Interview: Ist die AfD doch nicht die Social-Media-Partei?

Die AfD schmückt sich gern mit dem Prädikat „Internet-Partei“. In sozialen Netzwerken scheint sie omnipräsent – anders als ihre Konkurrenz. Doch stimmt das wirklich? 

33 Prozent in Thüringen, 31 Prozent in Sachsen, 29 Prozent in Brandenburg: Die AfD ist als klarer Wahlsieger aus den Landtagswahlen in den Ost-Bundesländern hervorgegangen. Die Erklärung für die hohen Ergebnisse lieferten Experten und Beobachter schnell: Die Partei sei die einzige, die den Wahlkampf ins Internet verlagert habe. Ihre Auftritte auf Plattformen wie Tiktok oder Instagram seien viel strukturierter, professioneller gewesen als die ihrer Konkurrenz. Die AfD sei die Social-Media-Partei in Deutschland. 

Eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung zweifelt an dieser Darstellung. Ein Team aus Konfliktforschern, Politik- und Datenwissenschaftlern haben den Social-Media-Wahlkampf der AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg analysiert. Sie kommen zu dem Ergebnis: Allein die Präsenz in sozialen Netzwerken kann den Wahlerfolg der AfD nicht erklären. Im Gespräch mit dem stern erklärt Studienautor Maik Fielitz, warum es zu kurz greift, wenn man die Wahlsiege der Partei auf ihre Social-Media-Kampagne reduziert.

Herr Fielitz, Sie haben mit Ihren Kollegen die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Brandenburg und Thüringen auf Social Media analysiert. Trifft es zu, dass die AfD eine „Social-Media-Partei“ ist?
Sowohl während des Wahlkampfs, als auch danach wurde mit dieser Beschreibung sehr freimütig umgegangen, um zu erklären, wie die Wahlerfolge der AfD insbesondere bei jungen Wählern zu erklären sind. Das Wichtige, das wir festgestellt haben, ist, dass die reine Social-Media-Arbeit auf Plattformen wie Tiktok bei diesem Landtagswahlkampf gar nicht so eine große Rolle gespielt hat, wie das oft in der Öffentlichkeit angenommen wurde. 

Warum?
Wir haben herausgefunden, dass die Social-Media-Auftritte der AfD erst dann funktionieren, wenn sie mit Offline-Handlungen synchron gehen. Also, wenn Veranstaltungen gestreamt werden und Videomaterial aus einem Offline-Kontext bei Versammlung oder Kundgebung entsteht. Erst dann hat sich die Stärke der AfD auch auf Social Media gezeigt. Aber die meisten Kandidatinnen und Kandidaten der AfD selbst schienen mit all den Möglichkeiten, die die sozialen Netzwerke bieten, überfordert.

Das heißt, die AfD ist im Netz gar nicht so groß, wie sie gemacht wird?
Es wird oft das Narrativ der AfD übernommen, dass sie eine digitale Dominanz hat und sich diese direkt in Popularität an den Wahlurnen übersetzen lässt. Der AfD wird zu oft frei Haus eine Stärke bescheinigt, dass sie die Plattform besonders gut verstanden habe, dass ihre Social-Media-Strategie besonders ausgeklügelt sei, dass nur sie so neue Zielgruppen erreiche. Das sind Zuschreibungen, die zumindest in den Wahlkämpfen in den drei Ost-Bundesländern nicht zutreffen. Wer glaubt, dass die Performance der AfD in sozialen Netzwerken allein der ausschlaggebende Punkt für ihren Wahlerfolg war, greift zu kurz.

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Einige AfDler stehen in der Kritik, sie würden mit ihren Social-Media-Auftritten auf sehr junge Nutzer abzielen und sie so in die rechte Ecke ziehen.
Auffällig war, dass junge Zielgruppen bei diesen Wahlkämpfen insbesondere über Tiktok kaum angesprochen wurden. Das widerspricht der öffentlichen Wahrnehmung. Aber man muss in diesem Fall den Kontext beachten: Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben eine überdurchschnittlich alte Bevölkerung, die sehr ländlich geprägt ist. Hieraus können wir schließen, dass der strategische Schwerpunkt der Partei nicht so sehr auf der Social-Media-Arbeit lag. Das haben andere übernommen.

Sie sprechen vom sogenannte „Vorfeld“ der AfD: rechte Influencer und Netzwerke, die auf Social Media massiv Werbung für die Partei machen.
Die AfD hat in diesen Wahlkämpfen viel weniger Geld für ihre Social Media-Kampagne investiert als andere Parteien, was dafür spricht, dass sie auf diesen Plattformen sehr gute Netzwerke hat, die die Arbeit kostenlos machen. Sie kann weniger Wahlwerbung schalten, weil ihre Botschaften ohnehin in den Timelines der Nutzer landen.

Hat die Partei in allen drei Bundesländern von diesen Netzwerken profitiert?
Das war in jedem Bundesland unterschiedlich. Sachsen fällt da heraus, weil wir dort mit den rechtsextremen „Freien Sachsen“ eine sehr starke Konkurrenz im politischen Vorfeld gesehen haben, die der AfD viel Sichtbarkeit abgenommen hat, insbesondere bezogen auf die interne Mobilisierung auf Telegram. In Brandenburg und Thüringen war die Verbindung zum Vorfeld viel enger. Hier haben neurechte Organisationen aus dem Identitären-Spektrum den Wahlkampf stark unterstützt und ihn teilweise mit konzipiert.AfD Wahlkampf in Thüringen nach Solingen 07.30

Die Auftritte des Vorfelds wirkten im EU-Wahlkampf rund um Spitzenkandidat Maximilian Krah sehr aggressiv. Hat sich die Ansprache in den Landtagswahlkämpfen geändert?
Der Social-Media-Wahlkampf von Krah hat auch innerhalb der AfD polarisiert und Konflikte hervorgerufen, die dem Wunsch nach einem geeinten Auftreten der Partei widersprachen. Zwar waren die Kampagnen in Thüringen ebenso auf den Spitzenkandidaten Björn Höcke zugespitzt, aber man konnte im Umfeld doch eine gewisse Zurückhaltung sehen, verglichen mit dem sehr turbulenten Europa-Wahlkampf von Krah. 

Welche Plattform hat die AfD in den Wahlkämpfen wie für sich genutzt?
Telegram wurde und wird zur internen Mobilisierung genutzt. Facebook wurde vor allem für Beiträge wie Homevideos genutzt, um eine gewisse Nähe herzustellen. Und auch, um gezielt Wahlwerbung zu schalten. X wurde genutzt, um die Medien anzusprechen und Skandale zu produzieren. 

Youtube hingegen war in der Hinsicht relevant, als dass hier viele Wahlkampfauftritte gestreamt wurden, insbesondere durch Streamer aus dem rechten Spektrum, die durch die Kommentarfunktion den Zuschauern eine gewisse Partizipation an den Veranstaltungen ermöglicht haben, ohne selbst da gewesen zu sein.

Tiktok ist nach wie vor ein Testfeld – auch für die AfD. Während der Ost-Wahlkämpfe konnten wir nur gut zwei Dutzend AfD-Accounts sehen, die die Plattform professionell genutzt haben. Ansonsten hat sich der Content durch digitalen Amateurismus ausgezeichnet. PAID Das rechte Netzwerk der Desiderius-Erasmus-Stiftung 17.10

Dennoch scheint die AfD ja sehr viele Nutzer zu erreichen. Immer wieder wird berichtet, auf Tiktok seien es etwa dreimal so viele wie alle anderen Partei zusammen. Also nutzt sie die Plattform doch erfolgreicher als die Konkurrenz?
Das hat mehrere Gründe. Parteien aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum sind traditionell früh dabei, sich neue Plattformen anzueignen. Das liegt zum einen daran, dass sie weniger Zugang zu klassischen Medien haben, und zum anderen, dass sie so ihre Thesen möglichst ungefiltert verbreiten können. Die große Reichweite entsteht, weil der Content der AfD durch die Vorfeld-Organisation organischer geteilt wird. Es gibt viel mehr Accounts, die sich in den Dienst der Partei stellen. 

Warum ist das so?
Das mag aus unterschiedlichen Gründen der Fall sein: weil man sehr eng mit der Partei verbunden ist, weil man provozieren will, oder damit man selbst eine gewisse Sichtbarkeit aufbaut. Es ist eine Schattenarmee von digitalen Aktivisten, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass viele Fan-Accounts von bestimmten Politikerinnen und Politikern der Partei geschaffen werden. Und diese Politiker unterbinden wiederum diese Fan-Accounts bewusst nicht. 

Es sind Strategien, die die AfD über Jahre eingeübt hat. Sie setzt ein polarisierendes Thema. Dann nutzt sie die ständige Wiederholung und ein ‚instrumentelles‘ Verhältnis zu Wahrheit, um es immer wieder zu befeuern. Und durch abgesprochenen Aktivismus im Netz simuliert sie eine gewisse Masse an Unterstützern und damit die Deutungshoheit. Dann springen die klassischen Medien auf und verhelfen dem Narrativ zu noch mehr Reichweite. 

Lassen sich die klassischen Medien also immer noch zu sehr von den Skandalen der AfD beeinflussen und springen über diese sprichwörtlichen Stöckchen?
Das ist ein Kreislauf, aus dem die klassischen Medien nur schwer herauskommen. Skandalträchtiges bringt Klicks und Aufmerksamkeit. Aber was der Gesellschaft hier guttun würde, wäre ein distanzierteres Verhältnis und nicht, sich immer von der AfD treiben zu lassen.