Artenschutz: Berichte zur Biodiversität: Warum viele Ansätze scheitern und was wirklich hilft

Der Schwund der Biodiversität hängt eng mit Klimawandel, Gesundheit, Wasser oder Ernährung zusammen. Zwei neue Berichte raten, Krisen endlich übergreifend anzugehen.

Gleich zwei Berichte hat der UN-Expertenrat für Biodiversität IPBES diese Woche in Namibias Hauptstadt Windhoek vorgestellt. Schon die Worte zum ersten UN-Report zur globalen Artenvielfalt waren groß gewählt: Von einem „Meilenstein-Report“ war die Rede und vom „ehrgeizigsten wissenschaftlichen Gutachten“, das je zu „vernetzten“ Krisen erstellt wurde. Tatsächlich verfolgt der Bericht, den der UN-Biodiversitätsrat (IPBES) gerade in Windhoek präsentiert hat, einen neuen Ansatz – und enthält außerdem viele unangenehme Wahrheiten.

Denn der Report, an dem 165 Wissenschaftler aus 57 Ländern drei Jahre gearbeitet haben, bildet erstmals auf höchstem Niveau eine bittere Erkenntnis ab: Viele Ansätze zur Rettung der Artenvielfalt sind grandios gescheitert. Die IPBES-Experten geißeln zahlreiche Maßnahmen in ihrem offiziellen Statement zum Bericht als „ineffektiv und kontraproduktiv“. Grund dafür ist vor allem die mangelnde interdisziplinäre Zusammenarbeit bei den Bemühungen um den Artenschutz.

Die Krise der Biodiversität steht nicht allein

Denn im globalen Kontext kommt eine Krise leider selten allein. Fünf große und eng verzahnte Problemfelder listet der IPBES-Bericht: neben Artenvielfalt noch Gesundheit, die Versorgung mit Nahrung und Wasser sowie die Klimaerwärmung. Weil jede dieser fünf Krisen über viele Bindeglieder (engl.: „nexus“) mit den anderen verknüpft ist, nennt sich das neue Gutachten „Nexus Report“. 

Demnach beeinflusst vieles, was Tier- und Pflanzenarten bedroht, unmittelbar auch andere „Leistungen“ von Ökosystemen: Das Brandroden der Regenwälder am Amazonas oder in Indonesien raubt nicht nur Gelbbrust-Aras oder Orang-Utans den Lebensraum, sondern führt auch zu stärkerer Klimaerwärmung, Dürren und Überschwemmungen und damit zu Krankheiten und Hunger bei den Menschen in diesen Regionen. Die Verflechtung spiegelt sich auch in der globalen Ökonomie wider: Laut dem Bericht hängt weltweit eine Wirtschaftsleistung im Wert von etwa 58 Billionen Dollar direkt oder indirekt von der Natur ab.

Interdisziplinäre Ansätze zum Schutz der Artenvielfalt

Umgekehrt müssen auch Ansätze zum Schutz der Biodiversität interdisziplinär sein – also andere Krisen einbeziehen, damit sie ihre Wirksamkeit entfalten können, ohne an anderer Stelle zu schaden. „‚Nexus-Ansätze‘ bieten schlüssigere und besser koordinierte Strategien und Maßnahmen“, erklärt Pamela McElwee, Professorin für Humanökologie an der State University of New Jersey und eine der Vorsitzenden beim Nexus-Report.

Der enthält aber auch viele gute Nachrichten, etwa die, dass es reichlich Ansätze gibt, die sowohl Tier- und Pflanzenarten schützen als auch Klimaextreme abfedern, das Angebot an Wasser und Essen oder die Gesundheit verbessern. Mehr als 70 solcher Nexus-Maßnahmen listet das Gutachten: So schützt die Renaturierung von Böden, Mangroven und anderen Wäldern nicht nur Tier- und Pflanzenwelt, sondern bindet auch große Mengen Kohlendioxid als Puffer gegen die Klimaerwärmung. Die Bekämpfung der Wilderei in Afrika, etwa für „Buschfleisch“, rettet nicht nur seltene Affen oder Fledermausarten, sondern bewahrt auch Menschen vor dem Kontakt mit neuen Krankheitserregern aus unberührten Wäldern. Und eine überwiegend pflanzliche Ernährung schützt nicht nur vor Herzinfarkten und Krebs, sondern reduziert auch die Treibhausgasemissionen.

Naturschutz Studie 20.00

Als ein konkretes Positiv-Beispiel nennt die Co-Vorsitzende Pamela McElwee einen neuen Ansatz gegen die gefürchtete Wurmkrankheit Bilharziose, die weltweit 200 Millionen Menschen betrifft, vor allem in Afrika. Viele leiden ihr ganzes Leben lang an schmerzhaften Darmentzündungen. Übertragen werden die Parasiten über verseuchtes Wasser, etwa aus Seen im Kongo. Zwischenwirte der Würmer sind Süßwasserschnecken. „Behandelt man das Problem nur als gesundheitliches – also üblicherweise mit Medikamenten – tritt es immer wieder auf, weil Menschen sich von Neuem infizieren“, erklärt McElwee.

Doch ausgerechnet im armen Senegal bekam man die Krankheit vor Kurzem durch einen übergreifenden ökologischen Ansatz weitgehend in den Griff: Man reduzierte die Wasserverschmutzung und bekämpfte die invasiven Süßwasserpflanzen, in denen die Schnecken lebten. Mit der Zahl der Schnecken als Überträger der Wurmlarven sank die Zahl der Bilharziose-Erkrankungen bei Kindern um fast ein Drittel. Außerdem verbesserte sich die Trinkwasserqualität, und neue Jobs in den Dörfern entstanden.

16: Klage gegen verkürzte Schonzeit – 0745fa173e56f3c2

Ein weiteres Beispiel für einen gut funktionierenden ganzheitlichen Ansatz sind die Reformen im kalifornischen Reis-Anbau. Lange wurde dort in der Region Sacramento nach der Ernte übrig gebliebenes Reisstroh unter freiem Himmel verbrannt. Die Luftverschmutzung galt als Ursache für viele Atemwegserkrankungen. Doch vor einigen Jahren wurde das Verbrennen verboten. Stattdessen flutete man die Reisfelder im Winter, damit das alte Stroh sich im Wasser zersetzen konnte. Inzwischen ist nicht nur die Luft in Sacramento sauberer. Auch Kraniche und andere Wasservögel haben in den neuen Feuchtgebieten Unterschlupf gefunden, und der Pazifische Königslachs ist zurückgekehrt – ein Grundnahrungsmittel für Indigene in der Region. Inzwischen pilgern Schulklassen und andere Interessierte in das Areal und erkunden mit Kanus die neu entstandenen Naturflächen. 

„Es existieren durchaus Zukunftsszenarien, die positive Auswirkungen auf Menschen und auf die Natur haben“, betont auch Paula Harrison. Die britische Umweltwissenschaftlerin leitete zusammen mit Pamela McElwee die wissenschaftlichen Sitzungen zum Nexus-Report. Die größten übergreifenden Vorteile böten demnach Ansätze, die nachhaltige Produktion und Konsum berücksichtigten, außerdem Naturschutz, weniger Umweltverschmutzung – flankiert von Klimaschutzmaßnahmen.

Transformation statt Nische: Artenschutz komplett neu denken

Der zweite gerade präsentierte Report des IPBES geht ähnlich tief ans Eingemachte: Der „Bericht zum transformativen Wandel“ zeigt auf, dass Natur- und Artenschutz endlich die Nische verlassen müssten, um den Verlust der Biodiversität aufzuhalten. Dafür brauche es nämlich mehr als Schutzgebiete oder Exportverbote für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Stattdessen sei es dringend notwendig, Gesellschaft und Ökonomie nach sozialen und nach ökologischen Kriterien ganz neu aufzustellen – eine umfassende „Transformation“. Der Bericht benennt auch konkrete Sektoren oder Branchen, die umgestaltet werden sollen, weil sie bisher noch den Artenschwund massiv vorantreiben: Landwirtschaft inklusive Tierhaltung, Fischerei, Forstwirtschaft, Infrastruktur und Stadtentwicklung und der Fossil- und Bergbausektor.

Besonders wichtig sei dieser Report für Entscheidungsträger, um Naturschutz künftig „anders zu denken“, kommentiert Marion Mehring den Bericht für das Science Media Center Germany. Mehring leitet das Forschungsfeld Biodiversität und Gesellschaft am Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. „Naturschutz sollte nicht länger als das Gegenteil von Naturnutzung verstanden werden“, so Mehring. Vorgeschlagen werde im neuen Papier stattdessen, „ein Naturschutz, der nicht nur in Schutzräumen stattfindet. Das macht schon deshalb Sinn, weil wir aus der Vergangenheit gelernt haben, dass Naturschutzgebiete nicht immer ein Garant für Biodiversität sind.“

Die Autorinnen und Autoren des neuen Berichtes versprechen sich vom sozial-ökologischen Umbau nicht nur Positiveffekte für die Artenvielfalt, sondern auch mehr Wirtschaftskraft: Durch den Umbau könnten bis zum Jahr 2030 Businessmodelle im Wert von weltweit zehn Billionen US-Dollar geschaffen werden – und schätzungsweise 395 Millionen neue Arbeitsplätze.