FDP und Koalitionsbruch: FDP gerät wegen Ampel-Ausstiegsstrategie in Turbulenzen

„Wo ist die Nachricht?“ So reagierte FDP-Chef Lindner auf erste Berichte, dass sich seine Partei seit Wochen auf den Ampel-Crash vorbereitet habe. Jetzt gibt es ein Papier dazu. Und das hat Folgen.

Das detaillierte Drehbuch der FDP für den Ausstieg aus der Ampel lässt die Wogen der Empörung hoch schlagen. Und nicht nur das. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann treten zurück. Rund ein Vierteljahr vor dem geplanten Wahltermin ist das eine mittlere Katastrophe für die FDP und ihren Vorsitzenden Christian Lindner. Wie geht es jetzt weiter?

Was hat zu den Rücktritten geführt?

In dem Strategiepapier ist mehrfach vom „D-Day“ als dem Tag des Verlassens der Ampel-Koalition die Rede. Djir-Sarai betonte noch am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte über die „D-Day“-Formulierung: „Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.“ Dieser Widerspruch legte die Frage nahe, ob der Generalsekretär gelogen hat. In seinem Statement im Hans-Dietrich-Genscher-Haus sagte er: „Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert.“ Er habe selbst „keine Kenntnis“ von diesem Papier gehabt. Dafür übernehme er die politische Verantwortung.

Als Verfasser des Strategiepapiers hatte sich am Vortag Bundesgeschäftsführer Reymann geoutet. „Das Dokument ist ein Arbeitspapier, das der Bundesgeschäftsführer zum ersten Mal am 24.10.2024 um 15:38 Uhr erstellt hat“, schrieb er in einer Erklärung. Sein Rücktrittsgesuch an Lindner begründete Reymann damit, dass er „eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte“.

Was sagt Parteichef Lindner?

Lindner war am Freitag erst einmal auf Tauchstation. Dann wusch er in einer schriftlichen Erklärung zu dem Papier und den Folgen erst seine Hände in Unschuld („Ich habe es nicht zur Kenntnis genommen und hätte es auch nicht gebilligt.“) und attackierte dann gleich wieder die Ex-Koalitionspartner: „Ausdrücklich war und ist es kein Geheimnis, dass die FDP selbstverständlich ohne Wirtschaftswende, ohne einen Haushalt mit Schuldenbremse und ohne Konsequenz in der Migrationspolitik hätte aus der Regierung ausscheiden müssen.“ Denn: „Eine Stillstandsampel ohne Politikwechsel hätten wir dem Land nicht bis zum Ende der Wahlperiode zumuten können.“

Wusste die FDP-Führung wirklich nichts von dem Papier?

Die FDP-Führung stellt es so dar, dass sie das umstrittene Papier nicht gekannt habe. In seiner Erklärung schrieb Bundesgeschäftsführer Reymann: „Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition.“

Aber ist das glaubwürdig? Reymann war erst seit dem 1. März Bundesgeschäftsführer. Davor war er zunächst Büroleiter von Lindner im Bundestag und dann im Leitungsstab des Bundesfinanzministeriums tätig gewesen. Er ist also ein enger Vertrauter Lindners. Schwer vorstellbar, dass er nicht mit seinem Chef über das von ihm entwickelte Szenario gesprochen hat.

Was heißt das alles für den Wahlkampf und die Wahlchancen der FDP?

Die Aufregung über das Papier und die Rücktritte werden den Wahlkampf für die FDP nicht leichter machen. Gut möglich, dass den Wahlkämpfern an den Ständen in den Innenstädten kritische Fragen gestellt werden. Der Generalsekretär und der Bundesgeschäftsführer einer Partei sind zudem der Kern jedes Wahlkampfteams. Dass Djir-Sarai und Reymann jetzt fehlen, wiegt angesichts der Kürze des Wahlkampfs umso schwerer.

Die Wahlchancen der Liberalen dürften sich durch die Turbulenzen nicht verbessern. Aktuell stehen sie in den Umfragen bei 3 bis 4 Prozent – und damit ein gutes Stück von der kritischen Fünf-Prozent-Hürde und meilenweit von den 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2021 entfernt.

Wer folgt Djir-Sarai und Reymann nach?

Interessant wird vor allem sein, wer neuer FDP-Generalsekretär wird. Zunächst fallen einem die nach Lindners Rauswurf zurückgetretenen Minister Marco Buschmann und Bettina Stark-Watzinger ein. Beide hätten jetzt Zeit. Aus der Bundestagsfraktion kämen zum Beispiel Johannes Vogel und Konstantin Kuhle infrage. Beide sind Lindner-Vertraute, was eine Art Einstellungsvoraussetzung für einen Generalsekretär ist. Klar ist auch: Auf diesem Posten sind gerade in Wahlkampfzeiten Wadenbeißer-Qualitäten gefragt. Wer diesen Job übernimmt, muss die Abteilung Attacke beherrschen. 

Wird das Papier weitere personelle Konsequenzen haben?

Weitere personelle Konsequenzen müssten Parteichef Lindner selbst betreffen, doch der macht keine Anstalten, sein Amt aufzugeben. Er würde damit seine Partei auch endgültig ins Chaos stürzen. Denn er hat es in den vergangenen Jahren verstanden, sich gewissermaßen zum FDP-Alleinherrscher zu machen. Ein möglicher Nachfolger für ihn ist auf den ersten Blick nicht in Sicht. Auch kam bislang selbst nach der Serie von FDP-Pleiten bei den vergangenen Landtagswahlen keine öffentliche Kritik an Lindner auf. Er steht also ziemlich souverän an der Spitze der Partei. 

Warum ist das Papier so heikel?

Seit dem Bruch der Ampel kämpfen die Beteiligten um die Interpretationshoheit, wer für das Scheitern die Verantwortung trägt. Lindner warf Kanzler Olaf Scholz (SPD) unmittelbar nach seinem Rauswurf als Bundesfinanzminister einen „einen kalkulierten Bruch dieser Koalition“ vor. Das Papier lässt dies nun in einem ganz anderen Licht erscheinen. 

Neben dem Inhalt geht es aber auch um Wortwahl und Stil. In dem Dokument taucht mehrfach der Begriff „D-Day“ auf – die Bezeichnung für den Tag der Landung der Alliierten in der Normandie. Damit begann im Sommer 1944 die Befreiung Westeuropas von den Truppen Nazi-Deutschlands. In den Kämpfen starben Zehntausende alliierte und deutsche Soldaten sowie Zivilisten.

Auch die Formulierung „Beginn der offenen Feldschlacht“, mit der in dem Papier Phase IV der „D-Day Ablaufpyramide“ bezeichnet wird, klingt, als wolle die FDP in einen Krieg ziehen – gegen diejenigen, mit denen sie zum Zeitpunkt, als das Konzept entstand, noch in einer Koalition verbunden war.