Weihnachten in der Heimat ist schön, nicht? Unsere Autorinnen streiten sich über diese Frage. Warum, das erzählen sie hier.
Warum ich gerne zu Weihnachten nach Hause komme:
Seitdem ich denken kann, läuft jeder Heiligabend ungefähr gleich ab: Erst wird gegessen, dann beschert, dann gespielt und am Ende gibt es in geselliger Runde Glühpunsch. Man könnte jetzt denken, dass das mit der Zeit ganz schön langweilig werden kann. Aber es ist genau das, was mich bereits Tage vorher mit Vorfreude erfüllt. Und es ist nur einer von vielen Gründen, warum ich jedes Jahr aufs Neue mit einem wohligen Gefühl in der Magengegend die Reise in die Heimat antrete.
Heimat, was bedeutet das überhaupt? Das Wort mag jeder von uns mit etwas anderem verbinden. Für die einen ist es ein Ort, für andere ein Mensch, manche finden Heimat wiederum am ehesten in sich selbst. Für mich ist Heimat eine Mischung aus alledem. Heimkommen bedeutet deshalb, dahin zurückzukehren, wo man aufgewachsen ist, alte Bekannte wiederzusehen und wertvolle Zeit mit der Familie zu verbringen.
Interview Katy Karrenbauer 16.48
Weihnachten im Schoße der Familie
Jedes Jahr, wenn ich an Weihnachten nach Hause fahre, tausche ich für ein paar Tage den Großstadttrubel gegen das beschauliche Treiben in meinem 2000-Seelen-Dorf. Die Brötchen für das Frühstück hole ich dann bei dem Dorfbäcker, der sich noch immer an mein Lieblingsgebäck aus Kindheitstagen erinnern kann. Auf dem Weg dorthin grüße ich wieder jeden lächelnd, der mir über den Weg läuft und wünsche ein frohes Fest – ganz egal, ob ich die Person kenne, oder nicht.
Und damit bin ich nicht allein: Viele Freund:innen und Bekannte aus vergangenen Tagen, die nach der Schule in die weite Welt ausgeflogen sind, kommen zum Jahresende nach Hause. Es ist wie ein festliches und unfreiwilliges, aber umso schöneres Klassentreffen, bei dem man gemeinsam in Erinnerungen schwelgen und sich auf den neuesten Stand bringen kann. Heimkommen ist eine kleine Reise in die Vergangenheit.
Apropos: Unsere Kindheit spielt eine wesentliche Rolle dabei, welche Gefühle wir mit dem Heimkommen verbinden. Das, was wir als Kind mit einem Zuhause verknüpft haben, seien es Gerüchte, Geräusche oder bestimmte Orte, wird bei uns immer eine Art Wohlgefühl auslösen. Und genau dieses Gefühl ist es, das wir in unserer schnelllebigen Welt viel zu selten bewusst erleben.
Die Welt ist ein so verrückter Ort und wird zunehmend unübersichtlich; Beständigkeit und Sicherheit sind spätestens in den letzten Jahren zur kollektiven Utopie geworden. Für mich ist meine Heimat ein Ankerpunkt, der zumindest das Gefühl von Stabilität vermittelt, nach dem sich so viele Menschen in dieser Zeit sehnen. Ein paar Tage bei den Eltern abtauchen, bedeutet also auch irgendwie, mal wieder ein bisschen Kind sein dürfen und sich vom Weltschmerz erholen.
Familien: Zwischen Idylle und Heuchelei
Und damit kommen wir auch schon zum kritischsten Punkt am Heimkommen: dem Familientreffen. Weihnachten ist das Fest der Familie – das wird uns seit Kindheit an eingetrichtert. Und man kann die vermeintliche Familienidylle an den Festtagen sicher auch als Heuchelei abtun. Oder aber man versucht es versöhnlich zu sehen, wie die Psychotherapeutin Julika Zwack.
Sie sagte im Gespräch mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Wir versuchen an Weihnachten wider alle Erfahrungen, die wir miteinander jährlich machen, uns immer wieder neu miteinander zu verbinden. Das ist ein wunderbares Anliegen. Und dass wir es immer wieder versuchen, obwohl wir immer wieder daran scheitern, hat auch eine gewisse Schönheit. Wir geben an dieser Stelle nicht auf.“
Ob wir zu Weihnachten heimfahren oder nicht, das ist letztendlich eine bewusste Entscheidung, die jeder von uns für sich selbst treffen muss. Aber es hat doch auch etwas Schönes, sich jedes Jahr bewusst dafür zu entscheiden, die Festtage mit den Menschen zu verbringen, die einen am meisten geprägt haben.
Die bedürftige Tanne und das üppige Essen
Während Sie jetzt überlegen, welche Menschen für Sie Heimat sind, freue ich mich darauf, dass der Weihnachtsbaum mal wieder ein Mängelexemplar sein wird, weil meine Mutter wirklich immer die bedürftigste Nordmanntanne aussucht, um sie dann liebevoll und mit überdimensional viel Christbaumschmuck aufzupäppeln. Genauso wie über die Tatsache, dass es immer genug Essen für eine ganze Fußballmannschaft gibt, „damit wir auch alle satt werden“.
Es mag vielleicht banal und übertrieben klingen, aber es sind genau diese kleinen Dinge, die für mich Heimat bedeuten. Und zwar unabhängig davon, wie harmonisch das Jahr innerhalb der Familie verlief. Ich weiß, an Weihnachten haben wir uns alle einfach lieb. Und zwar, weil wir es so wollen und fühlen, nicht weil „man es so macht“. Und wenn es nur für ein paar Tage ist. Diese Momente kann einem niemand nehmen.
Warum ich dieses Jahr wieder nicht in meinem Heimatdorf Weihnachten feiere:
Chris Rea besingt es in „Driving Home for Christmas“, dieses wohlige Gefühl, das sich bei ihm und allen in den Autos um ihn herum einstellt, wenn sie sich auf den Weg nach Hause machen. Scheinbar muss sich jedes erwachsene Kind aufmachen, um in das Haus zurückzukehren, wo es aufgewachsen ist. Hinterfragt wird das selten.
Der Gedanke scheint zu abwegig, gar unverschämt: Wer das Netz durchforstet, stößt schnell auf ein paar Foren-Beiträge, in denen Menschen fragen, ob es verwerflich ist, wenn sie lieber alleine oder mit ihrem/ihrer Partner:in unter dem Christbaum sitzen wollen als mit der buckligen Verwandtschaft. Dieses Pflichtgefühl, hunderte Kilometer quer durch Deutschland zurückzulegen, um die Familie meines Freundes und meine Verwandten an den Feiertagen zu sehen, kenne ich nur zu gut.
Bei mir schlägt das Herz nicht höher, wenn ich mein Heimatdorf erreiche. So etwas wie Heimatgefühle habe ich dem Dorf gegenüber nicht. Vielmehr liegt mir ein Stein im Magen, weil ich weiß, dass ich Weihnachten dort nicht verbringen und nicht Jahr für Jahr die gleichen Diskussionen hören will.
Weihnachtsbesuch Nervige Eltern 20.44h
Es ist die Selbstverständlichkeit, die stört
Und verstehen Sie mich nicht falsch, mir ist Weihnachten wichtig – auch aus religiösen Gründen – und ich feiere es gerne! Mich nervt einfach diese furchtbare Erwartungshaltung. Ich soll mich an Weihnachten auf den Weg machen und die Tage mit meiner Großmutter, Eltern, Onkeln, Tanten und meinem Freund dort verbringen. Wie hoch der logistische Aufwand dahinter ist, in zwei Bundesländer quer durch Deutschland zu reisen und ob wir gerne so Weihnachten feiern möchten, spielt für einen großen Teil unserer Familien keine Rolle. Das nicht wirklich über Wünsche und Vorstellungen des Fests gesprochen wird, sorgt nicht selten für Konflikte: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinsituts YouGov streiten sich 34 Prozent der über 2.000 Befragten vor allem über Ablauf und Organisation der Weihnachtstage mit ihren Liebsten.
Pflichterfüllung und kein schönes Familienfest
Warum also tun wir es uns Jahr für Jahr wieder an, das Weihnachtsfest so zu verbringen, wie wir es „müssen“, statt die Feiertage so zu zelebrieren, wie wir es schön finden? Wir sind oft mehr damit beschäftigt, die Erwartungen der anderen zu erfüllen, statt auf uns selbst zu achten.
Mir ist es nicht wichtig, Weihnachten mit einigen meiner Familienmitglieder zu verbringen. Schlicht und ergreifend, weil wir uns sonst auch nicht wirklich nahestehen. Ein Beispiel: Meine Großmutter beschwert sich häufiger bei meiner Mutter darüber, dass ich mich zu selten melde. Obwohl ich das nur über Ecken erfahren habe, hatte ich erstmal ein schlechtes Gewissen und rief meine Oma dann ein paar Mal an. Der Witz daran: Die Gespräche dauerten Mal 30 Sekunden, mal eine Minute, bevor sie den Hörer auflegte…
Und auf meinem Festnetztelefon hat sie noch nie angerufen. Die Gelegenheit hätte sie aber gehabt, immerhin wohne ich schon seit über zehn Jahren nicht mehr in meinem Heimatdorf. Auch haben mich trotz mehrmaliger Einladung die meisten meiner Familienmitglieder noch nie besucht – sie hatten keine Zeit oder der Weg war ihnen zu weit. Aber für mich ist das kein Problem?
Weihnachten mit all den Verwandten hat die Magie verloren
Früher fand ich es toll, als Kind Heiligabend mit all meinen Omas, Opa, Tanten, Onkeln, Cousinen, Cousins und meinen Eltern zu verbringen. Doch die Magie ist mit den Jahren flöten gegangen. Übrig ist nur noch dieses fiese Gefühl in der Magengrube.
Und die Frage, warum ich überhaupt hinfahre, wenn es meine Tanten oder Cousinen in zehn Jahren nicht ein einziges Mal in eine meiner Wohnungen geschafft haben. Dafür scheine ich ihnen nicht wichtig genug zu sein. Die Wahrheit ist auch: Mittlerweile sind sie es mir auch nicht mehr. Also mache ich es in diesem Jahr zum zweiten Mal anders: Meine Eltern fahren zu mir und meinem Freund. Sie verstehen, warum ich gerne mal hier feiern möchte. Ein Weihnachten ohne gestresste Gastgeber:innen. Denn: Ich bin gerne Gastgeberin, stehe mit Freude stundenlang in der Küche und habe Spaß daran, den Christbaum zu schmücken. In diesem Sinne – feiern Sie so Weihnachten, wie Sie es mögen!
Unsere Stern-Autorinnen haben sich zum Schutz ihrer Familien dazu entschieden, ihre Geschichte nur anonymisiert zu erzählen. Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2023.