Der Philosoph Richard David Precht ist aus dem deutschen Meinungsdschungel nicht mehr wegzudenken. Am heutigen 8. Dezember wird er 60.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich Richard David Precht (60) bis ganz nach oben gedacht, geschrieben und geredet. Mittlerweile ist aus dem einstigen Journalisten und Buchautor einer der größten Stars der deutschen Medienlandschaft geworden – und eine ihrer umstrittensten Figuren. Auch mit 60 Jahren scheint sich das Sendungsbewusstsein des Power-Philosophen unaufhaltsam weiter auszudehnen.
Wer ist Richard David Precht – und wenn ja, wie viele?
Der große Durchbruch gelang dem unermüdlichen Welterklärer im Jahr 2007 mit der Veröffentlichung seines Werkes „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“, in dem er seinen Lesern eine allgemeinverständliche Einführung in grundlegende philosophische Fragen an die Hand gab, bei der der Unterhaltungsfaktor nicht zu kurz kam. Befeuert durch eine begeisterte Rezension von Elke Heidenreich (81) in ihrer Literatursendung „Lesen!“, stürmte das populärwissenschaftliche Werk umgehend die Spiegel-Bestsellerliste und hielt sich dort geschlagene 16 Wochen lang auf Platz eins.
Nach diesem durchgreifenden Erfolg begann Prechts Siegeszug zum Publikumsliebling und Medienstar. Seine Begabung, komplexe Sachverhalte anschaulich erklären und verwirrendes Weltgeschehen souverän einordnen zu können, machte den adretten Doktor der Philosophie schnell zu einem gern gesehenen Gast in sämtlichen deutschen Talkshows. Auch weitere populärwissenschaftliche Publikationen wie „Liebe: Ein unordentliches Gefühl“ oder „Die Kunst, kein Egoist zu sein“ landeten umstandslos auf der Bestsellerliste.
„Precht“ eliminiert „Das Philosophische Quartet“
Um frischen Wind in ihre Bildungssparte zu bringen, beförderte das ZDF im Jahr 2012 den eloquenten Talkshow-Dauergast mit einer eigenen Sendung selbst zum Gastgeber. Dass der neue Superstar am Philosophie-Himmel mit seinem neuen Format „Precht“ den bisherigen Denker-König Peter Sloterdijk (77) und dessen gemeinsam mit Rüdiger Safranski (79) moderiertes „Philosophisches Quartett“ aus dem Programm fegte, wurde seinerzeit nicht nur mit Begeisterung aufgenommen.
Nach seinem Sturz vom Fernsehphilosophen-Thron gab der merklich angefressene Sloterdijk der „Zeit“ folgendes giftiges Statement zu Protokoll: „Precht ist vom Handwerk her Journalist und als solcher Popularisator von Beruf. Ob er wirklich, wie das ZDF annimmt, zu einer Verjüngung des Publikums beitragen wird, bezweifle ich allerdings. Seine Klientel gleicht eher der von André Rieu, den hören auch vor allem Damen über fünfzig in spätidealistischer Stimmung.“
„Redegewandter Dressman“ mit Mainstream-Kompabilität
Auch die österreichische Philosophin und Publizistin Isolde Charim (65) erkannte in dem Wechsel von Sloterdijk zu Precht im Bereich der TV-Philosophie eher eine Verfallsgeschichte als einen Aufklärungsfortschritt. In einem Kommentar in der „taz“ bezeichnete sie ihn als „redegewandten Dressman“, der mit seiner Mainstream-Kompatibilität „alle Forderungen einer medialisierten Warenwelt“ übererfülle, lobte jedoch auch sein pädagogisches und volksbildnerisches Programm, bei dem Verständlichkeit stets an erster Stelle komme. Was ja grundsätzlich nichts Verwerfliches sei.
Richard David Prechts Aufstieg zum dauerpräsenten Medienstar und Welterklärer brachte ihm neben großer Anerkennung auch immer wieder beißenden Spott ein, nicht zuletzt von seinen eigenen TV-Kollegen. „Als hätten Platon, Karl May und Sascha Hehn ein Kind gezeugt“, lästerte etwa Komiker Oliver Kalkofe (59) in einer bitterbösen „Laudatio für das Genie Richard David Precht“ im ARD-Satiremagazin „extra 3“.
Comedystar Carolin Kebekus (44) hingegen zerlegte den attraktiven Schöngeist mit einem eigens komponierten Rap-Song, in dem es unter anderem heißt: „Wer ist da und flext, wenn du durch die Glotze zappst? / Wer ist der number one talkshow guest? Yes / Richard David Precht / Wer ist King of Stress? Wär gern Deutschlands Sokrates? / Denkt er hat immer Recht? Nein! / Richard David Precht“.
Böhmermann parodiert „Lanz & Precht“
Nachdem Precht sein Philosophie-Imperium 2021 durch einen gemeinsamen Podcast („Lanz & Precht“) mit Talk-Ikone Markus Lanz (55) weiter ausgebaut hatte, knöpfte sich 2023 auch Star-Satiriker Jan Böhmermann (43) den langhaarigen Power-Talker in einer drastischen Podcast-Parodie vor, die diesen als halbwissenden Schwätzer und Lanz als grotesk uninformierten Moderator erschienen ließ.
Vorangegangen war ein Eklat, für den Precht im Oktober 2023 mit einer Aussage bei „Lanz & Precht“ gesorgt hatte. Darin hatte er fälschlicherweise behauptet, dass orthodoxen Juden ihre Religion grundsätzlich das Arbeiten verbiete – „Ein paar Sachen, wie Diamanthandel und ein paar Finanzgeschäfte ausgenommen.“ Nach einem gewaltigen Shitstorm und massiven Antisemitismus-Vorwürfen musste sich der Philosoph in einer vorgezogenen weiteren Podcast-Folge zerknirscht für seine „salopp dahergesagten“ Behauptungen zu den beruflichen Einschränkungen orthodoxer Juden entschuldigen, mit denen er den tatsächlichen Sachverhalt „falsch und schief dargestellt“ habe. Antisemitismus liege ihm jedoch „so fern wie kaum irgendetwas anderes“.
Nur wenige Wochen später verzichtete der in die Kritik geratene Denker nach massiven Protesten auf seine Honorarprofessur an der Leuphana-Universität Lüneburg. Als Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler bleibt er jedoch auch weiterhin – ganz ohne Kameras und Mikrofone – im wissenschaftlichen Kernbereich aktiv.
Precht bleibt zuversichtlich
Seinem „Lanz & Precht“-Podcast fügte der Eklat hingegen keinen messbaren Schaden zu. Erst vor wenigen Wochen kürte Apple Music das wöchentliche Powertalk-Format zum erfolgreichsten Podcast des Jahres 2024. Die am 6. Dezember veröffentlichte letzten Episode vor Prechts 60. Geburtstag behandelte das wenig feierliche Thema „Deutschland einig Jammerland – Wo bleibt die Zuversicht?“.
In dem Gespräch waren sich die beiden Diskussionspartner darüber einig, dass der derzeitig allgegenwärtige Pessimismus unser Land nicht weiterbringe und mehr Zuversicht angesagt sei. Immerhin weise schon der große Philosoph Immanuel Kant (1724-1804), so ließ Precht die Hörer wissen, in seinen Schriften ausdrücklich auf eine „innere Verpflichtung zur Hoffnung“ hin.