Was bedeutet die Ampel-Pleite für den Kanzler, was der Unionssieg für die K-Frage? Was passiert nach den Ost-Landtagswahlen? Und driftet die EU weiter nach rechts? Vier Antworten nach der Europawahl.
Nach der Europawahl feiern vor allem die rechten Parteien. So sind etwa in Österreich und Frankreich die Rechtspopulisten stärkste Kraft geworden. Auch in Deutschland verbuchte die AfD Gewinne und landete im Osten sogar auf Platz eins. Die Ampel-Koalition unter Führung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) fuhr eine Pleite ein – kein gutes Omen für die Landtagswahlen im Herbst in drei ostdeutschen Bundesländern.
Wie die Bundeswahlleiterin am frühen Montagmorgen nach Auszählung aller 400 Kreise auf ihrer Homepage mitteilte, steigert sich die Union leicht auf 30,0 Prozent (2019: 28,9). Die AfD erreicht mit 15,9 ihr bislang bestes Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung (2019: 11) – es fällt allerdings niedriger aus als zwischenzeitliche Umfragewerte. In Ostdeutschland ist die Partei mit großem Abstand stärkste Kraft. Die SPD, die im Wahlkampf auch auf Kanzler Olaf Scholz als Zugpferd setzte, fällt auf 13,9 Prozent (15,8) – ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl überhaupt. Die Grünen rutschen ab auf 11,9 Prozent (20,5). Nur leicht verliert die FDP, die auf 5,2 Prozent (5,4) kommt.
Die Linke landet bei mageren 2,7 Prozent (5,5) – ihr schlechtestes Ergebnis bei Europawahlen. Die Partei BSW erreicht aus dem Stand 6,2 Prozent. Die Freien Wähler kommen auf 2,7 Prozent (2,2), die Partei Volt liegt bei 2,6 Prozent (0,7).
Bei der Europawahl in Deutschland gilt anders als bei Bundestags- und Landtagswahlen keine Sperrklausel, also etwa eine Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung liegt laut Hochrechnungen bei 65 Prozent. 2019 waren es 61,4 Prozent, damals lag Deutschland auf Platz 5 im Vergleich der 27 EU-Staaten. Erstmals durften in Deutschland bei einer Europawahl auch 16- und 17-Jährige abstimmen. Antworten auf vier Fragen, die sich nach dem Ergebnis stellen.
Könnte es nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg einen AfD-Ministerpräsidenten geben?
Wenn die AfD Ergebnisse holt wie jetzt bei der Europawahl, könnte sie knapp an dieses Ziel herankommen – und ganz ausgeschlossen ist es zumindest in Sachsen nicht. Würden die Landtagswahlergebnisse im Freistaat so ähnlich ausfallen wie jetzt bei der Europawahl, könnte es theoretisch passieren, dass nur AfD, CDU und Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in den Landtag einziehen und alle anderen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Würden nun CDU und BSW auch noch weniger Sitze als die AfD erringen, was beim Blick auf das Europawahlergebnis ebenfalls nicht ausgeschlossen scheint, könnten sie die Wahl eines AfD-Ministerpräsidenten nicht verhindern.
Wie gefährlich ist das Wahlergebnis für Scholz und die Ampel?
Der französische Präsident Emmanuel Macron machte am Wahlabend kurzen Prozess. Nur eine Stunde nach Verkündung der krachenden Wahlniederlage seines Mitte-Blocks gegen die Rechtsnationale Marine Le Pen kündigte er kurzerhand eine Neuwahl des Parlaments an, die schon in drei Wochen stattfinden soll. „Ich kann also am Ende dieses Tages nicht so tun, als ob nichts geschehen wäre“, sagte er.
Wäre das auch was für Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit seiner SPD das bisher schlechteste Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl eingefahren hat? Die Union fordert von ihm bereits, die Vertrauensfrage zu stellen. Und dafür gäbe es auch ein historisches Vorbild: 2005 machte der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder nach einer Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen genau das, um eine Neuwahl des Bundestags zu erwirken.
Scholz ist allerdings nicht der Typ, der einfach mal so hinwirft. Am Wahlabend schlenderte er demonstrativ gelassen über die Wahlparty im Berliner Willy-Brandt-Haus und machte in aller Ruhe Selfies mit den Genossen – als wenn nichts geschehen wäre. Die nächsten Wochen könnten aber ungemütlich für ihn werden. SPD-Chef Lars Klingbeil lässt bereits durchblicken, dass seine Partei nun eine härtere Gangart in der Koalition einschlagen wird. Vielleicht dann ja auch mal auf Kosten des Kanzlers. „Unsere Leute wollen uns kämpfen sehen“, sagte Klingbeil am Wahlabend. Aber auch die Wahlschlappen der Grünen und der FDP werden der Kompromissbereitschaft in der Koalition nicht zuträglich sein – und das mitten in schwierigen Haushaltsverhandlungen, die bis zum 3. Juli abgeschlossen werden sollen. Der Ampel dürften also turbulente Wochen bevorstehen.
Wird CDU-Chef Friedrich Merz jetzt Kanzlerkandidat der Union?
Das ist noch offen. Zurücklehnen kann sich Merz jedenfalls nicht. Zwar ist angesichts des klaren Unionssiegs nicht unbedingt zu erwarten, dass direkt am Montag eine unionsinterne Debatte losbricht, ob der 68 Jahre alte Sauerländer tatsächlich der richtige Kandidat wäre, um Scholz nach der nächsten Bundestagswahl abzulösen. Aber ausgeschlossen ist das nicht. Schon lange wird Merz beispielsweise vorgeworfen, er komme weder bei Jüngeren noch bei Frauen gut an.
Laut einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vom Sonntag liegt die AfD in der Gruppe der 16- bis 24-Jährigen mit 17 Prozent gleichauf mit der Union, die von den Jungen nur gut halb so viele Stimmen wie insgesamt bekommt. Gut möglich, dass in der Union auch über den Kurs von Merz bei Sicherheit und Migration diskutiert wird. Laut einer vorläufigen Analyse der Wählerwanderung von Infratest Dimap für die ARD sind von der Union zur AfD 600.000, zum BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) 250.000 und zu den Nichtwählern 1,28 Millionen Menschen abgewandert. Auch das könnte Merz mit angekreidet werden.
In der K-Frage, die CDU und CSU nach den Landtagswahlen im September entscheiden wollen, haben die Wahlanalysen für Merz ebenfalls nicht wirklich Erfreuliches parat. So sind laut Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vom Sonntag zwar 66 Prozent der Bürger mit der Bundesregierung unzufrieden – aber nur 30 Prozent meinen, dass CDU/CSU die Sache besser machen würde. Weder Merz noch CSU-Chef Markus Söder können sich demnach zudem beim Ansehen klar von Scholz absetzen.
Geben jetzt Le Pen, Meloni und Co in der EU den Ton an?
Nein. Der Kurs der EU wird in erster Linie vom Europäischen Rat vorgegeben und dort ändert sich durch die Europawahl erst einmal nichts. Im Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, stellen die Parteien des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP derzeit 13 Mitglieder und sind damit mit Abstand das größte Lager.
Im Europaparlament bleibt die EVP ebenfalls deutlich stärkste politische Kraft. Selbst wenn sich alle rechten Parteien zusammenschließen würden, kämen sie voraussichtlich auf weniger als 200 der künftig 720 Sitze und wären damit von einer Mehrheit weit entfernt. Das bedeutet, dass EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen rein rechnerisch nicht auf Stimmen aus dem Rechtsaußen-Lager angewiesen ist, um sich ein zweites Mal zur Präsidentin der EU-Kommission wählen zu lassen.
360 Millionen Bürger waren wahlberechtigt
In den 27 EU-Staaten waren rund 360 Millionen Bürger wahlberechtigt, davon knapp 61 Millionen Deutsche. Gewählt wurde von Donnerstag bis Sonntag – je nach Land – 720 Abgeordnete für das neue Europäische Parlament, davon am letzten Tag 96 in Deutschland. Abgesehen von der Parlamentswahl in Indien ist es die größte demokratische Abstimmung weltweit – und die einzige Direktwahl über Staatsgrenzen hinweg.