die Tat aus oder verunglimpften das Opfer.
Der Mord werde in solchen Postings als „eine Art Startschuss für einen größeren Klassenkampf“ dargestellt, berichtet Goldenberg: „Das ist besorgniserregend, weil es die Bedrohung für ähnliche Akteure durch ähnliche Gewalttaten vergrößert.“
Versicherer United Healthcare in der Kritik
Das Motiv des Mörders ist noch unklar, doch Inschriften auf den Hülsen der tödlichen Neun-Millimeter-Patronen könntenHinweise liefern. Darauf standen die Worte „deny“, „defend“ und „depose“ – leugnen, verteidigen, loswerden. Diese Begriffe könnten eine Anspielung auf den Buchtitel „Delay Deny Defend“ sein. In dem 2010 erschienen Buch setzt sich der Autor Jay Feinman kritisch mit der Praxis von Krankenversicherungen auseinander. Er analysiert, wie diese oftmals Zahlungen an Patienten verzögern, Ansprüche verweigern und ihr Vorgehen dann verteidigen. Möglicherweise hat der Täter selbst oder jemand in seinem näheren Umfeld einen solchen Fall erlebt.
United Healthcare ist mit mehr als 48 Millionen Kunden und einem Jahresumsatz von 371 Milliarden Dollar einer der größten Krankenversicherer der USA. Dem Unternehmen wird immer wieder vorgeworfen, bei Behandlungen nicht die Kosten zu übernehmen oder sogar erst im Nachhinein Zahlungen zu verweigern – selbst wenn es um überlebensnotwendige Behandlungen geht. Brian Thompson war wichtiger Teil dieses System, er arbeitete 20 Jahre lang bei United Healthcare, seit 2021 als CEO. Offenbar hatte er vor dem Mord bereits Drohungen erhalten, erzählte seine Frau dem Sender NBC.
User im Internet feiern den Todesschützen
Die Kritik an den Geschäftspraktiken des Versicherungsunternehmens ist für manche Internetuser Grund genug, den Tod des 50-Jährigen zu begrüßen. Auf Plattformen wie X, 4chan oder Reddit sind Memes im Umlauf, die den Mord mit Partybildern feiern. „Es ist schwer, Mitleid für den Chef einer der schlimmsten Krankenversicherungen der Welt zu empfinden“, zitiert das US-Portal „The Hill“ aus einem Kommentar. Mord an Versicherungschef 12:11
Unter dem Facebook-Post von United Healthcare, in dem das Unternehmen Thompsons Tod betrauert, reagierten laut US-Medien zahlreiche User mit lachenden Emojis und pietätlosen Bemerkungen. Das Unternehmen hat mittlerweile die Kommentarfunktion zu dem Beitrag geschlossen.
Viele dieser Postings wurden anonym abgesetzt, aber einige Kommentierende zeigten ihre Verachtung auch offen. So schrieb Anthony Zenkus, Professor für Soziale Arbeit an der Columbia University in New York: „Heute trauern wir um den erschossenen CEO von United Healthcare, Brian Thompson – nein, warte, … wir trauern um die 68.000 Amerikaner, die jedes Jahr unnötig sterben, damit Versicherungschefs wie Thompson Multimillionäre werden können.“
Polizei fahndet weiter nach dem unbekannten Täter
Auch außerhalb des Internets nimmt der Hype um den Mörder mittlerweile bizarre Züge an. In New York trafen sich am Wochenende etwa 30 Menschen und veranstalteten anhand der Fahndungsbilder des Schützen einen Doppelgänger-Wettbewerb. Am Tatort vor dem Hilton-Hotel in Manhattan hinterließ laut der Zeitung „Daily Mail“ jemand einen Party-Luftballon mit der Aufschrift „CEO down“. Und Frauen diskutieren über das Aussehen des „heißen“ Täters – wie es mitunter auch bei Serienmördern und anderen Kriminellen der Fall ist.
Die New Yorker Polizei fahndet derweil weiterhin mit Hochdruck nach dem Täter. Es ist zu befürchten, dass der Heldenkult um den Schützen in manchen Kreisen noch zunehmen wird, sobald sein Name öffentlich bekannt geworden ist.
Quellen: „The New York Times“, „The Hill“, „Know Your Meme“, Anthony Zenkus auf X, „Daily Mail“, NBC News, United Healthcare auf Facebook, AFP, DPA