Analyse: Operation Machterhalt: Geht dieser Mann zu weit?

An diesem Mittwoch will sich Dietmar Woidke zum Chef der ersten SPD-BSW-Landesregierung wählen lassen. Der Preis dafür ist allerdings hoch – nicht nur für Brandenburg.

Die wichtigste politische Währung ist die Gestaltungsmacht. Alle Ideale, Programme und Vorhaben sind wenig wert, solange sie sich nicht umsetzen lassen. 

Wenn also an diesem Mittwoch Dietmar Woidke vom Brandenburger Landtag als SPD-Ministerpräsident bestätigt ist, dann hat er aus seiner Sicht etwas Wichtiges richtig gemacht: Er hat seine Partei und sich selbst an der Macht gehalten. Das wirkt nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der eine in Teilen rechtsextremistische Partei immer stärker wird. 

Doch der Preis dafür ist hoch. Denn um im Amt zu bleiben, hat Woidke den eigenen Bundeskanzler düpiert, die Westbindung der Bundesrepublik infrage gestellt und im Ergebnis den Ruf der Sozialdemokratie beschädigt.

Zum BSW gab es keine gute Alternative

Dabei geht es nicht so sehr darum, dass Woidke mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht regieren will. Auch wenn es sich beim BSW um ein linkspopulistisches Konstrukt handelt, das es vor einem Jahr noch nicht einmal gab, ist die Koalition begründbar. Schließlich wären die denkbaren Alternativen jenseits der AfD – ein Patt-Bündnis mit der CDU oder eine SPD-Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten – nicht besser. Zumal die Union ja gar nicht mehr mitregieren wollte.

Blieb also nur das BSW. Die geplante Regierung besitzt rechnerisch eine Zwei-Stimmen-Mehrheit. Auch wenn bereits ein Abgeordneter abgängig ist: Woidke dürfte spätestens im dritten Wahlgang gewählt werden.

Und dennoch. Die Kompromisse, die der Ministerpräsident in den vergangenen Wochen schloss, rühren an dem, was die Bundesrepublik ausmacht und was die SPD immer vertrat.Kommentar Brombeere Thüringen 18.28

So sieht die neue Koalition „die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch“. Und zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine heißt es im Vertrag: „Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können.“

Das sind legitime politische Positionen. Aber es sind weder die Positionen der Bundesregierung, die immer noch von der SPD geführt wird, noch der Nato, deren Mitglied Deutschland mit allen Bündnisverpflichtungen ist. Im Gegenteil.

Im Vergleich dazu klingen die Formulierungen, die gleichzeitig von CDU und SPD mit dem BSW in Thüringen verhandelt wurden, deutlich offener. Vor allem aber stehen im Erfurter Koalitionsvertrag die unterschiedlichen Positionen transparent nebeneinander. Die künftige Regierung verpflichtet sich damit zu nichts.  

Natürlich lässt sich fragen: Wen kümmert es schon, was irgendeine Koalition in irgendeinem Land vereinbart. Schließlich ist allein der Bund für die Außen- und Verteidigungspolitik zuständig.

Wagenknechts Kalkül geht in Brandenburg auf

Doch das Kalkül Wagenknechts geht trotzdem auf. Sie will über Regierungsbeteiligungen in den Ländern, Abstimmungen im Bundesrat und Reden in den Parlamenten die Debatte in Deutschland verändern. Und Brandenburg macht hier den Anfang.

Dietmar Woidke hat damit offenkundig kein Problem. Erstens dürfte er damit rechnen, dass sich das Thema im politischen Alltag versenden wird. Zweitens steht er selbst der Haltung des BSW in diesen Fragen gar nicht so fern. Und drittens, genau, verbleibt er auf diese Weise in der Staatskanzlei.

Gleichzeitig verkörpert Woidke damit aber auch das, was Brandenburg und Ostdeutschland vom Rest der Bundesrepublik unterscheidet: die Not, aus komplizierten Wahlergebnissen arbeitsfähige Regierungen zu basteln, das Misstrauen gegenüber allem, was in Berlin entschieden wird, die Ferne zu den USA und die Nähe zu Russland. 

Brandenburg: Woidke entlässt Gesundheitsministerin 11:41

Zudem denkt Woidke strategisch. Hat er seine Wiederwahl als Ministerpräsident absolviert, ist er fest im Amt – selbst für den Fall, dass ihm das BSW ganz oder in Teilen abhandenkommt. Ein konstruktives Misstrauensvotum gegen ihn wäre nur mithilfe der AfD möglich und muss als vorerst ausgeschlossen gelten. 

Dietmar Woidke und seine Warnung an das BSW

Und: Woidke hat gezeigt, wozu er bereit ist, wenn es um die Macht geht und er seine Autorität in Gefahr sieht. Als neulich seine grüne Noch-Gesundheitsministerin im Bundesrat der Krankenhausreform des SPD-Bundesgesundheitsministers zur Mehrheit verhelfen wollte, wurde sie vom Ministerpräsidenten spontan entlassen.

Zwar dementierte Woidke, dass er damit dem BSW während der noch laufenden Verhandlungen einen Gefallen tun wollte. Doch unabhängig davon, was sein Motiv war, sollte der neue Juniorpartner die autoritäre Geste eher als Warnung verstehen. 

Denn so rüde und unwürdig, wie Woidke zuletzt mit den Grünen umging, könnte er auch das BSW behandeln. Er selbst bliebe in jedem Fall das, was er ist: Ministerpräsident von Brandenburg.