Nach knapp drei Monaten stürzt wohl Frankreichs Regierung – und auch Emmanuel Macron muss sich Rücktrittsforderungen gefallen lassen. Er steckt in einer Sackgasse.
Frankreichs Premierminister Michel Barnier hat einst mit den Briten den Brexit ausgehandelt – aber an seinen Landsleuten ist er nun wohl gescheitert. Schon diesen Mittwoch könnten er und seine Regierung durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden, nach nur drei Monaten Amtszeit. Sowohl Marine Le Pens rechtspopulistischer Rassemblement National (RN) als auch das Linksbündnis Nouveau Front Populaire (NFP) haben angekündigt, gegen ihn zu stimmen. Eine bemerkenswerte Allianz.
Auslöser der Krise ist eine Zahl. Barnier hatte sie „Damoklesschwert“ getauft: 3228 Milliarden Euro, das ist der Schuldenberg, den Frankreich aufgetürmt hat. Alarmiert war man in Bercy, wie der Sitz des Finanzministeriums genannt wird, zuletzt vor allem wegen des Haushaltsdefizits: In diesem Jahr ist es auf satte sechs Prozent angewachsen. Um diesen Kurs einzudämmen, hatte Barnier ein Budget für 2025 vorgelegt, das ursprünglich Einsparungen von 60 Milliarden Euro vorsah. Doch der Premierminister hat im Parlament keine Mehrheit. Und trotz diverser Zugeständnisse will niemand aus der Opposition sein Sparpaket mittragen.
Marine Le Pen sagt „non“
Bis zuletzt hatte Barnier vor allem Marine Le Pen umworben. Doch die erwies sich als Zockerin: Sobald er ihr in einem Punkt entgegenkam, formulierte die Chefin des RN neue „rote Linien“. Vergangenen Montag hatte der Regierungschef sogar eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er die Rechtspopulistin namentlich als Verhandlungspartnerin würdigt. Vergebens. Der RN sagte „non“. In der Nationalversammlung vermeldete Michel Barnier daraufhin, er werde den berüchtigten Artikel 49.3 der Verfassung nutzen, um einen Teil seines Budgets ohne die Zustimmung des Parlamentes durchzubringen. Damit war klar, dass die Opposition per Misstrauensvotum seinen Rücktritt erzwingen wird.
Man betrete in diesem Fall „unbekanntes Terrain“, warnte Barnier die Parlamentarier düster. Frankreich steckt fest in einer finanziellen und politischen Krise. Barnier selbst konnte erst nach monatelangem zähen Ringen ins Amt berufen werden – ein Szenario, das erahnen lässt, wie schwierig es werden dürfte, einen Nachfolger zu finden.Marine Le Pen: Die Siegerin 21.25
Das waghalsige Manöver des Emmanuel Macron
Hinter Marine Le Pens Entscheidung steht ein simples Kalkül: Bei ihrer Wählerschaft kommt es gut an, sich gegen Sparmaßnahmen zu stellen. Denn für das politische Chaos – und da ist sie sich mit den Linken einig – ist ihrer Meinung nach ein anderer verantwortlich: Emmanuel Macron.
Im Juni hatte der Präsident mit einem waghalsigen Manöver, über dessen Sinn in Frankreich bis heute gerätselt wird, das Parlament aufgelöst und Neuwahlen einberufen. Eine einsame Entscheidung, die Emmanuel Macron nun vor die Füße fällt. Denn die Konsequenz des präsidialen Pokerspiels ist: In der Nationalversammlung stehen sich drei gleich große Blöcke gegenüber, die ohneeinander nichts entscheiden können – und die miteinander nichts entscheiden wollen. Die politische Krise war damit eröffnet, verursacht vom Präsidenten selbst. Im September brachte Macron dann seinen Premierminister Michel Barnier als „Garant für Stabilität“ ins Amt. Und scheitert nun aller Voraussicht nach auch damit.
Macron wird außerdem für das gewachsene Haushaltsloch verantwortlich gemacht. Gleich zu Beginn seiner ersten Amtszeit hatte er unter anderem die Vermögenssteuer heruntergeschraubt, sie gilt jetzt lediglich für Immobilienbesitz. Reiche zahlen seither deutlich weniger Steuern. Ein Bericht der Expertengruppe France Stratégie, die der Regierung unterstellt ist, verwies bereits 2021 auf die hohen Kosten der Reform für den Staat. Noch bedenklicher: Macron hatte die Abschaffung der Vermögenssteuer damit begründet, dass sie für die Wohlhabenden den Anreiz böte, ihr Geld in produktive Wirtschaft, statt in Immobilien zu investieren. Doch dieser Effekt blieb den Experten zufolge aus.
Macron, der „Präsident der Reichen“
Schwer wiegt bis heute vor allem das politische Gewicht dieser Reform. Das Etikett „Präsident der Reichen“ klebt an Emmanuel Macron. Daran konnten weder die Zugeständnisse nach den Gelbwesten-Protesten noch seine Großzügigkeit während der Pandemie und der kriegsbedingten Energiekrise etwas ändern. Insgesamt gab es in Frankreich in den vergangenen Jahren mehr Steuersenkungen als in den meisten anderen EU-Staaten. Auch das erklärt das Defizit.
In Frankreich schüttelt man dieser Tage bestenfalls den Kopf über das politische Personal. Wie soll es weitergehen mit einem Parlament, das augenscheinlich kein Interesse daran hat, Kompromisse auszuhandeln? Ein neuer Premier, ein neues Sparpaket, ein erneutes Misstrauensvotum? Die Wut richtet sich zunehmend gegen den Mann im Élysée: Einer Umfrage zufolge finden rund 63 Prozent der Franzosen, Emmanuel Macron müsse zurücktreten, falls sein Regierungschef gestürzt wird. Und überhaupt, wo steckt eigentlich der Präsident?
Während Frankreichs Regierung auf der Kippe steht, reist Emmanuel Macron durch Saudi-Arabien. Er ist derzeit zu Gast bei Kronprinz Mohammed bin Salman, mit dem er eine strategische Partnerschaft vereinbaren will. Auf die heimische Krise reagierte er vergangenen Montag nicht. Die französischen Medien spekulieren höflich über eine präsidiale „Entkoppelung“ von der Innenpolitik. „Arroganz“ ist das zweite Etikett, das dem Präsidenten hartnäckig anhaftet.Marine Le Pen Justiz 09.27
„Macron démission“? Ein Rücktritt stehe nicht zur Debatte, heißt es unverdrossen aus dem Umfeld des Präsidenten. Je härter es werde, desto entschlossener kämpfe er, das sei bekannt. Auch Macron hat seinen Abgang vor dem verfassungsgemäßen Ende seiner Amtszeit 2027 stets ausgeschlossen. Er wird nun möglichst schnell eine neue Lösung für die Regierungsbildung finden müssen. So viel Zeit wie beim letzten Mal dürfe der Präsident sich lassen, lautet die einhellige Meinung. Neuwahlen, die dem Parlament klarere Mehrheitsverhältnissen bescheren könnten, darf es frühestens im kommenden Juni geben.
Marine Le Pen indes hält einen anderen Vorschlag bereit: Nach allem, was Emmanuel Macron bisher versucht habe, bleibe ihm nur noch ein Ausweg – sein Rücktritt. Ähnlich sieht es die Linksaußen-Partei La France Insoumise. In beiden Lagern, davon ist auszugehen, wird man jetzt mit viel Getöse auf vorgezogene Präsidentschaftswahlen hinarbeiten. Eine Sackgasse, in die sich der machtbewusste Herrscher im Élysee durch seine Parlamentsauflösung selbst manövriert hat.