Streit um Landtagsdurchgang: Warum die AfD nicht in den Tunnel darf

Über die Straße oder unten durch? Der Zoff um den Landtagstunnel mutet kurios an. Die AfD sieht sich unter Generalverdacht – und zieht vor den Verfassungsgerichtshof.

Es geht um einen 136 Meter langen Tunnel, um schlechtes Wetter, kurze Wege und mögliche Gefahren auf der Straße: Der Streit um den unterirdischen Gang vom Landtag zum Haus der Abgeordneten klingt wie eine Parlamentsposse. Aber es geht auch, wie so oft, um den richtigen Umgang mit der AfD. Und spätestens jetzt geht es auch ums Verfassungsrecht. 

Denn weil die AfD-Fraktion nicht mehr rein darf in den Tunnel, will sie sich über den Verfassungsgerichtshof Zugang verschaffen. Das Gericht gab nun bekannt, dass eine Klage eingegangen sei.

Zunächst mal muss man die Örtlichkeit des Geschehens kennen: Im Landtagsgebäude in Stuttgart, unweit von Oper und Schlossplatz, tragen die Abgeordneten an Plenartagen ihre Debatten aus und halten Reden. In mehreren anderen Gebäuden in der Umgebung haben die Abgeordneten und Fraktionsmitarbeiter ihre Büros. Grüne und CDU sind im sogenannten Haus der Abgeordneten einquartiert, ein paar Meter Luftlinie vom Landtag entfernt. Dort sitzt auch die Landtagsbibliothek, manche nennen sie das „Gehirn des Landtags„, wichtig für die tägliche parlamentarische Arbeit. Und die AfD-Fraktion sitzt in einem Gebäude in der Urbanstraße, gleich hinter dem Haus der Abgeordneten.

136 Meter unter der Straße

Um zu ihren Büros oder zur Bibliothek zu gelangen, müssen die Parlamentarier die Konrad-Adenauer-Straße überqueren, eine vielspurige Straße mit mehreren hintereinander liegenden Fußgängerampeln, zentrale Verkehrsachse der Innenstadt. Oder aber sie nutzen den besagten Landtagstunnel, der extra dafür gebaut wurde – eine 136 Meter lange, unterirdische Verbindung zwischen dem Landtag und dem Haus der Abgeordneten. 

Der Tunnel wirkt nüchtern, weiße Wände, die mit schwarzen Stahlstäben einer Kunstinstallation verziert sind. In einem Seitenraum des Tunnels tagt auch das Parlamentarische Kontrollgremium in geheimer Sitzung. Der Eingang zum Tunnel ist durch Glastüren gesichert, die die Abgeordneten mit einem elektronischen Schlüssel öffnen können.

Der Tunnel sichert den Abgeordneten eine kurze Verbindung vom Plenum ins eigene Büro, ohne dass man Umwege läuft oder bei Regen nass wird. Früher durften alle Abgeordneten und Mitarbeiter den Tunnel beschreiten. Auch wenn die AfD-Politiker nicht direkt im Haus der Abgeordneten sitzen, nutzten sie den Tunnel häufig, um sich den Weg über die Straße zu sparen und zu ihren Fraktionsräumlichkeiten in der Urbanstraße zu gelangen. 

Doch die Zeiten sind vorbei. Und seit über einem Jahr gibt es nun Ärger darüber, wer noch in den Tunnel darf und wer nicht. 

Neue Sicherheitsbestimmungen nach Fund von Jagdmesser

Denn das Landtagspräsidium hat im Juni 2023 die Sicherheitsregeln im ganzen Haus für Abgeordnete, Fraktionsmitarbeiter und die Verwaltung verschärft. „Schließberechtigt für die Gebäude des Landtags sind nur Personen, die im jeweiligen Gebäude ein Büro haben“, so lautet die neue Regel laut Landtagssprecher.

Hintergrund ist Ärger um einen AfD-Politiker. In dessen Büro war ein Jagdmesser und Munition gefunden worden. Gegen ihn wurde auch ermittelt, unter anderem wegen Verstoßes gegen das Waffenrecht. Zeitweise musste sich der Mann von der Polizei kontrollieren lassen, um den Landtag betreten zu dürfen. Aber die Ermittlungen gegen ihn sind längst eingestellt, der Parlamentarier geht wieder seiner normalen Abgeordnetentätigkeit nach. 

Nur am Tunnelverbot hat sich nichts geändert. 

Von dem sind allerdings nicht nur die AfDler betroffen. Es darf nach der neuen Regel nur noch durch den Tunnel, wer auch im Haus der Abgeordneten arbeitet – also Grüne und CDU. Auch Mitarbeiter der Landtagsverwaltung sind betroffen. Aber die beschweren sich nicht. Und SPD und FDP haben ihre Räumlichkeiten in der Bolzstraße am Schlossplatz, auf der anderes Seite des Landtags. Für sie ist der Tunnel im Alltag nicht so bedeutend, daher gibt es von der Seite auch keinen Protest. 

AfD spricht von Willkür und Generalverdacht

Die AfD hingegen regt sich auf – und sieht ihr Recht auf Ausübung des freien Mandats verletzt. „Das ist Willkür“, kritisiert Fraktionschef Anton Baron. „Es kann nicht sein, dass wir ausgeschlossen werden.“ Er spricht von einem Generalverdacht gegenüber der AfD. Als Abgeordneter müsse man sich frei bewegen können. Auch das Hausrecht von Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) habe Grenzen, so Baron.

Der Tunnel habe ganz praktische Vorteile für die AfD, so Baron. „Dann laufen wir nicht über die vielbefahrene Konrad-Adenauer-Straße, müssen nicht an der Ampel warten und verpassen gegebenenfalls keine Abstimmung im Plenum.“ Aber auch die Sicherheit spiele eine Rolle. Mancher AfD-Politiker fühle sich unsicher auf der Straße, werde dumm angequatscht. 

„Können jederzeit durchhuschen“

Das Präsidium unterbreitete den AfDlern nach dpa-Informationen vor kurzem ein Kompromissangebot: Sie dürfen nun vom Haus der Abgeordneten im Tunnel zum Landtag laufen, aber nur an Plenartagen und nicht in die andere Richtung. Baron findet das absurd. „Wir dürfen den Tunnel benutzen, aber der Rückweg ist uns verwehrt.“ Außerdem sagt er: „Wenn ein Grüner oder ein Schwarzer durchläuft, können wir jederzeit durchhuschen und kommen trotzdem rein.“

Die AfD will sich mit dem Kompromiss also nicht zufriedengeben und zieht trotzdem vors Gericht. Nun hat Landtagspräsidentin Aras erst einmal einige Wochen Zeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Mit Verweis auf das laufende Verfahren wollte sie auf Anfrage keine Stellung geben. 

Die AfD-Fraktion jedenfalls habe sich intensiv auf die Verfassungsklage vorbereitet, so Baron. Dafür habe man viel Zeit in der Parlamentsbibliothek verbracht. Um dort hinzugelangen, mussten seine Leute allerdings über die Straße gehen – und sich dann an der Pforte anmelden.