Die Krankenstände sind so hoch, dass sich Wirtschaftsvertreter über Folgen der Krankschreibungen sorgen. Wie wäre es da, wenn alle zumindest noch einen halben Tag arbeiten würden?
Die hohen Krankenstände im Land haben in der deutschen Wirtschaft große Besorgnis ausgelöst. Bremsen die vielen Kranken die schwächelnde Wirtschaft zusätzlich aus? Ist es die mangelnde Leistungsbereitschaft oder müssen Unternehmen in Zukunft einfach mit mehr Kranken klarkommen?
Diese Fragen haben eine Diskussion darüber ausgelöst, wie man mit kranken Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern umgehen soll. Ärztepräsident Klaus Reinhardt brachte das Modell der Teilkrankschreibung für einige Stunden pro Tag auf den Tisch, das sich in Skandinavien bereits seit Jahrzehnten bewährt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezeichnete diese Überlegungen hingegen als „schlicht absurd“. Dabei könnte eine differenzierte Diskussion darüber lohnen.
Wie krank kann man sein: 25, 50 oder 75 Prozent?
„Es kommt ja häufiger vor, dass wir uns einfach nicht gut fühlen, aber dafür gibt es bislang keine Form der Krankschreibung“, sagt Utz Niklas Walter vom Institut für betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) Capital. „Dann arbeite ich irgendwie, bin aber nicht komplett leistungsfähig. Es passieren mehr Fehler oder sogar Unfälle. Die Teilkrankschreibung hätte hier durchaus den Vorteil, dass man sich die Hälfte des Tages auskurieren könnte, ohne das Gefühl zu haben, eigentlich arbeiten zu müssen.“
Es ist eine Situation, die gerade in der Erkältungszeit vielen bekannt vorkommen dürfte: Die Nase läuft, der Kopf drückt, aber zum ins Bett legen ist man noch zu fit. Da man in Deutschland auf dem Papier aber entweder ganz krank oder ganz gesund ist und nicht irgendetwas dazwischen, geht es für viele dann trotzdem an den Schreibtisch oder in den Betrieb.
Im schwedischen Gesundheitssystem gibt es hingegen seit Jahrzehnten nicht nur Arbeitsfähigkeit oder -unfähigkeit, sondern auch die Möglichkeit der Teilkrankschreibung. Eingeführt in den 1950er Jahren, wurde das System besonders zu Zeiten der schweren Finanzkrise Anfang der 1990er Jahre weiterentwickelt. Die Zahl der Krankschreibungen erreichte damals Höchststände. Seitdem gibt es die Möglichkeit einer Krankschreibung zu 25, 50 oder 75 Prozent. Zu diesen Teilen tragen dann auch Krankenkasse und Arbeitgeber die Kosten für die Lohnfortzahlung.
Mehrheit für Vorschlag der Teilkrankschreibung
Wie eine Studie des IFBG im Auftrag der Krankenkasse BKK ZF & Partner unter mehr als 1000 repräsentativ ausgewählten Erwerbstätigen in Deutschland zeigt, bewertet ein Großteil der Befragten den Vorschlag positiv, eine Teilkrankschreibung einzuführen. So sagen fast 60 Prozent, dass sie eine Krankschreibung für einen halben Tag oder für eine bestimmte Tätigkeit für eine sinnvolle Maßnahme halten. Rund 55 Prozent geben außerdem an, dass sie diese Möglichkeit nutzen würden – jüngere eher als ältere Beschäftigte. Sie würden jedoch mehrheitlich (59 Prozent) schneller wieder arbeiten, wenn sie im Krankheitsfall kein Gehalt mehr erhalten würden. Deutschland hat hier mit der hundertprozentigen Lohnfortzahlung für bis zu sechs Wochen eines der großzügigsten Lohnfortzahlungssysteme der Welt.
Walter vom IFBG glaubt, dass es bei vielen Unternehmen mit Vertrauensarbeitszeit oder Gleitzeit auch ohne die Teilkrankschreibung schon möglich ist, den Nachmittag freizunehmen, wenn man sich nicht ganz gesund fühlt, auch wenn das in gewerblichen Berufen mit festen Produktionsabläufen schwieriger sei. Weil zu dem Modell der Teilkrankschreibung aber noch viele Fragen offen seien, schlägt Ralf Hirmke von der BKK ZF & Partner vor, den Ansatz in Pilotprojekten zu testen. „Man müsste zum einen schauen, wie es den Beschäftigten damit geht und zum anderen, was es für Unternehmen und das Gesundheitssystem in der Praxis bedeutet“, sagt Walter. „Ich gehe schon davon aus, dass es einen bürokratischen Aufwand geben würde, aber in Verbindung mit der telefonischen Krankschreibung könnten auch pragmatische Lösungen entwickelt werden.“
Doch es ist nicht nur der bürokratische Aufwand. In Schweden werden Ärzte regelmäßig weitergebildet, um etwa die Arbeitsanforderungen in Berufen richtig einschätzen und so den Anteil der Arbeitsfähigkeit bemessen zu können. Bei bestimmten Krankheiten oder nach Unfällen ist es dann denkbar, dass ein Angestellter zwar nicht in seinem eigentlichen Aufgabenfeld oder zu seinem üblichen Pensum arbeitet, aber dafür administrative Aufgaben erledigt oder nur einen halben Tag lang arbeitet.
Deutsche Politik zuletzt geteilter Meinung
Ähnliche Modelle gibt es auch in weiteren skandinavischen Ländern wie Norwegen, Dänemark und in der Schweiz, wo man von der sogenannten Restarbeitsfähigkeit spricht.
Ärztepräsident Reinhardt meint, dass so eine Regelung in Zeiten des Homeoffice auch in Deutschland möglich sein sollte. „Ein Beispiel dafür sind Bagatellinfekte, bei denen der direkte Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro vermieden werden sollte“, sagte er zuletzt der „Funke Mediengruppe“. „In solchen Fällen bietet das Arbeiten im Homeoffice aber unter Umständen die Möglichkeit, im begrenzten Umfang berufliche Aufgaben wahrzunehmen und sich dennoch zu erholen.“ Anja Piel, Vorstandsmitglied des DGB, hält dagegen: Wer krank und arbeitsunfähig sei, solle sich vollständig auskurieren. „Ansonsten steigt das Risiko, länger und ernsthafter zu erkranken.“
Der Bundesverband der Krankenkasse AOK warnte zuletzt ebenfalls vor einer schwierigen Umsetzung eines solchen Systems. In der Politik fielen die Meinungen geteilt aus. Sollten die Krankenstände weiterhin hoch bleiben und die Wirtschaft schwach, könnte sich die neue Bundesregierung aber erneut mit den Kosten des deutschen Gesundheitssystems beschäftigen müssen.