Verbraucherpreise: Kanzler-Vorstoß für weniger Mehrwertsteuer auf Lebensmittel

An der Kasse im Supermarkt merken Verbraucherinnen und Verbraucher die Inflation konkret – viele Produkte sind teurer geworden. Nun bringt der Kanzler eine Preisbremse über die Steuer ins Gespräch.

Kanzler Olaf Scholz schlägt angesichts steigender Preise in den Supermärkten eine Senkung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für viele Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent vor. „Das würde ganz vielen, die wenig Geld verdienen, helfen, und es wäre für den Bundeshaushalt keine übermäßige Belastung“, sagte der SPD-Politiker in den ARD-„Tagesthemen“. Aus Wirtschaft und Opposition kommt Kritik, Verbrauchervertretern reicht die Idee nicht aus. Noch vor der Neuwahl am 23. Februar angehen will Scholz sie ohnehin nicht.

Vorstoß in Wahlkampfzeiten

Mit seinem überraschenden Vorstoß im anlaufenden Wahlkampf facht der Kanzler die Debatte über breite Entlastungen an. Wichtig sei, „dass wir etwas sehr Überschaubares machen, was jeder beim täglichen Bedarf jeden Tag merkt“ – an der Supermarktkasse. „Da sind einige schon ganz schön erstaunt, was da an Geld zusammenkommt für den Korb, den sie da gefüllt haben.“ 

Tatsächlich sind die Preise für viele Nahrungsmittel lange stärker gestiegen als die allgemeine Inflation. Zwischen 2020 und 2023 verteuerten sie sich laut Statistischem Bundesamt insgesamt um mehr als 30 Prozent. Im November schwächte sich der Preisauftrieb allerdings ab. Die Preise für Nahrungsmittel lagen noch um 1,8 Prozent höher als ein Jahr zuvor – bei einer Teuerung von insgesamt 2,2 Prozent. Deutlich teurer im Vergleich zu November 2023 waren zum Beispiel Butter (plus 38,9 Prozent) und Olivenöl (plus 13,3 Prozent). 

Ermäßigter Steuersatz für viele Lebensmittel

Über die Mehrwertsteuer als Stellschraube wird immer wieder diskutiert. Aktuell greift für viele Lebensmittel der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent. Dazu gehören etwa Zucker, Mehl, Kartoffeln, Gemüse und Obst, Tee und Kaffee, Nüsse, Milch und Milchprodukte sowie Fleisch, Fisch, rohe Eier und Honig. Für verarbeitete Produkte und Getränke gilt der reguläre Satz von 19 Prozent. Dabei gibt es an den Einordnungen auch Kritik: So seien für einen „Coffee to go“ mit einem Schuss Milch 19 Prozent fällig, erläuterte der Bundesrechnungshof – für Latte Macchiato mit aufgeschäumter Milch und Espresso aber 7 Prozent. 

Zuletzt lief Ende 2023 eine zeitweilige Senkung auf den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent auf Speisen in der Gastronomie aus. Ernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) regte auch schon eine leichte Anhebung des ermäßigten Satzes von 7 Prozent auf Fleisch an, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren. Ein vom Bundestag eingesetzter Bürgerrat schlug unter anderem null Prozent Steuer für Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität vor. Konkret umgesetzt wurde in der Ampel-Koalition von Scholz aber nichts davon. 

Union kritisiert „Wahlkampfköder“ 

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) sprach prompt von einem „billigen Wahlkampfköder“. Sinnvoll wäre „eine zielgenaue Entlastung von Geringverdienern bei Steuern und auch bei Sozialabgaben, die verlässlich ankommt und das Arbeiten im Verhältnis zum Bürgergeldbezug lohnender macht“. Auch der grüne Minister Özdemir kommentierte: „Es ist halt ein Vorschlag im Wahlkampf. Schön wäre es gewesen die letzten drei Jahre.“

Zu Wirkungen und Nebenwirkungen der Kanzler-Idee wurden unterschiedliche Einschätzungen laut. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung, hält eine Mehrwertsteuersenkung nicht für sinnvoll. Menschen mit höheren Einkommen würden absolut gesehen sogar stärker profitieren. „In Euro gerechnet wäre die Entlastung für das Kilo französischen Käse aus dem Feinschmeckergeschäft höher als für den abgepackten Scheibengouda.“ 

Entlastung um einstelligen Euro-Betrag im Monat

Der Haushaltsexperte des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Tobias Hentze, erläuterte, Gering- und Normalverdiener gäben einen größeren Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Eine Mehrwertsteuersenkung um zwei Prozentpunkte würde jeden Steuerzahler rechnerisch im Monat um einen einstelligen Euro-Betrag entlasten – je höher das Einkommen, desto mehr. „Die Entlastung hängt allerdings davon ab, inwieweit die Steuersenkung an die Konsumenten weitergegeben wird.“ Also, ob wirklich Preissenkungen kommen.

Dem Staat würde eine Steuersenkung weniger Einnahmen bringen. Die genaue Größenordnung hänge auch von der Entwicklung des Konsums ab, hieß es aus dem Finanzministerium. Nach einer Faustformel entspricht eine Senkung des ermäßigten Steuersatzes um zwei Prozentpunkte etwa sieben Milliarden Euro. 

Forderung nach null Prozent Steuer

Von Wirtschaftsverbänden kam Kritik. Der Handelsverband Deutschland sprach von „Entlastungen mit der Gießkanne“, die nicht zielgenau seien. Zudem sei Mehrwertsteuerrecht bereits kompliziert, sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Der Generalsekretär des Bauernverbands, Bernhard Krüsken, sagte der „Rheinischen Post“, eine Mehrwertsteuersenkung wäre dann sinnvoll, wenn sie für alle Lebensmittel erfolge. „Das würde Verbrauchern und Landwirten helfen.“

Für den Sozialverband VdK geht der Kanzler-Vorschlag in die richtige Richtung, aber noch nicht weit genug. „Durch die nach wie vor hohe Inflationsrate, vor allem bei Lebensmitteln, kommen immer mehr Menschen an ihre finanziellen Grenzen“, sagte Präsidentin Verena Bentele. Geringverdienende, arme Rentner und Grundsicherungsempfänger litten besonders darunter. Der VdK forderte daher, die Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf null Prozent zu senken. 

Die Verbraucherzentralen wiesen darauf hin, dass die vorgeschlagene Senkung bei der Mehrwertsteuer durch die Gesamtinflation von derzeit mehr als zwei Prozent direkt wieder zunichtegemacht werde. Wie sich die Lebensmittelpreise zusammensetzten und wer wie viel Gewinn mache, sei unklar. Die Organisation Foodwatch nannte den Vorschlag „einen Witz“, denn ein paar Cent weniger schafften keine Entlastung. Scholz sollte bezahlbares gesundes Essen zum Wahlkampfthema machen. Dazu gehörten auch höhere Bürgergeldbezüge und kostenloses Mittagessen nach Ernährungsempfehlungen in Kitas und Schulen.