Nach der Europawahl dürften auch die Berliner Parteien viel Diskussionsstoff haben. Richtig freuen kann sich eigentlich nur eine neue politische Größe.
Trotz deutlicher Verluste im Vergleich zu 2019 sind die Grünen bei der Europawahl in Berlin stärkste Kraft geworden. Nach Auszählung aller Stimmbezirke landete die Partei am Sonntag mit 19,6 Stimmen auf dem ersten Platz. Bei der Europawahl 2019 hatten die Grünen noch 27,8 Prozent der Stimmen erzielt.
Die CDU legte leicht zu und kam mit 17,6 Prozent auf den zweiten Platz. Mit 13,2 Prozent erzielte die SPD ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Europawahl in Berlin und kam als drittstärkste Kraft ins Ziel.
Einen Zugewinn verzeichnete die AfD, die mit 11,6 Prozent auf Platz vier landete. Das erstmals angetretene Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erzielte 8,7 Prozent, die Linke kam nach deutlichen Verlusten auf 7,3 Prozent.
Die nicht im Landesparlament vertretene FDP erreichte 4,3 Prozent und lag damit noch hinter der Partei Volt (4,8 Prozent). Die Partei des Satirikers Martin Sonneborn kam auf 3,4 Prozent, die Tierschutzpartei auf 2,1 Prozent. An der Wahl beteiligten sich 62,3 Prozent der rund 2,5 Millionen Berliner Wahlberechtigten, etwas mehr als 2019 (60,6 Prozent).
Auf Bundesebene gewannen CDU und CSU die Europawahl in Deutschland mit großem Abstand, die AfD wurde zweitstärkste Kraft. Dahinter rangieren SPD, Grüne und mit weitem Abstand FDP und Linke. In Ostdeutschland wurde die AfD bei der Europawahl stärkste Partei.
CDU-Generalsekretärin Ottilie Klein äußerte sich erfreut über den Wahlsieg der Union auf Bundesebene. „Die Menschen haben sich damit erneut für ein starkes Europa mit einer starken politischen Mitte ausgesprochen.“ Die Berliner Grünen zeigten sich hingegen nicht zufrieden. „(…) Ohne Zweifel hätten wir uns mehr von diesem Abend und für Europa erhofft“, erklärten die Landesvorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai. Zum Abschneiden in Berlin sagten sie: „Das Ergebnis zeigt, dass es für den Senat mit seiner ungerechten und ambitionslosen Politik in Berlin nicht einfacher werden wird.“
Die neuen SPD-Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel bewerteten das Abschneiden ihrer Partei als sehr bitter und enttäuschend. „Das Ergebnis ist für uns Ansporn, unser inhaltliches Angebot an die Berlinerinnen und Berliner neu aufzustellen, um Vertrauen zurückzugewinnen.“
Die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker sieht das Abschneiden ihrer Partei in Berlin positiv. „Die AfD hat zugelegt und ein zweistelliges Ergebnis eingefahren“, sagte sie. Das zeige: Die Wähler ließen sich nicht beirren von durchsichtigen Kampagnen gegen ihre Partei.
„Das Ergebnis für die Linke ist desaströs, da gibt es nichts zu beschönigen“, kommentierte ihr Landeschef Maximilian Schirmer vor allem mit Blick auf das bundesweite Ergebnis. Die Linke müsse daraus Konsequenzen ziehen und sich inhaltlich und personell neu aufstellen.
Entsetzt zeigten sich CDU, SPD und Linke über das bundesweite Abschneiden der AfD. „Wir erleben einen dramatischen Rechtsruck, dem wir uns konsequent entgegenstellen werden“, sagte Schirmer. „Dass trotz der zahlreichen Skandale so viele Menschen die in Teilen offen rechtsextreme AfD gewählt haben, ist erschreckend“, meinten Böcker-Giannini und Hikel. CDU-Generalsekretärin Klein sagte: „Äußerst bedenklich ist der Stimmengewinn bei den Gegnern Europas, AfD und BSW.“
Rund 2,5 Millionen Menschen waren in der Hauptstadt zur Europawahl aufgerufen, darunter erstmals auch schon 16- und 17-Jährige. Wie schon bei vergangenen Wahlgängen zeigten sich in den Bezirken teils große Unterschiede bei den politischen Präferenzen der Wähler.
In sechs der zwölf Bezirke schnitten die Grünen als stärkste Partei ab, in je drei Bezirken CDU und AfD. Die Grünen erzielten ihr bestes Ergebnis mit 31,9 Prozent in Friedrichshain-Kreuzberg, die CDU mit 28,2 Prozent in Reinickendorf und die SPD mit je 16,3 Prozent in Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau. Die AfD schnitt am besten in Marzahn-Hellersdorf ab (25,3 Prozent). Bemerkenswert: In den Ost-Bezirken kam auch das BSW auf ihre besten Ergebnisse, allen voran in Marzahn-Hellersdorf mit 17,1 Prozent.
Es war bereits der vierte Wahlgang innerhalb von knapp drei Jahren. Zwar betrifft die Wahl zum Europäischen Parlament, die in der gesamten EU stattfand, nicht direkt die Berliner Landespolitik. Sie galt aber nach gut 13 Monaten Schwarz-Rot als Stimmungstest. 34 Parteien standen auf dem Stimmzettel (2019: 40). Zu nennenswerten Zwischenfällen kam es am Sonntag laut Landeswahlleiter Stephan Bröchler nicht.
Infos Landeswahlleitung zur Europawahl