Das Assad-Regime in Syrien ist Geschichte. Migrationsforscher Gerald Knaus erklärt im stern-Interview, warum die Folgen des Umsturzes auch hier zu spüren sein könnten.
Das Regime von Diktator Bashar al-Assad ist gestürzt. Sehen Sie eine Chance, dass syrische Flüchtlinge nun in Ihre Heimat zurückkehren?
Die Chance gibt es. Kurzfristig für Millionen Binnenvertriebene, dann für Millionen Flüchtlinge im Libanon und der Türkei. Natürlich ist die Gefahr von weiterem Chaos groß. Es gibt in Syrien viele ungelöste Konflikte, einen zerfallenen Staat, Nachbarn mit eigenen Interessen. Aber mittelfristig – sollte Stabilität hergestellt werden – könnte das für die gesamte Flüchtlingssituation, auch in Europa, ein historischer Wendepunkt sein. Könnte.
Inwiefern?
Syrische Flüchtlinge in den Nachbarländern haben sofort die Chance zu sehen, ob es in ihrer Heimat wieder sicher ist. Ist das so, werden auch Asylanträge in Deutschland und anderen europäischen Ländern zurückgehen – und auch Syrer von hier zurückkehren. Absolute Top-Priorität muss dafür sein, im Verbund mit den Nachbarländern für Stabilität zu sorgen. Scheitert das, drohen mehr Flüchtlinge. Das kann niemand wollen.
Die Rebellen, die nun in Syrien das Sagen haben, werden von der EU teilweise als islamistische Terrororganisation geführt. Was, wenn der Bürgerkrieg nun erst recht losgeht?
Niemand hat die letzten Tage vorhergesehen, niemand weiß, was jetzt kommt. Wer daher sofortige Massenrückkehr nach Syrien verspricht, handelt populistisch. Wer aber sagt: Wir wollen eine Situation, in der keine Syrer mehr in Europa Asyl brauchen, wo Rückführungen syrischer Straftäter möglich sind, und wir arbeiten jetzt daran, der handelt verantwortungsvoll. Gerade die Nachbarländer haben ein Interesse an einem stabilen Syrien. Diese Chance muss genutzt werden. Auch Deutschland ist gefragt.
Was kann die Bundesregierung jetzt tun?
Es braucht eine Kontaktgruppe von unmittelbar betroffenen Ländern. Jordanien müsste dabei sein, die Türkei, Österreich, Griechenland, Deutschland, die EU und die nächste syrische Regierung. Diese Gruppe muss eine Strategie entwerfen, die EU sie unterstützen. Auch aus Eigeninteresse. In den letzten zwei Jahren haben 80 Prozent der Syrer in der EU Schutz in Deutschland und Österreich bekommen. Wenn sich Syrien stabilisiert, könnte das auch unsere Politik dramatisch und positiv verändern.
Weil Populisten und Extremisten dann ihr Kernthema verlieren würden?
Ja. Sollte sich die Zahl syrischer Asylanträge 2025 schnell verringern, würde extrem gefährlichen Kräften das Wasser abgegraben – der AfD hierzulande, der FPÖ in Österreich. Deswegen muss das Thema der Stabilisierung Syriens absoluten Vorrang haben, auch was die außenpolitischen Anstrengungen angeht.
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Die Türkei spielt eine Schlüsselrolle für Region. Nur sind unsere Beziehungen zu dem Land sehr schlecht.
Es gibt derzeit leider keine europäische oder deutsche Türkei-Politik. Dabei gibt es geteilte Interessen. Seit dem Zusammenbruch des Türkei-Abkommens 2020 haben wir eine oberflächliche Zusammenarbeit. Der Beitrittsprozess ist kaputt. Es gibt keine Strategie, junge Türken stärker an die EU zu binden, keine Ideen, eine wichtige Wirtschaft mehr zu integrieren. Das ist eine große Lücke. Auch was Menschenrechte in der Türkei betrifft, fehlen Ideen zur Verbesserung der Lage. Die nächste Bundesregierung sollte dringend neue Beziehungen zur Türkei erarbeiten. Wir brauchen die Türkei, die Türken brauchen Deutschland und die EU. Eine Stabilisierung Syriens kann das Land allein nicht schultern.
Aus der CDU kommen Rufe nach einem Aufnahmestopp für syrische Flüchtlinge. Teilen Sie das?
Wenn Syrien sich als sicher erweist, was es unter dem Assad-Regime, das Putin unterstützte, nie war, werden Rückkehr und auch Abschiebungen wieder möglich sein. Das muss das Ziel sein. Doch ohne eine stabile Regierung und Sicherheit wird das nicht klappen. Dinge zu versprechen, die man nicht umsetzen kann, ist Populismus, der aufs Konto der AfD einzahlt, wenn es dann scheitert. Wir können in diesen Tagen sehen, welche Politiker ernsthaft Ziele verfolgen – und wer nur eine schnelle Schlagzeile jagt.