Nach 54 Jahren hat ein Umsturz das Assad-Regime in Syrien hinweggefegt. Dessen Geschichte begann 1970 ebenfalls mit einem Coup, angezettelt von Baschar al-Assads Vater .
Herbst 1970, Damaskus. Das Parlament tagt, doch was dort passiert, ist kaum noch von Bedeutung. Denn Verteidigungsminister Hafiz al-Assad hat Truppen vor dem Versammlungsgebäude aufziehen lassen. Da stört ihn auch wenig, dass ihm die Abgeordneten, in einem letzten Akt der Verzweiflung, alle Regierungsämter aberkennen.
Als die mehrtägige Sitzungsperiode am 12. November endet, schlagen seine Soldaten zu. Sie verhaften die führenden Mitglieder der amtierenden Regierung. Ansonsten bleibt alles ruhig. Kein Blut, keine Kämpfe. Syrien hat einen neuen Machthaber, Hafiz al-Assad hat die Herrschaft übernommen. Er selbst nennt diesen Umsturz verharmlosend technisch eine „Korrekturbewegung“. Die Gewalt wird später kommen.
Ein Staatsstreich ist fast so etwas wie Normalität in dieser Zeit, in diesem Land. Seit Syrien unabhängig ist, seit 1946, wechseln die Regierungen in atemraubender Taktung und häufig gewaltsam oder zumindest unter Zwang.
Das unabhängige Syrien scheint unregierbar
Das koloniale Erbe, die lange Mandatszeit unter französischer Oberhoheit, der willkürliche Zuschnitt der postkolonialen Staaten im Nahen Osten haben ein nur schwer regierbares Gebilde hervorgebracht, in dem unterschiedlichste Interessen, politische und religiöse Gruppen rivalisieren. Sunnitische Muslime bilden die Mehrheit, ebenfalls zum Islam gehörende Alawiten sowie Christen, Drusen und Kurden sind wichtige Minderheiten. Wohlhabende Städter und Landbesitzer stehen einer Masse von verarmten Landbewohnern gegenüber.
Im Sechstagekrieg im Juni 1967 verliert Syrien die Golanhöhen an Israel (hier isrealische Truppen auf syrischem Gebiet). Hafiz al-Assad ist in dieser Zeit Verteidigungsminister. Die Schmach der Niederlage befeuert sein politisches Ziel, Israel zu zerstören
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Die erste, kaum kompromissbereite, zu elitäre Zivilregierung des Landes scheitert nach nur drei Jahren: Sie wird 1949 von konservativen Militärs gestürzt, die jedoch ebenfalls erfolglos bleiben und ihrerseits von anderen Militärs abgesetzt werden.
Unterdessen gewinnt eine Bewegung an Zulauf, die gerade in der Armee besonders viele Anhänger hat, wie auch unter der Volksgruppe der Alawiten: die Baaht-Partei, sozialistisch und säkular gesinnt, Verfechter eines panarabischen, also auf alle Araber, auch die jenseits der Landesgrenzen, ausgerichteten Nationalismus, eine Partei, die es sich zudem zum Ziel macht, den 1948 gegründeten Staat Israel zu bekämpfen (und später Ableger in anderen Staaten des Nahen Ostens besitzt).
Für den Bauernsohn gilt: Cockpit statt OP-Saal
In der Baaht-Partei macht auch Hafiz al-Assad Karriere. Er ist Sohn eines Bauern, dessen Familie nicht genug Geld aufbringen kann, um das erträumte Medizinstudium zu finanzieren. Er geht stattdessen zum Militär, lässt sich zum Kampfpiloten ausbilden – und treibt seinen politischen Aktivismus in der Uniform voran, als guter Organisator.
Nachdem Syrien sich zwischenzeitlich mit Ägypten zu einer arabischen Union zusammengeschlossen hat und nach deren Scheitern kurz von einer neuen zivilen Regierung geführt worden ist, ergreift 1963 schließlich die Baath-Partei die Macht. In einem weiteren Staatsstreich. Hafiz al-Assad wird Chef der Luftwaffe.
Die neuen Machthaber versuchen ihre Position nun durch Härte abzusichern, installieren einen Polizeistaat, der die Opposition ersticken soll. Doch diesmal lauert die Gefahr im Inneren: Zerwürfnisse in der Partei führen 1966 zum abermaligen Coup. Radikalisiert macht der siegreiche Teil der Bewegung weiter und spaltet sich noch einmal auf, in einen zivilen und einen militärischen Arm. Diesen letzten Riss nutzt Hafiz al-Assad für seinen soldatischen Staatstreich. Nach seiner Machtergreifung im Herbst 1970 lässt er sich im Jahr darauf zum Staatspräsidenten ernennen.
Hafiz al-Assad spricht Anfang 1971 vor den syrischen Abgeordneten. Die Macht ist nach dem Putsch im Jahr zuvor großteils auf ihn zugeschnitten. Er stützt sie unter anderem durch ein rigoroses Vorgehen gegen oppositionelle Kräfte, durch Folter und Exekutionen
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Es ist paradox: Al-Assad führt das strenge, autoritäre Regime seiner Partei fort, und doch scheinen viele in gewisser Weise aufzuatmen. Denn der neue Machthaber bringt bald etwas fast Vergessenes: Stabilität. Mit einer Landreform und Bildungsprogrammen gewinnt er Unterstützung bei der armen Bevölkerung. Wirtschaftsprogramme zeigen Wirkung.
Die Brutalität vererbt Assad seinem Sohn
Doch es ist eine düstere Beständigkeit, befeuert von Hass und Gewalt. Die erklärte vehemente Feindschaft gegenüber Israel, an das das Land im Sechstagekrieg 1967 die Golanhöhen verloren hat, soll die Menschen in Syrien hinter dem Regime vereinen. Und ein eng geknüpftes Geflecht aus Militär, Bürokratie und Regierungspartei nimmt der Opposition allen Raum, verfolgt Abweichler, lässt verhaften und foltern. (Der nächste Umsturz in Syrien wird erst der aktuelle von 2024 werden.)
Als 1982 in der syrischen Stadt Hama Angehörige der verbotenen Muslimbrüder einen Aufstand wagen, schickt der Machthaber Truppen; Tausende Zivilisten sterben, die Innenstadt bleibt als Trümmerfeld zurück.
Und so werden Brutalität und Unterdrückung wichtige Werkzeuge im Arsenal von Hafiz al-Assad, Instrumente, die er im Jahr 2000 an seinen Sohn und Nachfolger Baschar übergeben wird.