Im Januar klettern die Krankenkassenbeiträge auf Rekordniveau: 17,1 Prozent im Durchschnitt. Warum das unfair ist – und wie drei Prozent weniger möglich wären.
Der Chef einer der größten deutschen Krankenkassen wählte drastische Worte: Ein „Beitragsschock“ drohe den gesetzlich Krankenversicherten. Auf durchschnittlich 17,1 Prozent werden die Beiträge zum Jahresanfang steigen.
Eine neue Auswertung des Bundesgesundheitsministeriums zeigt: Gesundheit wurde in den ersten drei Quartalen dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent teurer. Kostentreiber sind Krankenhausbehandlungen, die Ausgaben für Pflegepersonal, ambulante Operationen, Rehaleistungen, Heilmittel, häusliche Krankenpflege. Kaum gestiegen sind hingegen die Verwaltungskosten, bei denen sonst immer gerne die Schuld gesucht wird. Eine Erhöhung der Beiträge erscheint in dieser Logik unausweichlich. Doch es gibt eine Alternative: Sie gerechter machen.
CAPITAL Günstige Krankenkassen 10:47
Krankenkasse wechseln hilft wenig – alle sind klamm
Teurer wird der „Zusatzbeitrag“ – also jener Betrag, den jede Krankenkasse individuell und zusätzlich zum „allgemeinen Beitragssatz“ von 14,6 Prozent von ihren Versicherten erhebt. Je nachdem, wie gut ein Anbieter finanziell dasteht, kann der zwischen null und mehr als drei Prozent liegen. Wenn das Anschreiben der Krankenkasse in den nächsten Tagen in den Briefkästen der 55 Millionen Versicherten liegt, steht es jedem frei, zu einem günstigeren Versicherung zu wechseln. Das Grundproblem aber bleibt: Alle Krankenkassen sind klamm.
Was bedeutet die Erhöhung in Euro? Ein Durchschnittsverdiener mit monatlich 3540 Euro Bruttogehalt zahlt dann etwa 14 Euro mehr Beitrag, weitere 14 Euro übernimmt der Arbeitgeber. Freiberufler zahlen alles selbst, also 28 Euro.
Weitere Erhöhungen der Krankenkassenbeiträge drohen
Manch einer denkt vielleicht: Klingt verkraftbar. Doch wohin soll das in den kommenden Jahren führen? Schließlich wird das Leben insgesamt teurer. Die Menschen werden älter und kränker. Es drohen weitere Steigerungen – bei vielen Kassen wohl schon im laufenden Jahr 2025, so wie dieses Jahr. 34 Anbieter haben die Beiträge bis Ende November erhöht – manche sogar schon zwei Mal, weil das Geld wieder nicht reichte.
Die Politik muss jetzt Wege finden, die Beiträge zu senken, indem die Ausgaben gesenkt werden. Da gibt es altbekannte Vorschläge: Ein „Primärarztsystem“, in dem der Hausarzt als Hauptansprechpartner die Patientenströme steuert. Mehr Ambulantisierung medizinischer Leistungen. Die überfällige Notfallreform. Ein neues System für patentgeschützte Arzneimittel, die bislang oft zu Fantasiepreisen auf den Markt gelangen. Eine Selbstbeteiligung an den Kosten medizinischer Behandlungen.
Durchschnittsverdiener könnte bis zu 118 Euro weniger pro Monat zahlen
Doch wie schnell würden diese Maßnahmen greifen? Eine Beitragssenkung wäre schon jetzt möglich. Und zwar um gut drei Prozent. Dann würde unser Durchschnittsverdiener als Angestellter knapp 59 Euro weniger Beitrag berappen, Freiberufler etwa 118 Euro.
Was dafür nötig wäre? In erster Linie sollten die Krankenkassen keine Bürgergeldempfänger mitfinanzieren. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich auch Privatversicherte, ja alle Steuerzahler beteiligen sollten. Die Idee der gesetzlichen Krankenkasse hingegen ist solidarisch: Jeder zahlt so viel Beitrag, wie er kraft Verdienst vermag, alle bekommen im Krankheitsfall die gleichen medizinischen Leistungen.
Bürgergeldempfänger zahlen nichts ein. Für ihre Gesundheit aufzukommen, ist eine sogenannte „versicherungsfremde Leistung“, wie sie zum Beispiel auch für Schwangere oder Eltern kranker Kinder von den Kassen aufgebracht werden muss. Mit einem wichtigen Unterschied: Die Letztgenannten werden durch einen Bundeszuschuss vom Bund komplett refinanziert, auf den Leistungen für Bürgergeldempfänger aber bleibt die Solidargemeinschaft der Versicherten größtenteils sitzen. Gäbe es die Zahlungen für Bürgergeldempfänger nicht, würden die Krankenkassen im kommenden Jahr zehn Milliarden Euro weniger ausgeben, statt 320 Milliarden nur noch 310 Milliarden, so eine Schätzung des GKV-Spitzenverbandes. Das wären etwa 3,1 Prozent.
Die Krankenhausreform über Beiträge zu finanzieren, ist verfassungswidrig
Weitere 0,2 Prozent ließen sich – theoretisch – einsparen, wenn alle Bundesländer ihrer Verpflichtung nachkämen, für die Instandhaltung der Krankenhäuser und notwendige Anschaffungen aufzukommen. Um diese Aufgabe, zu der sie gesetzlich verpflichtet sind, drücken sie sich seit Jahren, weshalb die Krankenhäuser Gelder dafür aus den „Fallpauschalen“ abzweigen. Die aber sind eigentlich nur für Behandlungskosten von Patienten inklusive Personal bestimmt – nicht aber für die neue Heizungsanlage oder den Computertomografen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat diese Zweckentfremdung von Kassengeldern durch seine Krankenhausreform sogar noch zementiert. Denn finanziert werden soll sie unter anderem mit 25 Milliarden Euro aus dem „Gesundheitsfonds“, jenem Topf, in dem die Beiträge aller gesetzlich Versicherten landen, bevor sie an die einzelnen Kassen verteilt werden. Macht jährlich 2,5 Milliarden Euro für die kommenden zehn Jahre, die in der Krankenbehandlung eingespart werden müssen. Die Rechtswissenschaftlerin Dagmar Felix von der Universität Hamburg bewertete diese Art der Finanzierung in einem Gutachten für den GKV Spitzenverband als verfassungswidrig. Jetzt lässt der Verband prüfen, ob er vor Gericht ziehen könnte.
Jeder einzelne Versicherte könnte klagen
Klagen könnte in jedem Fall auch jeder einzelne Versicherte – allerdings erst, nachdem die 2,5 Milliarden Euro erstmals aus dem Gesundheitsfonds abgezweigt wurden. Also dann Anfang 2026. Es ist schwer vorstellbar, dass Lauterbach bei der Verabschiedung der Reform nicht klar war, dass er sich rechtlich auf Glatteis begibt. Er spielt wohl auf Zeit. Bis in dieser Angelegenheit ein Urteil ergeht, vergehen Jahre, in denen das Geld in die Krankenhausreform fließen wird. Und den Kassen bleibt nichts übrig, als weitere Leistungen zu kürzen – oder die Zusatzbeiträge weiter zu erhöhen.
Natürlich verschwinden die Ausgaben für Bürgergeldempfänger und Krankenhäuser nicht dadurch, dass sie aus den Krankenkassenbeiträgen herausgerechnet werden. Doch wenn sie stattdessen über die Steuer finanziert würden, wäre das gerechter: Alle würden mitzahlen. Diejenigen, die mehr verdienen und oft privat versichert sind, würden mehr zahlen. So wie es sich für eine Solidargemeinschaft gehört.