Ampel-Aus: Was ist die Vertrauensfrage und wie funktioniert sie im Bundestag?

Nach dem Aus der Ampel-Koalition kündigt Olaf Scholz die Vertrauensfrage an. Automatische Neuwahlen sieht das Grundgesetz zwar nicht vor, trotzdem gibt es einen Weg dorthin.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist nach knapp drei Jahren im Amt gescheitert. Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Mittwochabend Finanzminister Christian Lindner entlassen und verband dies mit schweren Vorwürfen gegen den FDP-Chef. „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, sagte Scholz. Der Kanzler will nun Anfang Januar im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und damit vorgezogene Neuwahlen herbeiführen. Diese könnten nach seinen Worten spätestens bis Ende März stattfinden. 

Im Gegensatz zu anderen Parlamenten weltweit gibt es für den Deutschen Bundestag mitten in der Legislaturperiode praktisch nur diesen einen Weg zur Auflösung: wenn der Kanzler dem Parlament die Vertrauensfrage stellt und bei der Abstimmung darüber keine Mehrheit erhält. Dann, so heißt es im Grundgesetz, „kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers“ den Bundestag auflösen. In der Geschichte der Bundesrepublik haben einige Kanzler und ihre Parteien diesen Weg eingeschlagen, um aus Neuwahlen gestärkt hervorzugehen. Nun allerdings müssten Umfragen zufolge SPD, Grüne und FDP bei einer Bundestagswahl herbe Verluste befürchten.

Vertrauensfrage ist der Weg zu Neuwahlen

Auf dem Weg der Vertrauensabstimmung können Kanzler, Bundestag und Bundespräsident also nur gemeinsam Neuwahlen einleiten. Zu Beginn einer Legislaturperiode oder wenn der Kanzlerposten aus anderen Gründen vakant ist, kann der Bundespräsident das Parlament außerdem dann auflösen, wenn ein neu zu wählender Kanzlerkandidat dort trotz wiederholter Versuche keine absolute Mehrheit findet.

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Eine Selbstauflösung des Bundestags erlaubt die Verfassung ebenso wenig wie eine Auflösung allein durch den Bundeskanzler oder den Bundespräsidenten. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes zogen damit 1949 die Konsequenz aus den instabilen Verhältnissen der Weimarer Republik (1918 bis 1933). Mit diesen und anderen Vorgaben sollte verhindert werden, dass häufige Neuwahlen, Regierungswechsel und Blockaden das Land unregierbar machen. Stattdessen sollten das vom Volk gewählte Parlament und die aus ihm hervorgegangene Regierung in die Pflicht genommen werden, sich bis zum Ende der vierjährigen Legislaturperiode zusammenzuraufen. Der Bundestag sollte regulär am 28. September 2025 neu gewählt werden.

Oder doch nur den Kanzler tauschen?

Einen Regierungswechsel ohne Neuwahl des Parlaments ermöglicht das Grundgesetz durch ein sogenanntes konstruktives Misstrauensvotum: Ein Kanzler mitsamt seiner Regierung kann nur gestürzt werden, indem der Bundestag mit absoluter Mehrheit einen neuen Kanzler oder eine neue Kanzlerin wählt. Ohne ein solches konstruktives Vorgehen kann das Parlament der Regierung formal nicht das Misstrauen aussprechen. Der Bundespräsident allein kann den Kanzler nicht auswechseln. Auch damit wurde eine Lehre aus Pattsituationen in der Weimarer Republik gezogen, die der nationalsozialistischen Diktatur von Adolf Hitler den Weg geebnet hatten.

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In der bundesdeutschen Geschichte haben Kanzler insgesamt fünfmal die Vertrauensfrage gestellt, also den „Antrag“, ihnen „das Vertrauen auszusprechen“, wie es in Artikel 68 des Grundgesetzes heißt. Nur in zwei Fällen hatten die Amtsinhaber die Absicht, sich den Rückhalt der Parlamentsmehrheit zu sichern, wie es ursprünglich gedacht war: 1982 ließ sich Helmut Schmidt (SPD) in einer Koalitionskrise das Vertrauen aussprechen – was nicht verhinderte, dass Schmidt noch im selben Jahr durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Bundestags von Helmut Kohl (CDU) abgelöst wurde. 2001 sicherte sich Gerhard Schröder (SPD) die Zustimmung für den umstrittenen Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, indem er diese Abstimmung mit der Vertrauensfrage verband.

Die Optionen von Olaf Scholz 8.24

In den drei übrigen Fällen nutzten Kanzler die Vertrauensfrage als Schachzug, um Neuwahlen einzuleiten: Dass 1972 Willy Brandt (SPD), 1982 der gerade ins Amt gekommene Helmut Kohl (CDU) und 2005 Gerhard Schröder (SPD) Vertrauensabstimmungen verloren, war vorher abgesprochen. Alle drei Politiker handelten in der Hoffnung, bei Neuwahlen ihre Koalition zu stabilisieren. Während Brandt und Kohl dies gelang, scheiterte Schröder: Die SPD verlor die Bundestagswahl und wurde Juniorpartner in einer großen Koalition von Angela Merkel (CDU). Obwohl die jeweiligen Bundespräsidenten mitspielten, wurden die sogenannten „unechten Vertrauensfragen“ als Missbrauch des Grundgesetzes kritisiert. Sie erhielten aber schließlich den Segen des Bundesverfassungsgerichts.