Tomoaki Hamatsu ließ sich 15 Monate nackt in einen Raum sperren. Er bekam nur das, was er durch Preisausschreiben gewann. Was er nicht wusste: Er hatte Millionen Zuschauer.
Seine Geschichte erinnert an den Film „Die Truman Show“, in der Jim Carey ohne zu wissen Hauptdarsteller einer Fernsehserie über sein eigenes Leben wird. Doch die Story des japanischen Comedians, Tomoaki Hamatsu, genannt Nasubi, ist tatsächlich real, wie der Dokumentarfilm „The Contestant“ (DisneyPlus) zeigt.
Im Januar 1998 bewirbt sich der aufstrebende Comedian für die damals sehr erfolgreichen Reality-Sendung „Susunu!Denpa Shōnen“. In der werden junge Leute Härtetests unterzogen. Sie ist damals eine der beliebtesten Shows in Japan. Nasubi wird zu einem Vorsprechen eingeladen. Zu seinem Erstaunen entscheidet ein Los über sein Weiterkommen. Doch er ahnt nicht, was in den folgenden Monaten auf ihn zukommt.
Tomoaki Hamatsu freute sich, wenn er mal wieder Lebensmittel gewann – doch niemand sah, wie der Japaner litt
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Eingesperrt in einen kleinen Raum mit einem Regal voller Magazine, muss sich der 22-Jährige nackt ausziehen. Vor ihm liegen auf einem Tisch mehrere Stapel Postkarten sowie ein Radio, ein Kugelschreiber und ein Telefon. Fortan muss er an Preisausschreiben teilnehmen, um Preise im Wert von einer Millionen Yen zu gewinnen (damals rund 12.300 D-Mark). Der Produzent Toshio Tsuchiya erklärt ihm zwar, dass er gefilmt würde, verspricht aber, dass das meiste ohnehin nicht gesendet würde und sie erst einmal Material sammeln würden. „Ich wollte damals etwas Erstaunliches, etwas Unglaubliches einfangen. Einen menschlichen Aspekt, den nur ich und nur diese Show festhalten könnten“, so Tsuchiya.
Tomoaki Hamatsu bekam Cracker, damit er nicht verhungert
„Mir war klar, dass ich gefilmt werde. Ich dachte aber, das Projekt wird möglicherweise niemals veröffentlicht, weil es nicht witzig ist“, erinnert sich Nasubi. Über seine Genitalien legen die Produzenten eine großes Auberginen-Emoji – eine Anspielung auf seinen Spitznamen Nasubi, welches das japanische Wort für Aubergine ist.
Hier erfährt der völlig verwirrte Tomoaki Hamatsu auf der Bühne vor einem johlenden Publikum, dass er die ganze Zeit nackt auf Sendung war
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Fortan bemüht sich Nasubi, jede Woche einen Gewinn einzusacken. Weil er nichts gewinnt, bekommt er Cracker, damit er nicht verhungert. Nach 17 Tagen denn endlich der erste Gewinn: zwölf Portionen Gelee. „Es hat nicht gereicht, um satt zu werden oder es zu genießen, aber um am Leben zu bleiben“, so der Japaner. Jeden Tag schreibt er unzählige Postkarten – zu Spitzenzeiten 300 bis 400 Stück. Einmal gewinnt er einen Sack Reis, kann ihn jedoch nicht zubereiten, weil er keine Pfanne hat. Mithilfe des eines Plastikbehälters, den er mit Wasser füllt und neben der Herdplatte platziert, schafft er es zumindest, sich eine Art Porridge herzustellen. Mal gewinnt er Schokolade, mal Sake, Fleisch, Erdbeeren und sogar einen Hummer. Doch das meiste kann er nicht essen: einen Staubsauger, eine Pokèmon-Tischmatte, einen Globus, ein Stofftier, ein Zelt, Golfbälle, Autoreifen und Hundefutter. Das muss er jedoch essen, als ihm der Reis ausgeht. Kleidung gewinnt er – mit Ausnahme von Damenunterwäsche, die ihm zu klein ist – nie.
Nasubi wird unwissentlich zum Quotenhit
Der 22-Jährige baut mental und körperlich immer mehr ab. Er wird immer dünner, Haare und Fingernägel immer länger. Er friert, hat Hunger und droht, den Verstand zu verlieren. Sogar Selbstmordgedanken überkommen ihn. Er versucht mit Singen, Tanzen, Grimassenschneiden und Turnübungen seiner Einöde zu entfliehen. Doch die Isolation macht ihm zu schaffen. Er sehnt sich nach menschlichen Kontakten: „Sie haben nie gezeigt, wie einsam ich wirklich war. Ich hatte wohl gehofft, dass das Filmteam für mich da war (…)“. Doch der Produzent verbietet dem Team, sich mit Nasubi zu unterhalten. „Bei der Herausforderung ging es ja um Isolation“, so Tsuchiya.
Was Nasubi die ganze Zeit nicht mitbekommt: Er wird zum Quotenhit. Jede Woche schalten 30 Millionen Zuschauer die Sendung mit dem Titel „Ein Leben in Preisen“ ein. Weil Medien seinen Standort herausfinden, muss er nach fünf Monaten umziehen. Obwohl die Türen nicht verschlossen sind und er jederzeit gehen kann, tut er es nicht. „Man verliert den Willen, auszubrechen“. Auch seine Mutter will ihren Sohn zwischenzeitlich aus den Fängen der Fernsehshow befreien. „Aber ich wusste nicht, wen ich kontaktieren sollte“, sagt sie.
Nach einem Jahr hat er es endlich geschafft und Preise im Wert von einer Million Yen zusammen. Doch damit ist die Show noch nicht vorbei. Stattdessen verfrachten ihn die Produzenten nach Südkorea, wo er weitere drei Monate nackt in einem Zimmer mit Zeitschriften verbringen muss. Nur mit dem Unterschied, dass er die Sprache nicht kann und erst einmal Koreanisch lernen muss.
Die Doku „The Contestant“ erzählt die Geschichte von Tomoaki Hamatsu
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Als er auch hier sein Ziel nach drei Monaten erreicht, wird er im April 1999 vom Produzenten mit verbundenen Augen und Ohren auf ein Schiff Richtung Japan verfrachtet, wo er live im Fernsehen auf die Bühne geholt und in eine Box geführt wird. Nichts ahnend zieht er sich auch hier wieder nackt aus. Selbst die Moderatorin scheint geschockt, dass ihn niemand davon abhält. Schließlich fallen unter dem Gejohle der Zuschauer die Wände zur Seite.
Völlig geschockt sitzt Nasubi anschließend minutenlang regungslos da, der Mund offen, seine Hände mit den inzwischen krallenartig langen Fingernägeln eigenartig verkrampft. Er ist sichtlich überfordert mit der Situation. „Ich dachte, das würde TV-Geschichte schreiben“ erinnert sich der Produzent an die denkwürdige Szene. Als ihn die Moderatoren beglückwünschen und ihm offenbaren, dass er die ganze Zeit über live im TV zu sehen war und die ganze Nation ihn jetzt kennt, kann es Nasubi kaum glauben. „Ich verstand wirklich nicht, was da gerade passiert war. Es war so surreal. Ich war völlig gelähmt.“
Zwar ist er fortan berühmt, doch ein Preisgeld gibt es nicht. „Ich habe nie einen Vertrag unterschrieben und sah das als meinen ersten großen Job“, so Nasubi. Nach dem Experiment fühlt er sich lange Zeit mental und körperlich erschöpft. Der anschließende Medienrummel macht ihm zu schaffen. „Ich wusste nicht mehr, wie ich mit Leuten reden sollte oder wo ich beim Gespräch hinschauen soll.“ Erst als er die Liebe zum Bergsteigen für sich entdeckt, gewinnt er seine Kraft zurück und bezwingt sogar den Mount Everest.
15 Jahre später gibt es auch ein Wiedersehen mit dem Produzenten der Show: „Es wäre gelogen, wenn ich sage, ich hege keinen Groll gegen Tsuchiya. Das tue ich“, sagt Nasubi. „Aber ich glaube, ich habe auch durch meine Zeit in der Show etwas Bedeutendes gewonnen. Mir ist klar geworden, dass Menschen nicht alleine existieren können“.
Sehen Sie oben im Video: 2000 wurde die erste deutsche Staffel der Sendung „Big Brother“ ausgestrahlt. Was mit den Kandidaten der ersten Stunde seitdem passiert ist, zeigt eine Zeitreise im Video.
Quelle: Disney Plus „The Contestant“