An diesem Samstag präsentiert sich AfD-Chefin Alice Weidel als designierte Kanzlerkandidatin. Es ist der nächste Schritt, die Partei nach ihrem Willen zu formen.
„Boah, ist das hart“, ruft Alice Weidel. Die AfD-Vorsitzende lacht laut. Aus einer Bluetooth-Box schallt der 90er-Jahre-Hit „Mr. Vain“, es ist Weidels Musikwunsch. Sie soll posieren, Wahlkampffotos müssen her. Es ist bereits das dritte Shooting in Berlin. Die Bilder der ersten beiden Versuche waren aus Sicht der Agentur nicht gelungen. Weidel ist genervt, nun erneut ranzumüssen, lässt sich das aber nicht anmerken. Sie wirkt kontrolliert, harte Ansagen oder gar Wutausbrüche, von denen immer mal wieder berichtet wird, gibt es diesmal keine.
Die Vorsitzende weiß, wie wichtig die Fotos für diese Bundestagswahl sind. Weidel soll erstmals als Kanzlerkandidatin ihrer Partei auf Plakate und Flyer. Oskar Strauss, der Chef der beauftragten Werbeagentur, fordert drei Posen: visionär, entschlossen – und bitte sehr freundlich.Eine Außenseiterin erklimmt die Spitze: AfD kürt Weidel zur Kanzlerkandidatin 7:11
„I know what I want and I want it now“, schallt Culture Beat durch den Konferenzraum im Bundestag, der kurzfristig als Kulisse herhalten muss. Weidel amüsiert sich sichtlich. Den Trick, die alten „Bravo“-Hits ihrer Jugend einzuspielen, um den „sehr freundlichen“ Gesichtsausdruck zu bekommen, habe sie von einem erfahrenen Modell. Strauss gibt sich diesmal von den Bildern begeistert. Wie üblich sind die Haare der AfD-Chefin eng zusammengebunden. Und wie üblich trägt sie zur Hose einen Blazer, darunter ein weißes Hemd, dessen Kragen weit genug geöffnet ist, dass ihre weiße Perlenkette gut zu sehen ist.
Alice Weidel als politische Marke
Der Wiedererkennungseffekt ist gewollt. So wie Angela Merkel oder Sahra Wagenknecht hat Weidel sich auch äußerlich zu einer politischen Marke gemacht. Jetzt bekommt sie dazu auch den passenden Titel: Kanzlerkandidatin. Die Präsentation ist für diesen Samstagvormittag in Berlin geplant, den Rahmen bildet ein Treffen des Bundesvorstandes mit den Länderchefs. Mitte Januar muss der Bundesparteitag in Riesa die Personalie nur noch formal bestätigen.
Es ist eine seltsame Premiere. Die AfD stellt eine Kanzlerkandidatin auf – und das, obwohl Alice Weidel nicht Kanzlerin werden kann. Zumindest nicht in diesem Jahr, in diesem Universum. Keine andere deutsche Partei will im Bundestag mit ihr zusammenarbeiten, geschweige denn gemeinsam regieren. Und von einer absoluten Mehrheit ist die AfD mit Umfragewerten von 17 bis 19 Prozent sehr weit entfernt.
Hart bei Migration, soft bei anderen Themen
Doch dieses demoskopische Argument lässt sich auch umkehren. Immerhin liegt die AfD in Umfragen seit Monaten stabil vor der Kanzlerpartei SPD und den Grünen. „Wir sind zweitstärkste Kraft und dementsprechend haben wir einen Regierungsanspruch“, sagte Weidel deshalb diese Woche bei ntv. Zumal: Eine Kanzlerkandidatur verspricht mehr mediale Aufmerksamkeit und untermauert den Anspruch, in TV-Wahlrunden eingeladen zu werden.
Und dabei soll es aus Sicht Weidels nicht bleiben. Die Vorsitzende will die Partei inhaltlich moderner aufstellen, professioneller organisieren und ihr ein neues visuelles Image verpassen. Ziel ist es, spätestens nach der Bundestagswahl 2029 anschlussfähig zu sein. Modern heißt für Weidel: extrem hart bei Migration, innerer Sicherheit sowieso, in der Europa- und Außenpolitik – aber etwas weicher in der Familien- und Sozialpolitik.
Vorbild sind hier andere rechtsäußere Parteien in Europa. Noch folgt ihr die AfD dabei aber nicht vollständig: In der ersten Version des Wahlprogramms stehen knallharte Formulierungen zum Thema Abtreibung – härter noch als im Grundsatzprogramm.
Für die Vorsitzende gibt es also noch viel zu tun in Sachen Parteirenovierung. Ein zentrales Thema: Frauen. Auch wenn sie gegen Geschlechterquoten ist, will sie Frauen in der AfD mit einem Mentoring-Programm stärker fördern. Bei dieser Frage legt sie sich auch mal öffentlich mit Parteifunktionären an.
Als jüngst der Brandenburger Landeschef René Springer auf einer Pressekonferenz angesichts des Frauenmangels in der AfD erklärte, dass den Männern nun mal „das Kämpfen im Blut liege“, putzte ihn Weidel öffentlich ab. Sie sehe das „völlig anders“, sagte sie. „Frauen sind genauso Kämpferinnen wie Männer, sie stehen dem in nichts nach!“
Kurzum, Weidel will die Kanzlerkandidatin mit der zugehörigen Partei harmonisieren. Denn sie ist ja nun mal eine Frau, die mit einer in Sri Lanka geborenen Frau zwei Kinder großzieht, und dies auch noch in der Schweiz.
Die Kluft zwischen ihrem Privatleben und ihrer politischen Tätigkeit beschäftigt sie auch emotional. „Sarah, ich liebe dich“, rief sie zuletzt auf einer Veranstaltung in Zürich zu ihrer Frau, die laut dem „Tages-Anzeiger“ im Publikum saß. Und sie erzählte davon, wie schwer das Familienleben sei: „Wir können nicht mehr spontan ins Restaurant gehen, ohne Angst zu haben, dass ich eins über die Rübe kriege.„
Bei Weidel ist das Private in jeder Hinsicht politisch. Dies gilt insbesondere für eine in Teilen rechtsextremistische Partei wie die AfD. Auf Parteitagen verließ sie schon mal die Bühne, wenn vom Rednerpult wieder homophobe Sprüche kamen.
Die Harmonisierung zwischen Kanzlerkandidatin und Partei gilt auch für den öffentlichen Auftritt. Weidel leidet unter dem biederen, oft geschmacklosen Ambiente vieler Parteitreffen. In Zukunft sollen alle AfD-Veranstaltungen, seien es Wahlkampfkundgebungen, Parteitage oder Pressekonferenzen, ein einheitliches, zeitgemäßes Aussehen erhalten. Dafür wird die Partei einiges Geld investieren.
Tino Chrupalla muss um seine Macht fürchten
Und auch machtpolitisch soll sich die AfD seiner Kanzlerkandidatin anpassen. Nach einem Jahrzehnt des Kämpfens und Intrigierens ist Weidel die unbestrittene Nummer eins in der Partei. Sie verfügt über eine klare Mehrheit im Bundesvorstand, auch ihren lange notorisch zerstrittenen Heimat-Landesverband in Baden-Württemberg hat sie inzwischen hinter sich vereint, interne Gegner wurden systematisch kaltgestellt.
Für Weidels Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla bedeutet dies nicht nur, dass er die Nummer zwei ist. Es dürfte auch mittelfristig seine Entmachtung bewirken. Den Co-Vorsitz der neuen Bundestagsfraktion wird er wohl behalten. Doch in der Partei unterstützt Weidel intern seit Längerem jene, die eine Einer-Spitze plus Generalsekretär favorisieren.
Für dieses Modell wirbt nicht nur das Netzwerk um Bundestagsfraktionsvize Sebastian Münzenmaier, sondern auch der frühere „Flügel“ um Björn Höcke. Weidels mittelfristiges Motto scheint den Highlander-Filmen entlehnt: Es kann nur eine geben.
Weidel: „Der Blick muss gerade sein“
Doch vorher muss mindestens noch eine Bundestagswahl erfolgreich absolviert werden. „So, Oskar, was machen wir jetzt?“, fragt die AfD-Chefin während des Fototermins den Agenturchef. Aus dem Lautsprecher dröhnt „Let’s get loud“ von Jennifer Lopez.
Zwei Kamerateams begleiten das AfD-Foto-Shooting: ein eigenes und eines von einem Fernsehsender für eine Dokumentation. Auch deshalb bleibt Weidel wohl so kontrolliert. Auf Fragen eines Reporters antwortet sie fast schon im in Jahren eingeübten AfD-Sprech.
Dann verstummt die Musik. Statt Freundlichkeit ist nun Entschlossenheit fürs Bild gefragt. Und die künftige Kanzlerkandidatin liefert. „Lass doch mal den Kopf genau so, aber blick etwas nach links“, bittet Agenturchef Oskar Strauss. Doch Weidel weigert sich. „Nee, nee“, erwidert sie, „der Blick muss der Nase folgen.“ Auch einen weiteren Versuch, sie zu überzeugen, bügelt Weidel ab. „Der Blick muss gerade sein“, verfügt sie. Dann lächelt sie kühl.