Der Chef von United Healthcare, Brian Thompson, ist mitten in Manhattan erschossen worden. Auf den Patronenhülsen finden sich Hinweise auf die Branche seines Unternehmens.
Es ist eine Szenerie wie aus einem Hollywood-Streifen: eine gesperrte Seitenstraße in Downtown Manhattan, gelbes Absperrband der Polizei, Markierungen am Boden und Polizisten in Uniform und Ermittler in zivil, die mit ernstem Gesicht die Szene beobachten. Bilder, die man sonst aus klassischen Thrillern kennt, aber nicht aus der Wirtschaftswelt, auch nicht aus den USA.
Doch genau dort ereignete sich am Mittwoch ein Verbrechen, das seither weite Teile des Landes in Atem hält und für Spekulationen sorgt: Ein unbekannter Mann erschoss hier am frühen Mittwochmorgen den Manager Brian Thompson, Chef von United Healthcare, einer Tochter des größten privaten Krankenversicherers der Welt, United Health. Thompson war auf dem Weg zu einer Investorenkonferenz in einem Hotel, als der Täter gezielt drei Schüsse auf Thompson abfeuerte.
Ermittler fotografieren eine leere Patronenhülse vor dem New Yorker Hotel, in dem Brian Thompson erschossen wurde
© Spencer Platt
Der Manager verstarb kurz darauf in einem Krankenhaus. Vom Täter und von der Tat gibt es inzwischen zwar viele Bilder und auch Spuren, die zu allerlei Spekulationen Anlass geben, bislang ist er aber auf der Flucht – er floh mit dem Fahrrad in den nahegelegenen Central Park, wo sich seine Spur verliert.
Botschaft auf Patronenhülsen
Was den Fall so besonders und brisant macht, ist das bisher rätselhafte Motiv. Am Tatort fand die Polizei drei Patronenhülsen, auf die der Täter nach Angaben von US-Medien eine Botschaft hinterließ: „Delay“, „Deny“ und „Depose“, was übersetzt so viel heißt wie „verzögern“, „ablehnen“ und „absetzen“. Drei Begriffe, die von der amerikanischen Öffentlichkeit vor allem mit der Geschäftspraxis von Versicherungen verbunden werden. Vor allem seit das Buch eines bekannten Rechtsprofessors 2010 – mit dem Titel „Delay, deny, defend“ – genau diese Geschäftspraxis anprangerte:
Es warf den Versicherungskonzernen vor, auf Schadensmeldungen von Kunden gezielt mit Verzögerungstaktiken zu reagieren und dann die Zahlungen hinauszuzögern oder abzuschmettern. Und der Autor gab darin Ratschläge, wie sich Kunden gegen dieses Versicherungsgebaren zur Wehr setzen könnten. Die Ermittler gehen daher anhand der Inschrift auf den Patronenhülsen davon aus, dass der Täter ein persönliches Motiv haben dürfte.Mord an Versicherungschef 12:11
Wieso aber richtete sich der Zorn des Schützen gegen den Manager des Krankenversicherers? Dazu muss man wissen, dass United Health der bedeutendste US-Krankenversicherer ist und einer der größten privaten Krankenversicherungskonzerne der Welt. Er operiert in einem Gesundheitssystem, das als das teuerste weltweit gilt, denn die amerikanische Krankenversicherung ist größtenteils privatwirtschaftlich organisiert. Es gibt keine Pflichtversicherung wie hierzulande und für viele US-Bürger sind die Versicherungspolicen unerschwinglich. Zudem unterliegt der Markt für Krankenbehandlungen, Medikamente und Therapien nur laxen Preiskontrollen. Regelmäßig streitet die US-Politik deshalb über die hohen Kosten und die teuren Beiträge für Krankenversicherungen.
Auch United Health wird als größter US-Krankenversicherer immer wieder heftig angegangen. Der Konzern besitzt 14 Prozent Marktanteil in den USA und verfügt dort über rund 50 Millionen Kunden. Mit seiner dominierenden Stellung ist die Unternehmensgruppe einer der wichtigsten Akteure auf dem US-Gesundheitsmarkt, und verhandelt so auch die Arzneimittelpreise und Behandlungskosten für andere Versicherungskonzerne mit. Ein Netzwerk aus angeschlossenen Apotheken beliefert zudem in den USA Millionen Patienten mit Medikamenten. Kritiker werfen dem Unternehmen jedoch vor, selbst bei eigentlich notwendigen Behandlungen häufig nicht die Kosten zu übernehmen oder sie sogar erst im Nachhinein zu verweigern. Die Patienten müssen die Behandlung dann aus der eigenen Tasche bezahlen.
United Healthcare wuchs in den vergangenden Jahren
Dem Unternehmen selbst geht es insgesamt sehr gut. Es legte gerade in den vergangenen Jahren ein beachtliches Wachstum hin: Die Unternehmensgruppe gehört zu den größten Versicherungsunternehmen der Welt und kommt auf rund 130 Mio. Kunden weltweit. Der Gesamtkonzern erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 370 Mrd. Dollar, das war beinahe doppelt so viel wie noch 2017. Der Nettogewinn war 2023 mit 23 Mrd. Dollar sogar mehr als doppelt so hoch wie noch 2017, damals lag er bei 10 Mrd. Dollar. Auch das Ergebnis nach Steuern hat United Health seitdem mehr als verdoppelt. Die Dividende an die Aktionäre sogar fast verdreifacht.
Dank seiner guten Unternehmenszahlen war United Health auch immer wieder in der traditionsreichen Capital-Auswahl der „50 Aktien fürs Leben“. Und der Versicherer war längere Zeit auch Bestandteil im Portfolio des legendären Investors Warren Buffett, der die Aktien im Jahr 2006 im großen Stil kaufte. Damit adelte er den Konzern zum unterbewerteten Value-Unternehmen und veranlasste etliche Investoren ebenfalls zum Einstieg. Wenig später hatte sich Buffetts Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway jedoch wieder von den United Health Papieren getrennt – obwohl Buffett normalerweise dafür bekannt ist, seine Investments über extrem lange Zeiträume zu halten. Er stieß sie aber bereits 2009 ab, just ein Jahr bevor das kritische Buch des Rechtsprofessors erschien. Das mag natürlich ein bloßer Zufall sein.
Fakt ist aber: Unter Investorengesichtspunkten legte die Aktie von United Health erst danach erst so richtig zu. Von daher hätte auch Investorenlegende Buffett gut daran getan, sie zu halten. Seit 2014 erzielte das Papier rund 470 Prozent Kursplus, das entspricht rund 19 Prozent pro Jahr.
Aktuell ist der Konzern an der Börse rund 530 Mrd. Dollar wert. Nach dem Attentat auf seinen Spitzenmanager Thompson verlor die Aktie von United Health zunächst rund acht Prozent an Wert. Sie fiel von 580 Euro auf 544 Euro. Seitdem erholte sie sich wieder leicht auf aktuell 550 Euro.