J. Peirano: Der geheime Code der Liebe: Ich habe mich von meinem Vater finanziell abhängig gemacht und werde erpresst

In einer Kindheit, in der Vaterliebe durch Geld ausgedrückt wurde, hat Johanna K. keinen Bezug zu inneren Werten entwickelt. Nun fühlt sie sich um ihre eigene Familie betrogen.

Liebe Frau Peirano,

ich bin Designerin, 55, geschieden und habe zwei erwachsene Kinder. Mein Vater, 84, hatte eine Firma und war sehr erfolgreich (Multimillionär). In meiner Kindheit hat er die ganze Familie beherrscht. Er hat meine Mutter mit unzähligen Frauen betrogen und dabei auch zwei Söhne gezeugt, mit denen er sich auch öffentlich in der Kleinstadt zeigt.

Ich habe in meiner Kindheit sehr unter ihm gelitten. Er hatte kaum Interesse an mir, weil ich zu sensibel und zu unsportlich war. Seine „Liebe“ hat er durch Geschenke gezeigt. Das tolle Hollandrad, das ich mir sehnlichst gewünscht hatte, rollte er an meinem 12. Geburtstag stolz in den Garten, am 14. Geburtstag bekam ich ein Pferd und ab 16 ging ich auf ein englisches Elite-Internat.

Er hat nie ein Nein akzeptiert und wollte immer das Sagen haben. Meine Mutter, die eher ein ängstlicher Typ ist, hat er runtergemacht. Wenn wir bei einem Ausflug überlegt haben, wohin wir gehen wollen, ist er einfach mit erhobenem Kinn weitergestürmt und wir mussten ihm folgen. 

Peirano November 4

Ich war sehr erleichtert, als ich endlich auf dem Internat war und Abstand von ihm hatte. Leider lief meine berufliche Karriere nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Mein Vater hat mir eine ordentliche finanzielle Starthilfe gegeben, damit ich mich selbstständig machen konnte. Kurz darauf ließ er mich in einem seiner Häuser wohnen, was mir sehr gelegen kam, weil mein Mann und ich wenig Geld und recht früh zwei kleine Kinder hatten. Im Nachhinein denke ich, dass ich da in eine Falle getappt bin. 

Mein Vater zahlte uns Urlaube oder ließ uns in einem seiner Ferienhäuser wohnen, aber er bestimmte, ob er und meine Mutter dabei waren. Er gab mir ein monatliches „Taschengeld“ und seine Jahreswagen. Meine Kinder wurden von ihm ebenso bestochen. Weihnachten brachte er einen riesigen Geschenke-Korb für jedes Kind mit und zeigte so seine Liebe. Zum 18. Geburtstag bekam jedes Kind 100.000 Euro.

Mir passte das nicht, weil ich eigentlich wollte, dass meine Kinder selbstständig werden und sich auf ihre Ausbildung konzentrieren. Aber ich wurde nicht gefragt. Mein Mann trennte sich, und ich fühlte mich verlassen, alt und trank wohl auch etwas zu viel. Als Folge davon wollten die Kinder Weihnachten dann lieber beim Großvater verbringen (meine Mutter war gestorben), weil sie dann jeweils 10.000 Euro geschenkt kriegten. Ich ging mit und fühlte mich wie das fünfte Rad am Wagen.

Peirano November 3

Mein Vater wurde im Alter immer herrischer und unverschämter und ließ auch sehr verachtende Bemerkungen über mein Aussehen los, wie fett und unförmig ich sei, wie ich mich so gehen lassen könne, kein Wunder, dass ich keinen Mann halten könne. Kurz darauf lernte er eine neue Frau kennen, so alt wie ich und in finanzieller Not durch die Insolvenz ihres Ex-Mannes. Ich war völlig abgeschrieben.

Die neue Frau schmeichelte ihm und warf ein Auge auf das Haus, in dem ich wohne. Und kurz darauf schrieb mir der Rechtsanwalt meines Vaters, dass ich innerhalb von drei Monaten auszuziehen hätte. Es gab keinen Mietvertrag, und so habe ich schlechte Karten. Meine Kinder wollen keine Position beziehen, sie sagen, sie können beide Seiten verstehen und halten sich da raus. Auch das gibt meinem Herzen einen Stich, weil ich mir wünschen würde, dass sie die Manipulation durchschauen und für mich Partei ergreifen. 

Jetzt stehe ich ziemlich schlecht da, und die Situation bereitet mir riesige Bauchschmerzen. Ich habe vor Jahren eine kleine Mietwohnung von meinem Vater bekommen in einer nicht so schönen Lage und kann da einziehen. Und durch das, was er mir in den Jahren geschenkt hat, hätte ich ein monatliches Auskommen von rund 2000 Euro plus meinen eigenen Verdienst. Das ist keine gute Perspektive. Natürlich gewährt mir mein Vater keinen Einblick in sein Testament und ist der Meinung, eine Erbschaft müsste man sich verdienen. Ich kann mir vorstellen, dass er alles versuchen wird, um meine Erbschaft so gering wie möglich zu halten.

Ich werfe mir vor, dass ich das alles mitgemacht habe und das verursacht mir noch mehr schlechte Gefühle und Selbsthass.

Was raten Sie mir?

Johanna K.

Bio Julia Peirano

Liebe Johanna K.,

Ihre Situation ist wirklich tragisch! Und damit meine ich nicht den drohenden Verlust von Komfort und Finanzen, sondern den Umgang in Ihrer Familie miteinander, der von Manipulation, Erpressung und Rücksichtslosigkeit geprägt ist. Eine Schlangengrube! 

Ihr Vater ist anscheinend der Auffassung, dass Geld jegliches Fehlverhalten rechtfertige und dass man mit Geld alles kaufen kann. Man darf seine Frau mehrfach und öffentlich betrügen. Man darf durch unangemessene Geschenke Gehorsam und Zuneigung erkaufen, und das auch über Ihren Kopf hinweg bei Ihren Kindern. Zudem darf man mit dem eigenen Immobilienbesitz so umspringen, wie es einem passt, und ohne Reue oder umsichtige Gespräche einfach die eigene Tochter auf die Straße setzen und die neue Freundin einziehen lassen.

Man braucht sich nicht darum kümmern, dass alle Familienmitglieder sich verstehen und vertragen, sondern man herrscht einfach von oben, verteilt den Besitz nach Gutdünken und ohne Rücksicht auf Fairness, und wenn die andere sich damit schlecht fühlen, ist das beabsichtigt oder einfach deren Problem. Ich vermute, dass es bei dem Herrschaftsanspruch und der fehlenden Empathie Ihres Vaters für ihn auch eine Genugtuung ist, andere Menschen leiden zu sehen.

Peirano November 2

Die Vaterliebe bestand aus Geldgeschenken

Sie kannten dieses Machtgefüge von klein auf und haben gesehen, was Ihr Vater Ihrer Mutter angetan hat, ohne dass sie sich wehren konnte. War Ihnen bewusst, dass es sehr gefährlich ist, sich von ihm abhängig zu machen? Sie haben es ja über Jahrzehnte bequem damit gehabt, in einem Haus zu wohnen, das Sie sich eigentlich nicht leisten konnten, ein Pferd zu haben, sich die berufliche Existenz nicht selbst zu erarbeiten, Urlaub zu machen, der über Ihre finanziellen Verhältnisse ging.

Wie haben Sie sich dabei gefühlt? War Ihnen und Ihrem Mann bewusst, dass so etwas auch richtig ins Auge gehen könnte? Und warum haben Sie es trotzdem billigend in Kauf genommen, sich selbst dieser Gefahr auszusetzen und auch Ihre Kinder immer wieder in die Nähe des machthungrigen Großvaters zu bringen?

Ich frage das, weil es wichtig ist, seine Lebensgeschichte nicht als Opfergeschichte zu verstehen, sondern sich auch bewusst zu machen, welche Entscheidungen Sie selbst getroffen haben und warum. Sie waren und sind im Fahrersitz Ihres Lebens, auch wenn sich das vielleicht nicht so anfühlt. 

Peirano November 1

Vielleicht kommen Sie an den Punkt, dass materielle Geschenke die einzige Form von Liebe waren, die Sie kannten und auch Sie selbst dadurch den Mangel an aufrichtigem Interesse und an Liebe kompensieren wollten? Haben Sie von Ihrem Vater die Auffassung übernommen, dass man ein bedeutenderer Mensch ist, wenn man ein tolles Haus und ein schickes Auto hat und an schönen Orten Urlaub machen kann? Kam Ihnen das richtig vor, obwohl Sie das Geld ja nicht selbst verdient hatten, sondern sich von einem Tyrannen abhängig gemacht haben?

Ich würde Ihnen raten, lange und ohne Selbstvorwürfe darüber nachzudenken, warum Sie den vergifteten Apfel (oder die vergifteten Äpfel) angenommen und gegessen haben.

Kennen Sie den Begriff der Affenfalle? Ein Affe greift durch ein Loch in eine Kiste, in der eine Banane ist. Seine Hand kommt mit der Banane in der Hand nicht mehr durch das Loch und er ist gefangen. Er müsste die Banane loslassen, um seine Hand (und damit auch sich) zu befreien. Aber er kann es nicht, weil er die Banane nicht verlieren will.

Wie wäre es, wenn Sie Ihre Situation auch als eine Affenfalle begreifen? Dann gibt es nur eine Lösung: Lassen Sie los. Wie das geht, beschreibe ich gleich noch. Überlegen Sie sich genau, mit welchen Strukturen Ihr Vater Sie und Ihre Kinder vergiftet. Die unangemessenen Geschenke, das Testament, das als Machtinstrument eingesetzt wird und über das nicht gesprochen wird, die Strafen, wenn man in Ungnade fällt, und nicht zuletzt die vielen Spaltungen – da kommt einiges zusammen. Ihr Vater spaltet Ihre Familie, weil er Ihre Kinder mit seinem Geld gegen Sie beeinflusst. Möglicherweise treibt er das Spiel noch weiter und vererbt ihnen mehr Geld, sodass Sie im Alter finanziell schlechter dastehen als Ihre Kinder. Er hat die Kinder schon darauf trainiert, dass Sie das nicht als Ungerechtigkeit empfinden, sondern achselzuckend sagen: Wir halten uns da raus (solange wir dafür reichlich belohnt werden). Das ist Korruption und tut Ihnen zu Recht sehr weh.

Peirano Oktober 6

Lassen Sie all das am Besten los. So etwas macht schlechte Stimmung, vermiest einem die Lebenszeit und es kann sogar krank machen. Und zudem werden Sie durch die Abhängigkeit und die Strafen von Ihrem Vater als Erwachsene retraumatisiert und die schädlichen Gefühle, die Sie als Kind hatten, werden wieder aktiviert und sorgen für viel Leid.

Ich würde Ihnen raten, sich bewusst dafür zu entscheiden, nicht mehr auf Ihre Vergangenheit oder auf das aktuelle Drama zu schauen, sondern nach vorne. Beobachten Sie genau, wenn Sie an das Drama oder die toxischen Themen denken und sagen Sie sich: „Ich lasse das los. Ich will das nicht mehr.“ Erst dann entsteht der Raum, sich darüber Gedanken zu machen, wie Sie wirklich leben möchten. Und dafür ist Ihr Vater nicht verantwortlich, das liegt in Ihren Händen.

Diese Aufgabe wäre eigentlich schon nach Ihrem Auszug aus dem Elternhaus dran gewesen, aber Sie haben sie damals nicht wahrgenommen. Ich hoffe, Sie können sich damit anfreunden, sich jetzt daranzumachen.

Schauen Sie sich mal an, welche Menschen Ihnen guttun, besuchen Sie vielleicht Kurse von Menschen (Frauen), die positive Energie haben und ihre Zukunft gestalten. Fragen Sie sich, wie Sie sich ernähren möchten, wie Sie mit Alkohol umgehen möchten und vor allem, welche Werte Sie in Ihrem Leben leben möchten. Was interessiert Sie? Es gibt viele Interessen, die wenig kosten und viel Freude stiften, z.B. singen, wandern oder in einem Schrebergarten Gemüse anbauen. Eine Therapie wäre dabei auf jeden Fall hilfreich und empfehlenswert, weil es darum geht, tiefgreifende Denk- und Verhaltensmuster zu verändern, die Ihr Leben bis jetzt geprägt haben.

Peirano Oktober 5 21.25

Stellen Sie sich vor, dass Ihr Vater versucht, Sie weiterhin zu bestrafen, Sie aber Ihre Würde bevorzugen und ihm aus dem Weg gehen. Und falls es Ihnen Spaß macht: Stellen Sie sich vor, Sie beide machten Tauziehen – und plötzlich gehen Sie weg und lassen das Seil los. Er wird auf den Rücken fallen …und das geschieht ihm recht. 

Ich denke, Sie haben keine Chance, in dem Haus wohnen zu bleiben, aber Sie haben das Glück, eine Wohnung zu besitzen und mehr Geld zum Leben zu haben als viele andere Menschen. Seien Sie aufmerksam, wenn Sie sich die „Nur Geld macht glücklich“-Geschichte Ihres Vaters erzählen. Ich habe sehr unglückliche und einsame Multimillionäre behandelt und auch sehr zufriedene Studenten oder Angestellte mit wenig Geld. Geld allein macht nicht glücklich oder unglücklich, sondern es hängt davon ab, wie man sein Leben lebt und zufrieden wird.

Buchtipp

Hier ist noch ein Roman, der von einer Frau handelt, die in der Mitte ihres Lebens ihre Tochter verloren hat, in eine schwere Krise gerät und sich völlig neu orientieren muss. Es kann helfen, sich mit solchen Schicksalen zu beschäftigen.

Das Buch ist von Daniela Krien und der Titel lautet „Mein drittes Leben“.

Ich hoffe, dass Sie sich mit der Idee anfreunden können, das Loslassen zu üben und dieses Drama als einen Wendepunkt zu verstehen.

Herzliche Grüße
Julia Peirano

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