Weihnachtsessen: „Es ist ein Märchen, dass frischer, ungefrorener Lachs immer besser ist“

Lachs gehört zu den beliebtesten Speisefischen der Deutschen – vor allem zu Weihnachten. Ist das nachhaltig? Fischerin Julia Schlutius über gute und schlechte Fischzucht.

Er gehört für viele zum Festtagsmenü wie der Tannenbaum zum Wohnzimmer: der Lachs. Doch während auf deutschen Tellern meist Zuchtlachs landet, schwört Julia Schlutius auf Wildfang. Die gebürtige Münsteranerin fischt seit 35 Jahren in den Gewässern Alaskas. Was 1988 als Abenteuer auf einem Krabbenkutter begann, wurde zur Berufung: Heute betreibt sie ihre eigene MSC-zertifizierte Fischerei, pendelt zwischen Alaska und Deutschland und verkauft ihren Wildlachs an Großkunden und auf dem Wochenmarkt in Konstanz. Ein Gespräch über die Unterschiede zwischen Wild- und Zuchtlachs, verstecktes Greenwashing und die Frage, ob wir zu Weihnachten noch Lachs essen sollten.

Frau Schlutius, jetzt vor Weihnachten stellt sich vielen die Frage: Dürfen wir noch guten Gewissens Lachs essen?
Das kommt darauf an, wo er herkommt. Wir fischen nur Wildfang aus Alaska, und das verkaufe ich auch nur. Zuchtlachs ist sehr fragwürdig. Wildlachs kann ich jederzeit empfehlen, weil er in Alaska sehr nachhaltig gefangen wird.

Sie sprechen von Zuchtlachs als „fragwürdig“. Warum?
Zuchtlachs hat immer Einflüsse auf die Flüsse. In Alaska gibt es keine Zuchtstationen. Kanada dagegen hat welche. Dort wurde immer wieder nachgewiesen, dass die jungen Wildlachse, die an den Zuchtstationen vorbeimüssen, durch Gifte, Kotaufkommen und vor allem Seeläuse krank werden. Das dezimiert den Wildlachsbestand total. In Kanada hat man sogar wieder angefangen, Zuchtstationen abzubauen, weil die Bestände so schlecht sind. Mit Leidenschaft dabei: In ihrer charakteristischen gelben Öljacke präsentiert Julia Schlutius frisch gefangenen Lachs auf einem Fischerboot vor der Küste Alaskas
© privat

Was halten Sie von Bio-Lachs?
Auch Bio ist Zucht. Was ich ärgerlich finde: Mit unserem Wildlachs können wir das Bio-Wort gar nicht benutzen, weil er wild ist. Wir haben unsere Fische nicht selbst gefüttert, deswegen dürfen wir Bio gar nicht verwenden. Das ist Wortspielerei und in meinen Augen Greenwashing.

Was raten Sie Menschen, die vor der Fischtheke stehen?
Wie beim Fleisch: weniger essen. Früher war Lachs eine Delikatesse, die zu bestimmten Anlässen serviert wurde. Das muss nicht ständig und in Riesenmengen sein. Aber Fakt ist auch, dass der Lachs, den man in Deutschland kaufen kann, zu 90 Prozent aus Aquakultur stammt, nur 10 Prozent aus Wildfang. Die meisten Wildlachse, die Sie hier kaufen können, kommen wie unserer aus dem Nordpazifik. Dort gibt es fünf verschiedene Arten – wir fangen hauptsächlich Silber- und Königslachs, aber es gibt auch noch Rot-, Buckel- und Ketalachs. STERN PAID 39_23 Einfach essen – Tiger auf den Fisch 10.12

Ihr Wildlachs kommt aus Alaska. Wie funktioniert dort die nachhaltige Fischerei?
Wir haben strenge Vorgaben. Auf jedem Boot muss jemand sein, der eine offizielle Fischerlizenz besitz, die vom Staat Alaska vergeben werden und limitiert sind. In Alaska wird der Lachs sehr genau reguliert. Die Fische werden einzeln gezählt, wenn sie die Flüsse hochschwimmen. Erst wenn genug zum Laichen durchgekommen sind, dürfen wir mit dem Fang beginnen. Dadurch wissen wir immer relativ gut, wie die Bestände sind und dass für die nächsten Jahre gesorgt ist.

Wie unterscheidet sich Ihr Fang von industrieller Fischerei?
Unseres ist auch industrielle Fischerei. Nur mit anderen Vorgaben und Geräten. Mir gefällt das „Trolling“ am besten, weil da die Qualität im Vordergrund steht. Bei dieser Methode fischen wir mit Haken und Leine, hauptsächlich Silberlachs und Königslachs.

Sie sind MSC zertifiziert. Was bedeutet das?
Dass der Fisch aus nachhaltiger Fischerei stammt, die dafür Sorge tragen muss, dass die Bestände und das marine Ökosystem gesund bleiben. Ich werde einmal im Jahr kontrolliert und muss die ganze Fracht- und Handelskette praktisch nachweisen. Da schaut sich jemand sehr genau an, dass die Mengen stimmen, dass ich nicht einfach noch 10 oder 20.000 Pfund dazuschmuggele. Das wird sehr sorgfältig kontrolliert, bis ich die Ware an meine Kunden verkauft habe.

Bitte nehmen Sie uns mit auf eine Reise: Wie kommt der Lachs von Alaska zu uns nach Deutschland auf den Teller?
Der Fisch wird direkt an Bord ausgenommen, der Kopf wird abgetrennt, und dann kommen sie in Schockfroster. Die Fischer packen sie in 1000-Pfund-Kartons, die direkt in Gefriercontainer am Dock kommen. Von dort geht’s nach Bellingham bei Seattle. Dort wird die Ware nach Größen sortiert und zu Filets verarbeitet. Dann kommt alles per Container nach Deutschland, wird in Hamburg verzollt und von dort verteile ich an meine Großkunden und verkaufe meinen Fisch in Konstanz und Radolzell auf dem Wochenmarkt oder verschicke ihn gefroren deutschlandweit.

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Was kostet der Wildlachs bei Ihnen?
Bei uns am Marktstand können Kunden den Wildlachs recht günstig kaufen. Der Fisch kommt direkt vom Fischer, da ist kein Händler dazwischen.

Warum sollte man tiefgefrorenen Lachs bevorzugen?
Das ist ein Märchen, dass frischer, ungefrorener Lachs immer besser ist. Man kann zum Beispiel sagen, wir fliegen jetzt den frischen Lachs aus Alaska nach Deutschland. Aber dann ist der Lachs oft eine Woche alt und hatte Zeit, Bakterien zu sammeln. Wenn man einen sehr frischen Fisch sofort schockgefriert, noch vor der Leichenstarre, dann schmeckt das noch genauso frisch wie vor dem Frieren.

Wie lange ist gefrorener Lachs haltbar?
Wenn wir den Fisch direkt nach dem Fang schockgefrieren, noch vor der Leichenstarre, hat er erstmal zwei Jahre Mindesthaltbarkeit. Wenn wir ihn dann filetieren und jede Portion vakuumieren, hält er sich bei minus 20 Grad auch über ein Jahr locker.

Was empfehlen Sie fürs Festessen – tiefgekühlt, frisch oder geräuchert?
Tiefgekühlt, weil die Qualität einfach besser ist. Viele Leute wollen ihn auch roh essen oder Sushi machen. Da muss er auf jeden Fall einmal tiefgekühlt gewesen sein, weil es gerade beim Wildlachs Nematoden gibt. Beim Zuchtlachs weiß ich das nicht. Aber die Japaner, die ja schon immer gut mit Fisch umgehen, haben die Fische immer einmal durchgefroren.

Schmeckt man den Unterschied zwischen Wild- und Zuchtlachs?
Ja, der Zuchtlachs hat einen tranigen Geschmack und einen viel höheren Fettgehalt. Der Wildlachs ist viel magerer und muss bei der Zubereitung anders behandelt werden.

Wie bereiten Sie den Lachs am liebsten zu?
Am liebsten ganz neutral im Backofen bei 150 Grad, gewürzt mit Salz, Pfeffer und Zitronenabrieb von der Biozitrone. Bei Wildlachs muss man aufpassen, dass er nicht zu lange backt, weil er sonst trocken wird. Auch sehr lecker ist eine Ceviche mit Limettensaft, Gurke, Avocado, Tomate und viel Koriander. Asiatisch schmeckt er super mit in einem Curry mit Kokosmilch. Vor ihrem Boot „Suki“ zeigt Julia Schlutius einen schockgefrosteten Wildlachs – so behält der Fisch seine optimale Qualität für den weiten Weg nach Deutschland
© privat

Spüren Sie schon Auswirkungen der Klimakrise?
Davon haben wir zum Glück noch nicht viel mitbekommen. Natürlich werden die Flüsse wärmer, aber die Bestände sind eigentlich gut. Man fängt manchmal Fische, die da eigentlich nicht hingehören, wie einen Sonnenfisch. Das wird dann fotografiert und rumgeschickt als etwas Besonderes.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Meere?
Erstens, dass die Erderwärmung uns nicht packt. Zweitens wünsche ich mir ein gutes Management nicht nur in Alaska, sondern dass man sich diese Beispiele auch für andere Meere nimmt. Und drittens, dass die illegale Fischerei aufhört, die zum Beispiel im globalen Süden den Menschen ihren Lebensunterhalt raubt.

Eine letzte Frage: Was halten Sie von Dosenlachs?
Der ist auch gut! Das Dosenmachen ist ja eine alte Kunst, die wurde schon praktiziert, bevor es die Gefriertechnik gab. Für die Europäer war das oft unästhetisch, aber die Dosen sind sehr lecker. Es ist eine Form der Haltbarmachung, die günstiger ist als das Gefrieren. Wenn man das etwas schöner gestalten würde, wäre das sicher eine super Form der Lachsverarbeitung.