M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: 2024 – Ein Jahr wie ein Smoothie, leider ungenießbar

2024 war ein Jahr von erschlagender Ereignisdichte. Wie auf einem zu schnell laufenden Sushi-Laufband ziehen die Geschehnisse vorbei. Unser Autor blickt zurück.

Würde man die Bilder vom Anfang des Jahres unterlegen mit dem Sound vom Ende des Jahres, so könnte man annehmen, Zehntausende von Traktoren wären nur deshalb auf dem Wege nach Berlin, weil es im Adlon Dubai-Schokolade für 70 Euro gibt. Und die Hunderttausende, die in Hamburg am Jungfernstieg zusammengekommen sind, wären da, um sich ein Autogramm der Bestsellerautorin Angela Merkel zu holen, und nicht etwa, um gegen die AfD und ihre Remigrationspläne zu protestieren. Es ergäbe sich eine interessante Bild-Ton-Schere.

Was macht Robbie Williams bei Maischberger?

So ein Jahr geht schnell vorüber – dafür, dass es so verdammt lang ist. Man erinnert sich am Ende kaum noch an dessen Anfang. Alles verwischt, verschwimmt, wird zu einem einzigen Bilderbrei, einer Kakofonie, einem Smoothie aus Eindrücken. Wenn Robbie Williams plötzlich bei Maischberger hockt, weißt du so durchgeschüttelt von Ereignissen nicht mehr, warum er da eigentlich sitzt: Geht es um die Oasis-Reunion, oder wird er gleich mit Sahra Wagenknecht über Waffenlieferungen an die Ukraine diskutieren? Okay, klingt absurd. Was soll man mit einem überhypten Popstar ohne echtes Interesse an Politik da substanziell reden? Und Robbie Williams ist ja kaum besser.kurzbio beisenherz

Ist Sahra Wagenknecht womöglich die Dubai-Schokolade der Politik? Unangenehm beliebt und von fragwürdigem Nährwert. Was jetzt eine ganz schwierige Brücke zu Markus Söder ist. Der hat gerade für seinen Instagram-Account in Warschau History-Karaoke gespielt und recht dreist den geschichtsträchtigen Kniefall von Willy Brandt kopiert. Wer das inszenatorische Schaffen von Söder über das Jahr genauer verfolgt hat, könnte auf die Idee kommen, hier bückt sich einer, weil er statt Kranz eines von seinen Söder-Eiern niederlegen will. Zumal: Wenn Söder öffentlich ein Bäuerchen lässt, geht meistens Friedrich Merz in die Knie.

Eine Verbeugung, eine demütige Verneigung wäre durchaus angebracht, wenn wir an diejenigen denken, die dieses Jahr von uns gegangen sind: Alain Delon, Shannen Doherty, Andy Brehme, natürlich Franz Beckenbauer, aber auch Alexej Navalny, der es nicht mehr erleben sollte, dass das Regime seines übergroßen Feindes Putin fällt. Anders als Assad, bei dem es in Syrien plötzlich erstaunlich schnell ging. Schneller waren nur Politiker wie Jens Spahn, die, während die Syrer auf deutschen Straßen noch jubelten, schon mal in deren Schlafzimmer stand, um beim Koffer packen zu helfen. Schließlich bestimmte die „im großen Stil abschieben“-Debatte die Jahresmitte, und so ganz die Finger davon lassen will man selbst in der politischen Mitte nicht.

Donald Trump: Eben noch bei McDonald’s, jetzt US-Präsident

Klimaschutz? Ein Abschalter. In Niederösterreich war am Wahltag Jahrhundertflut, und bis zur Hüfte im Wasser watend, fragten die Leute, wo denn die Urne für die FPÖ stehe. Dass überhaupt schon Wahlkampf ist, hat damit zu tun, dass am Abend des 6. November die Ampel platzte, als Olaf Scholz den untreuen PowerPoint-Feldherrn Christian Lindner rausschmiss. Am Morgen des 6.11. wiederum gewann mit Donald Trump einer die Wahl, der beweist, dass es im unbegrenzten Amerika jemand zum Präsidenten bringen kann, der kurz zuvor noch bei McDonald’s gearbeitet hat. Aber weil sich Sozialdemokraten und Freidemokraten auf der nach unten offenen Pocher-Skala zerlegten, hat man den Trump-Triumph doch überraschend schnell verdrängt.Kommentar El Hotzo 15:07

Nein, es war kein gutes Jahr für Humor-Deutschland. Der eine stalkt die Ex und Mutter seiner Kinder auf jedem verfügbaren Kanal mit jämmerlichem Spott, der andere atomisiert sein Comeback mit Behinderten-Witzen in einem Talahon-Podcast, und mit El Hotzos promiskem Lausemädchen-Remake verliert jetzt auch noch die fingernagellackierte Achtsamkeits-Miliz die Galionsfigur des Male Feminism. Das Prinzip Reichelt, aber ironisch. Pietismus ist ein verdammt scharfkantiger Bumerang. Da kommt Thommy „ich meins ja nicht böse“ Gottschalk doch vergleichsweise ehrenhaft weg. Während Stefan Raab mit teuer verkauften Aufbackbrötchen aus der Frührente zurück ist.

Es war ein Jahr von erschlagender Ereignisdichte. Wie auf einem zu schnell laufenden Sushi-Laufband ziehen die Geschehnisse vorbei. Und so taumeln wir, doch eigentlich noch ermattet von diesem Jahr in ein neues, das uns vom ersten Tag an mit Parolen, Wahlkampfslogans und Etiketten zu ermüden droht. Aber wenn wir spätestens ab 2016 eines gelernt haben, dann das: Das vermaledeite Jahr, das wir am Silvesterabend mit Sekt in der Hand zum Teufel jagen, wird uns schon im Januar wie die gute alte Zeit vorkommen.