„Rassistische Aussagen“: Polizist provoziert im Netz – Amnesty International reicht Beschwerde ein

Manuel Ostermann, Vizechef der Deutschen Polizeigewerkschaft, fällt mit Äußerungen auf, die grenzwertig sind. Oder grenzüberschreitend, wie Amnesty International findet.

Manuel Ostermann hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Neulich erst, nach einer propalästinensischen Demonstration in Berlin, schrieb der 34-jährige Bundespolizist und Vize-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) auf X: „Es ist genau richtig, Diensthunde bei Versammlungen einzusetzen. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage – nicht selten wäre die Abnahme des Maulkorbs angemessen.“ Zwei Monate zuvor hatte er Amnesty International angegriffen, die weltweit größte Menschenrechtsorganisation, 1977 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Ostermann twitterte: „Ich sage es mal frei raus – euch braucht kein Mensch.“ 

Über eine Berliner Anwaltskanzlei hat die deutsche Sektion von Amnesty International nun beim Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Ostermann eingereicht. Was Ostermann über Amnesty International denke, sei „Teil der Meinungsfreiheit“, betont Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland. „Ein Zusammenhang zwischen Herrn Ostermanns Kritik an Amnesty International und der eingelegten Dienstaufsichtsbeschwerde besteht nicht.“ 

„Menschenverachtende Aussagen“

Allerdings provoziere Ostermann „in sozialen Medien mit offen rassistischen Aussagen und Begriffen“. Damit verstoße er gegen „das Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot, die Neutralitätspflicht, die Wohlverhaltenspflicht und das Verhältnismäßigkeitsprinzip“. Mit seinen „menschenverachtenden Aussagen“ fördere Ostermann „Diskriminierung, Rassismus und Polizeigewalt“, schreibt Amnesty auf Facebook. 

Bei Amnesty International habe man sich diesen Schritt nicht leicht gemacht, heißt es aus internen Kreisen. Es sei lange und kontrovers diskutiert worden, auch über die Erfolgsaussichten der Dienstaufsichtsbeschwerde – die in der Regel als gering gelten. „Formlos, fristlos, fruchtlos“ ist die spöttelnde Beschreibung für diese Art behördlicher Eingaben. Amnesty hofft in diesem Fall dennoch, dass Ostermanns „Aussagen untersucht und Disziplinarmaßnahmen eingeleitet werden“. 

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Fast täglich äußert sich der Gewerkschaftsvize auf X, Facebook und Instagram, manchmal mehrmals am Tag. Klima-Aktivisten sind für ihn Terroristen in spe: „Die #LetzteGeneration ist eine kriminelle Organisation“, schrieb er einmal. „Leider sind es keine Aktivisten, sondern Menschen mit ungehemmter krimineller Energie.“ Ostermanns Prognose: „Heute Klimaextreme und morgen Terroristen.“ 

Die Kriminalität von Migranten ist eines seiner bevorzugten Themen. „Die Migrationskrise ist in allererster Linie eine Kriminalitätskrise. Es reisen mit Masse (sic) Kriminelle ein. Jetzt gibt es die bittere Quittung für eine katastrophale Sicherheitspolitik.“ Dass Menschen vor dem Krieg fliehen, bezweifelt der Gewerkschafter. „Die meisten jungen Männer fliehen nicht vor Gewalt, sondern wandern in großzügige soziale Sicherungssysteme ein. Diese Migranten nutzen unsere sozialen Sicherungssysteme aus und verachten unseren Rechtsstaat“, schreibt er. 

Manuel Ostermann fürchtet offenbar eine Machtübernahme durch Islamisten

Ostermanns oberste Dienstherrin ist die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die auf ihrer Homepage darauf hinweist, dass Deutschland „weiterhin eines der sichersten Länder der Welt ist“. Ostermann ist anderer Meinung: „Deutschland ist kein sicheres Land mehr. Freiheitsverlust, Angsträume und eine fragwürdige politische Korrektheit sind toxische Mischungen und spalten die Gesellschaft.“ Vor allem Frauen könnten sich nicht mehr sicher fühlen: „Gedankenspiel: Eine Bande Rechtsradikaler würde permanent Frauen mit Migrationshintergründen belästigen, schlagen oder vergewaltigen. Deutschland würde sich zu recht überschlagen. Genau das passiert im Übrigen beinahe täglich, nur dass die Täter meist Migranten sind.“ 

Ostermann sieht das Land offenbar bedroht, auch und vor allem durch Islamisten: „Islamisten haben nur ein Ziel – Machtübernahme. Menschenleben sind denen dabei völlig egal. Man blicke nach Frankreich oder England. Wichtig ist, dass die Blinden unter den ‚Guten‘ und Linke immer noch die Augen verschließen oder über Rassismus schwadronieren“, schrieb er auf X. Der Nutzer Alex U. antwortete: „Wie ist denn der Stand der Islamisierung? Dich unterscheidet in deiner Sprache nichts mehr von der AfD. Du hast genau ein Thema. Gruselig.“ 

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Ostermann ist CDU-Mitglied und – wenig überraschend – der Meinung, die Regierung habe versagt: „Die Bundesregierung kann es nicht nur nicht. Nein, schlimmer. Sie will es auch nicht. Die Menschen in Deutschland haben ein Recht auf Sicherheit und dieses Recht wird konsequent ignoriert. Ein innenpolitischer Totalausfall. Es reicht.“ Migration, Terror, Kriminalität – all das ist für Ostermann untrennbar miteinander verbunden: „Der Terror in Deutschland begründet sich maßgeblich über die Migrationskrise“, warnte er am 25. August. „Die größte Gefahr für Leib und Leben sind Islamisten und niemand anders.“ 

Dass „die steigende Migration“ zu „mehr Straftaten geführt hat“, bestreitet auch seine Chefin Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht. Auch sie betont, dass es „keinerlei Toleranz, keine Rechtfertigung für Straftaten“ gebe – und zwar „nie“. Allerdings warnt sie davor, „keine Ressentiments gegen einzelne Gruppen von Menschen zu schüren.“ Und setzt auf „gute Sozialpolitik, gute Bildungspolitik, gute Integrationspolitik“. 

Bundesinnenministerium äußert sich nicht

Ganz anders Ostermann. Sein Feindbild sind linke angebliche Ideologen. „Diese unsäglichen Rassismusdebatten im sicherheitspolitischen Kontext haben eine große Mitverantwortung für die desolate Sicherheitslage in Deutschland“, schrieb er am 24. August. „Wir rennen blindlings ins Verderben aus Angst, von linken Ideologen lautstark diffamiert zu werden.“ Julian J. fragte zurück: „Und wer feuert diese Debatten durch rassistische Äußerungen an?“

Ostermanns Äußerungen mögen grenzwertig und einseitig sein, aber sind sie auch justiziabel? Beamte müssen bei ihrer politischen Betätigung „Mäßigung und Zurückhaltung“ wahren, „die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben“. Aber Ostermann ist Gewerkschafter. Er darf auf den Putz hauen. Das Bundesinnenministerium, das die Dienstaufsicht über die Bundespolizei hat, will sich „grundsätzlich“ nicht äußern. Es sei „eine Personalangelegenheit, konkrete Aussagen eines Beamten zu bewerten.“

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Auch Ostermann lässt einen langen Fragenkatalog unbeantwortet. Es bleibt also vorerst ungeklärt, warum er den Einsatz von Polizeihunden auf Demonstrationen für verhältnismäßig hält, selbst wenn sie keinen Maulkorb tragen. Weshalb er glaubt, dass die „Migrationskrise in allererster Linie eine Kriminalitätskrise ist“ – obwohl die meisten Migranten eben nicht kriminell werden. Und wie es sich mit der Unschuldsvermutung vereinbaren lässt, dass er alle Klima-Aktivisten zu Kriminellen und Terroristen in spe erklärt. 

Ostermann sagt auf Anfrage lediglich: „Aufgrund möglicher Verwaltungsermittlungen, die mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen mich einhergehen könnten, bitte ich um Verständnis, dass ich mich in dieser Angelegenheit derzeit nicht weiter öffentlich äußern werde.“

Transparenzhinweis: Der Ehemann der Autorin ist Mitglied bei Amnesty International. Er war dagegen, Dienstaufsichtsbeschwerde einzureichen.