Verkleidete Männer schlagen Frauen mit einem Kuhhorn – diesen Teil des Nikolausbrauchs Klaasohm soll es auf Borkum nicht mehr geben. Nach heftiger Kritik versucht die Insel nun einen Neuanfang.
Auf der Nordseeinsel Borkum soll keine Frau mehr mit Kuhhörnern geschlagen werden. Mit einem Gewaltverbot und einem Schutzkonzept will der Verein Borkumer Jungens von 1830 als Veranstalter einen Neuanfang für den umstrittenen Nikolausbrauch Klaasohm finden. Zu dem Fest am Vorabend des Nikolaustages werden heute Tausende Besucher auf der Insel erwartet. Jahrzehntelang sollten Auswärtige außen vor bleiben, es war ein Fest nur für die Insulaner. Doch dieses Mal werden Journalisten aus ganz Deutschland auf Borkum erwartet.
Ein Bericht des ARD-Magazin „Panorama“ hatte gewalttätige Übergriffe auf Frauen bei vorherigen Klaasohm-Festen auf der ostfriesischen Insel dokumentiert. Die Recherche löste vergangene Woche bundesweit Empörung aus. Die Borkumer Jungens von 1830 kündigten danach an, den „Brauch des Schlagens“ abzuschaffen. In den Verein dürfen nur männliche Inselbewohner ab 16 Jahren eintreten.
Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann (parteilos) setzt darauf, dass die Zusage der Borkumer Jungens gilt. Dazu habe der Verein, wie in den Vorjahren schon, seinen Mitgliedern eine klare Ansage gemacht. „Das ist verboten und das ist dieses Mal noch eindringlicher gemacht worden“, sagt der Bürgermeister der Deutschen Presse-Agentur. „Wir wollen das nicht mehr, auch wenn es früher so war. Wir distanzieren uns da ganz klar von.“
Zusätzlich will die Stadt eine Telefonnummer und Räume einrichten, wo sich Frauen melden können, sollte es zu gefährlichen oder unangenehmen Situationen kommen. Auch die Polizei soll das Fest absichern. Niedersachsens Innenministerin Behrens (SPD) kündigte an, dass Polizisten deutlich stärker als in den Vorjahren auf der Insel präsent sein werden, damit alle Besucherinnen und Besucher ohne Angst vor Gewalt feiern können.
Getöse in den Straßen und Sprung von einer Säule
Auf Borkum beginnt das Fest am Nachmittag: Junge, unverheiratete Männer verkleiden sich mit Masken, Schafsfellen und Vogelfedern als sogenannte Klaasohms. Begleitet werden sie von einem als Frau verkleideten Mann mit Rock und Schürze, der sogenannten Wievke. Ausgestattet sind alle mit Kuhhörnern.
Erst kommt es in einer Halle unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu einem symbolischen Kampf. Danach laufen die Klaasohms unter großem Getöse auf festgelegten Routen durch die Stadt. Bislang gehörte auch der „Brauch des Schlagens“ dazu, den es nun nicht mehr geben soll: Frauen, die sich aus dem Haus wagten, wurden von den Klaasohms mit einem Kuhhorn verhauen.
Zum Höhepunkt des Festes kommt es am Abend auf einem zentralen Platz: Dort springen die Klaasohms von einer meterhohen Säule nacheinander in eine Menschenmenge. Gefeiert wird die gesamte Nacht hindurch.
Historikerin: Klaasohm-Tradition weiter verändern
In dem „Panorama“-Beitrag hatten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen berichtet. Bei einer Umfrage in der Fußgängerzone sagte eine Seniorin mit Rollator: „Ich habe auch Schläge gekriegt.“ Sie sei kein Fan. Warum das Fest so wichtig sei, müsse der Reporter die Männer fragen. „Es ist ein reiner Männertag“, sagte die Frau.
Eine solche Diskussion hält auch die emeritierte Historikerin an der Universität Oldenburg, Katharina Hoffmann, für nötig. Dass der „Brauch des Schlagens“ abgeschafft wird, begrüßt die Wissenschaftlerin, die unter anderem 2020 zu Klaasohm geforscht hatte. „Die Borkumerinnen und Borkumer sind spät dran. Aber es ist gut, dass sie jetzt diesen Schritt gemacht haben. Dennoch ist es wichtig, sich weiterhin mit dem Brauch auseinanderzusetzen und ihn weiter zu verändern“, sagte Hoffmann der dpa.
Denn allein ohne das Schlagen sei der Brauch aus ihrer Sicht „nicht unschuldig und unproblematisch“. Mit dem Fest werde nicht nur eine gewaltvolle Form von Männlichkeit verknüpft, auch werde eine Binarität der Geschlechter, weiblich und männlich, hergestellt. „Was ist mit den Leuten, die sich nicht so eindeutig verorten“, fragt die Forscherin, die auch eng mit dem Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung verbunden ist.
Hoffmann sagte, es wundere sie, dass viele Borkumer betonten, das Fest sei wichtig für die Identität und das Zugehörigkeitsgefühl auf der Insel. „Das ist schon sehr irritierend, dass man ein solches Fest braucht, um zu spüren, wer man ist und wozu man gehört.“ Die Frage, die damit verbunden ist, sei: „Wer ist überhaupt Borkumer, wer ist Borkumerin? Gehören dazu Geflüchtete und Arbeitsmigrantinnen, die regelmäßig auf Borkum arbeiten?“ Eine Diskussion darüber, wie das Fest weiter reformiert werden kann, hält Hoffmann für nötig.
Krampus und Klausen als Touristen-Events
Eine Installation im Frühjahr im Museum für Kunst & Gewerbe in Hamburg mit dem Titel „Männerfeste – Moderne Bräuche in Deutschland“ analysierte neben Klaasohm noch andere Männerrituale. Denn während in der Arbeitswelt Frauen gegen Diskriminierung gerichtlich vorgehen können, halten sich im Bereich von Bräuchen und Traditionen weiterhin Männerbünde, die Frauen ausschließen und die eigene Überlegenheit zelebrieren.
In der Nacht zum Nikolaus oder am Nikolaustag treiben auch im Allgäu furchteinflößende Gestalten in Fellgewändern mit Tierköpfen oder Kappen mit Ochsenhörnern ihr Unwesen. Beim sogenannten Klausentreiben geht es laut der offiziellen Internetseite des Allgäus darum, böse Nachtgeister zu vertreiben. Statt Geistern würden heute vorwitzige Zuschauer gejagt.
Früher dienten die wilden Hiebe auf Passanten und Gegenstände nach Angaben des Klausenvereins Sonthofen dem Zweck, alles zu vertreiben, was sich bewegte oder verdächtig wirkte. „Heutzutage findet dies natürlich gesittet unter Beachtung bestimmter Regeln und Richtlinien durch die Klausen statt“, heißt es auf der Internetseite des Vereins. Die Klausen sind verkleidete junge Männer. In einigen Orten gibt es aber auch einen vergleichbaren Brauch für Frauen. Beim Bärbeletreiben treiben an Hexen erinnernde verkleidete Frauen ihr Unwesen und sind auch mit Ruten bewaffnet.
Krampus heißt eine gruselige Gestalt in Begleitung des Nikolaus in Österreich und Oberbayern. In vielen Gemeinden werden rund um den 6. Dezember Krampusläufe veranstaltet, junge Männer tragen Holzmasken, zottelige Fellkostüme und Glocken. Körperverletzungen kommen bei diesen Volksfesten immer wieder vor, dabei werden auch Krampusse von Zuschauern attackiert. Laut des Vereins Tourismus Oberbayern München sind die Krampusläufe heute zivilisierter als früher, dennoch gehe es dort immer noch rau zu.