Kein Grüner hat so lange mit der CDU regiert wie Tarek Al-Wazir, jetzt will der Hesse in den Bundestag. Könnte Schwarz-Grün auch im Bund funktionieren?
Herr Al-Wazir, Sie haben in Hessen zehn Jahre mit einer CDU regiert, die mal als die schwärzeste, härteste der ganzen Republik galt. Würde Ihnen diese Erfahrung bei einer Zusammenarbeit mit Friedrich Merz helfen?
Klar, die hessischen Grünen haben viel erlebt, ich auch. Als ich erstmals in den Landtag einzog, gab es noch eine rot-grüne Mehrheit und eine schwarz-gelbe Opposition. Was Koalitionen im Bund angeht, sollten wir erst einmal das Wahlergebnis abwarten. Aber es stimmt, als es 2014 in Hessen an Schwarz-Grün ging, gab es eine unglaubliche Lagerkonfrontation – und auf einmal verhandelten wir mit denen. Auch in unseren Reihen hat das für viel Kopfschütteln gesorgt.
Warum hat es trotzdem funktioniert?
Zur Wahrheit gehört, dass sich die Hessen-CDU in dem Moment verändert hat. Sie hat verstanden, dass der konfrontative Kurs auf Dauer nirgendwo hinführt, dass es nichts bringt, alles, was halbwegs liberal ist, als quasi linksradikal zu bezeichnen. Umso verrückter, dass Friedrich Merz heute den Eindruck erweckt, sich genau das wieder zu wünschen. Von Hessen aus kann ich nur sagen: Der gegenläufige Weg ist richtig.
Der CDU-Chef dürfte kaum auf Ihren Rat gewartet haben.
Die Parteienlandschaft ist heute unübersichtlicher als früher. Die Union sollte im eigenen Interesse und im Interesse des Landes eine Koalition mit uns nicht ausschließen. In Sachsen dachte Michael Kretschmer, er werde der Held, wenn er im Wahlkampf monatelang auf uns rumprügelt. Im Ergebnis hat er nicht nur die Grünen schwach und AfD und BSW stark, sondern sich selbst die Mehrheit kaputt gemacht und steht jetzt vor einem Trümmerhaufen.
Ändert sich bei der Union in der Hinsicht gerade etwas? Zuletzt hat sich CSU-Chef Markus Söder im stern-Interview etwas weicher angehört, was die Ablehnung der Grünen angeht – nur um kurz darauf in Social Media den Ton wieder zu verschärfen.
Ach, der Markus Söder. Sagen wir es mal freundlich: Der hat in der Vergangenheit oft bewiesen, dass er in seinen Positionen ziemlich schnell flexibel ist, wenn es sein muss.
In Hessen entschied sich CDU-Ministerpräsident Boris Rhein zuletzt für die SPD und verbannte Sie in die Opposition. Wie lässt sich das im Bund verhindern?
Dafür gibt es kein Rezept. Die letzte Regierungsbildung in Hessen war für die Grünen enttäuschend. Wir haben in der laufenden Legislatur den Wechsel von Volker Bouffier, der krank war, zu Boris Rhein ermöglicht. Es war ein Vertrauensvorschuss, der nicht zurückgezahlt wurde. Menschlich war es richtig, politisch leider nicht.
Warum wollte die hessische CDU nichts mehr von den Grünen wissen?
Die SPD wollte so unbedingt regieren, die hat am Ende das CDU-Programm unterschrieben. Das war mit uns nicht zu machen. Ob das allerdings langfristig klug von der CDU war, wird man sehen.
Wollen Sie mit Friedrich Merz regieren? Regelmäßig arbeiten sich viele Grüne schwer an ihm ab.
Friedrich Merz kommt für uns vom anderen Stern. Das ist so. Wir kommen für ihn aber auch von einem anderen Stern. Offen gesagt: Die Grünen träumen wirklich nicht von Friedrich Merz. Aber wenn man drei Jahre mit Christian Lindner regiert hat …
Schlimmer wird es nicht?
Alle demokratischen Parteien der Mitte müssen miteinander gesprächs- und koalitionsfähig sein, sonst wird es wie in Frankreich, wo bald gar nichts mehr geht. Der Bundestagswahlkampf wird eine Auseinandersetzung um die besten Ideen für die Zukunft, natürlich kontrovers. Aber die Union hat die nächsten Wochen hoffentlich Besseres zu tun, als weiter auf den Grünen rumzuhacken.
Wie gut können Sie mit dem CDU-Chef?
Ich hatte wenig mit ihm zu tun, er war lange raus aus der Politik. In den letzten drei Jahren war da viel lautes Opponieren. Aber man merkt, dass Merz langsam über die Frage nachdenkt, dass er an der Regierung liefern müsste. Schon kommt er auf die Idee, dass es eine kluge Reform bei der Schuldenbremse brauchen könnte.
Bericht: Grüne überflügeln andere Parteien bei Budget für Bundestagswahlkampf 11.50
Wenn es ein schwarz-grünes Kernprojekt gäbe – was könnte das sein?
Für mich gibt es grüne Kernprojekte: Deutschland soll Industrieland bleiben und gleichzeitig klimaneutral werden. Wenn wir den Wandel gut gestalten, dann ist er eine Chance, darüber reden wir gerne mit allen demokratischen Parteien. Wenn wir uns aber die Vergangenheit zurückwünschen, dann werden wir ein Industriemuseum, wo dann der Dieselmotor neben der Dampflok und der Pferdekutsche steht.
Die Union hat angekündigt, das Heizungsgesetz von Robert Habeck wieder abschaffen zu wollen. Warum eigentlich nicht? Auch den Grünen hängt es schwer nach.
Das ist nicht gut gelaufen, wir wollten zu viel, zu schnell. So erreicht man am Ende weniger. Aber so quälend der Prozess auch war – das Gesetz ist am Ende besser geworden, weil ein entscheidender Punkt hinzukam. Ein millionenschweres Zuschussprogramm, um Menschen finanziell zu unterstützen, die sich einen Heizungstausch sonst nicht leisten können. Genau das will die CDU wieder abschaffen. Das wäre fatal. Der Fall hat aber gezeigt, wie solche Kampagnen gegen uns verfangen können.
Die Grünen sehen sich oft unfairen Kampagnen ausgesetzt und wollen in der Frage jetzt selbstbewusster werden.
Wir waren oft so verunsichert von offensichtlichem Schwachsinn, der uns vorgeworfen wurde, dass wir nicht mehr kontern konnten. Wieso kann die Thüringer CDU ein Plakat aufhängen, wo draufsteht: Wir lassen uns das Grillen nicht verbieten? Wer will denn das Grillen verbieten? Niemand.
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Was wollen Sie dagegen tun?
Immer wieder sagen: Ja, wir sind eine Partei, die was verändern will. Wir wissen, dass in einer Welt, in der sich viel verändert, Leute auch Angst vor dieser Veränderung haben. Tun wir aber nichts, wird es für uns gefährlicher. In einer Welt der Klimakrise, der Abhängigkeit von Autokraten und des globalen Wettbewerbs führt nur der Wandel zur Sicherheit. Das muss man immer wieder erklären.
Für viele dürfte das aber ins Bild passen: Die Grünen wissen alles besser.
Eine grüne Partei, die angesichts des Zustands von Umwelt und Klima nichts mehr verändern will, wäre überflüssig. In unserem Fall muss aber rüberkommen, dass wir niemanden quälen wollen. Sondern dass wir das tun, weil wir überzeugt sind, dass wir alle nur so eine gute Zukunft haben – und beim nötigen Wandel niemanden überfordern wollen.
Dem Land geht es schlecht, die Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise – der zuständige Minister aber sagt: „Hurra, ich bin gescheitert, also bin ich Kanzlerkandidat.“
Robert Habeck ist nicht gescheitert, im Gegenteil: In Rekordzeit hat er uns aus der Abhängigkeit von der russischen Energie befreit – eine Abhängigkeit, in die uns die vorherigen Regierungen gebracht haben, ein wesentlicher Grund für die jetzige Krise. Gleichzeitig ist der Ausbau der Erneuerbaren endlich auf Kurs. Perspektivisch wird das dafür sorgen, dass unsere Energie günstiger wird.
„Perspektivisch“? Was ist mit jetzt?
Keiner weiß besser als Robert Habeck, dass wir aus der Stagnation rauskommen müssen. Deshalb hat er einen Weg für mehr Investitionen vorgeschlagen. Es geht auch darum, Zuversicht zu geben: Die Reallöhne steigen, aber gleichzeitig auch die Sparquote. Die Leute sind verunsichert und kaufen lieber nichts. Das erste Opfer ist die Möbelindustrie, weil die Menschen dann sagen: Das Sofa tut’s noch ein Jahr.
Die Grünen wollen Zuversicht geben, um den Konsum anzukurbeln?
Wenn es keine Wegwerfprodukte sind, warum denn nicht? Es soll auch weiter eine Autoindustrie geben, aber dafür braucht sie konkurrenzfähige Elektroautos, und eine leistungsfähige Bahn braucht es eben auch. Ich bin bei den Grünen, weil ich weiter in einem funktionierenden Industrieland leben will – aber einem, das nicht auf Kosten künftiger Generationen lebt.
Was ist für Ihre Partei am Ende drin?
Eigentlich alles. Machen wir es schlecht, kämpfen wir um die zehn, machen wir es gut, gehen wir auf die 20 Prozent. Der Trend zeigt für uns wieder deutlich nach oben. Das Ende der Ampel war eine Befreiung. Wir haben drei Jahre lang gelitten.
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Wie bitte?
Wenn man weiß, was eigentlich nötig ist und dass man eine Verantwortung hat, und dann mit Leuten am Tisch sitzt, denen diese Verantwortung egal ist – das ist hart. Natürlich haben auch wir nicht alles richtig gemacht. Aber das Hauptproblem an der Ampel war die FDP. Nicht, dass sie in vielen Bereichen andere Auffassungen vertritt, aber dass sie ziemlich bald so getan hat, als sei sie Regierung und Opposition gleichzeitig. Das kann nicht funktionieren.
Al-Wazir heißt übersetzt „der Minister“. Ist das auch das Programm für Berlin?
Ich kandidiere als Abgeordneter für den Deutschen Bundestag. Al-Wazir heißt Minister, aber nicht jeder Müller macht Mehl.
Aber Sie stünden bereit.
Ich will Bundestagsabgeordneter werden, alles andere steht in den Sternen. Wer heute schon weiß, wie diese Wahl ausgeht, sollte Lotto spielen.