Meinung: Lindner, Milei, Musk: Wir haben ein Populismus-Problem

Christian Lindner warnt vor einer neuen Schuldenkrise. Das Problem sind aber nicht Schulden, sondern der Populismus. Lindner weiß das – und setzt sich trotzdem darüber hinweg.

Eines muss man Christian Lindner lassen: Dafür, dass seine Partei seit Monaten im Bund mit Umfragewerten von drei bis vier Prozent deutlich jenseits der politischen Todesschwelle dahinsiecht, bringt er noch ganz schön Leben in die Bude. „D-Day“, „offene Feldschlacht“, „ein bisschen mehr Milei und Musk“ – selten hat ein Politiker mit ganz wenigen Sätzen und Auftritten für so einen öffentlichen Aufruhr gesorgt.  

Der FDP-Chef erinnert damit inzwischen allerdings fatal an seinen Vorgänger Philipp Rösler. Als dessen Umfragewerte und Wahlergebnisse ab Sommer 2011 von Woche zu Woche schlechter wurden, versuchte es Rösler mit immer schrilleren Ansagen. Darauf angesprochen, was er denn damit bezwecke, antwortete Rösler: „Der Drache steigt nur im Wind.“ Was so viel heißen sollte wie: „Auch schlechte Presse ist Presse.“ Hauptsache, man wird überhaupt wahrgenommen.  

US-Wahl Trumpismus in Deutschland 20.00

Elf Jahre, nachdem Lindner von eben diesem glücklosen Philipp Rösler den Parteivorsitz übernommen und die Partei aus der außerparlamentarischen Opposition erst zurück in den Bundestag und dann sogar in Regierungsverantwortung geführt hat, ist die FDP wieder da, wo Lindner sie einst aufgelesen hat. Das ist bitter und macht den FDP-Chef zu einer der großen tragischen Figuren der deutschen Politik.  

FDP hält an Lindner fest

Dies gilt umso mehr als er nach wie vor eines ihrer größten politischen Talente ist: scharfsinnig, rhetorisch versiert, extrem sensibel für Stimmungen und Trends. Diese Kombination von Fähigkeiten findet man leider selten im heutigen Bundestag. Was erklärt, warum seine Partei auch in der größten Krise und trotz seiner eigenen Verstrickung in den Niedergang an Lindner ziemlich unbeirrt festhält.  

Es ließe sich jetzt viel sagen zur verhängnisvollen Verengung des Liberalismus auf ganz wenige Themen und Schlagworte. Diese Verengung hat Lindner nicht allein zu verantworten, er hat sie aber trotz seines Talents nie überwunden. Man könnte auch über seine Glaubwürdigkeit sprechen, wenn er sagt, er habe den Masterplan seines engsten Mitarbeiters zur Beendigung der Ampelkoalition „nicht zur Kenntnis genommen“ – eine so verräterisch gedrechselte Formulierung, dass Presse- und Medienanwälte darauf stolz sein werden. Oder über die gezielte Provokation mit Milei und Musk, von denen sich Deutschland mal eine dicke Scheibe abschneiden sollte.  

Geschenkt – wir werden sehen, wohin dieser Drache Lindner und die FDP noch trägt.  

Lindner warnt vor Schuldnekrise

Auffällig war in seinen Auftritten noch ein anderer Aspekt: die Warnung vor der Rückkehr der europäischen Schuldenkrise. In der Diskussion über die künftige Finanzierung von Investitionen und Steuerentlastungen in Deutschland durch neue Schulden sagte Lindner am Sonntagabend in der ARD: „Es könnte eine neue Staatsschuldenkrise in Europa drohen. Das Fundament des Euros wird unterspült durch Schulden wie vor 15 Jahren, das ist meine Sorge. Wenn wir als Deutsche die europäischen Fiskalregeln brechen, dann werden Frankreich und Italien erst recht keine Disziplin mehr haben.“ 

Der Hinweis war gleich mehrfach bemerkenswert. Zum einen, weil der Ex-Finanzminister Lindner natürlich die Folgen dessen, was sich in Frankreich diese Woche anbahnte und dann auch tatsächlich eintrat, genau abschätzen kann: eine wachsende Verunsicherung an den Anleihemärkten angesichts einer tiefen Regierungs- und Vertrauenskrise. Zum anderen sprach Lindner die Warnung aus, nachdem er kaum zehn Minuten zuvor noch seinen Respekt für so umstrittene Populisten und Rechtslibertäre wie Javier Milei und Elon Musk formuliert hatte.

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Es ist schon eine spektakuläre Verdrehung von Ursache und Wirkung, die Lindner mit seinem rhetorischen Talent in wenigen Sätzen hinbekommt. Sollte sich Frankreichs Regierungskrise tatsächlich in den kommenden Wochen zu einer europäischen Schuldenkrise auswachsen (was unwahrscheinlich, aber nicht komplett ausgeschlossen ist), dann nicht etwa, weil Frankreichs Schuldenstand oder sein akutes Haushaltsdefizit plötzlich Zweifel an seiner Zahlungsfähigkeit ausgelöst haben. Ja, Frankreichs Schulden sind mit knapp 115 Prozent des BIP hoch, das aktuelle Haushaltsdefizit mit gut sechs Prozent ist sogar noch gravierender. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass Frankreichs Wirtschaft seit Jahren stärker und dynamischer wächst als die deutsche.  

Nein, Frankreichs größtes Problem ist der Populismus, der rechte wie der linke. Die extrem Rechten und die extrem Linken im Land können sich auf nichts einigen – außer auf den Sturz der Regierung. Frankreich steuert auf eine Unregierbarkeit zu, die in jedem Land bei Investoren Zweifel und Sorgen wecken würde, egal, wie hoch die Schulden sind.  

Vertrauen ist wichtiger als Schuldenstand

Damit zahlt Frankreich den Preis für die Übermacht des Populismus. Ähnliches könnte den USA drohen, wenn Donald Trump dort demnächst seine Steuer- und Zoll-Pläne wahrmacht und zugleich der US-Notenbank Fed in ihre Zinspolitik reinreden sollte. Die Macht dazu hätte er. „Man muss nicht Lindner heißen, um das unverantwortlich zu finden“, sagte uns vor einigen Wochen der US-Ökonom Adam Posen.  

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Nicht der Schuldenstand eines Staates entscheidet über das Vertrauen der Finanzmärkte, sondern die Solidität seiner Institutionen: Finanzverwaltung, Notenbanken, Justiz – jene Institutionen, die von Leuten wie Milei in Argentinien bereits mit der Kettensäge bearbeitet werden oder denen dies mit Elon Musk in den USA noch bevorsteht.

Lindner ist zu klug, um diesen gefährlichen Zusammenhang zwischen Populismus und Staatsfinanzen nicht zu kennen. Er setzt sich darüber hinweg, um einmal mehr ein bisschen Zoff und Krawall zu erzeugen. Die in Deutschland dringend notwendige Debatte darüber, wie eine nächste Bundesregierung die gigantischen Aufgaben in den kommenden Jahren bewältigen soll, bringt er so keinen Millimeter weiter. Vielmehr erinnert er damit nur ein weiteres Mal an seinen Vorgänger Rösler. Nach einer seiner vielen verlorenen Wahlen wurde der gefragt, ob er oder seine Kollegen es vielleicht übertrieben hätten im Wahlkampf. Zerknirscht zitierte Rösler damals eine alte Handwerker-Weisheit: „Nach fest kommt ab.“  

Für Linder gilt heute Ähnliches: Er ist ein begnadeter Oppositionspolitiker. Aber in der Regierung ist er leider fehl am Platz. Was umso tragischer ist, als das Land eine seriöse liberale Reformkraft, die nicht nur Sprüche klopft, wirklich gut gebrauchen könnte.

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