Die FDP steckt weniger als 90 Tage vor der Bundestagswahl in einer tiefen Krise. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann erklärten am Freitag ihren Rücktritt, nachdem das Bekanntwerden eines aggressiv formulierten Strategiepapiers zum gezielten Bruch der Ampel-Koalition für Empörung gesorgt hatte. FDP-intern machte sich Unmut über das als schlecht empfundene Krisenmanagement der Parteizentrale breit.
Djir-Sarai verband seine Rücktrittserklärung mit einer Entschuldigung: Er habe die Öffentlichkeit „unwissentlich falsch“ über das interne „D-Day-Papier“ informiert. Dafür entschuldige er sich. Er habe „keine Kenntnis“ von dem Papier gehabt – „weder von der Erstellung noch von der inhaltlichen Ausrichtung“, sagte Djir-Sarai. Er übernehme aber „die politische Verantwortung, um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der der FDP abzuwenden.“
Mit dem Verweis auf Falschinformationen bezog sich Djir-Sarai auf seine früheren Aussagen zu dem Strategiepapier, in dem die FDP Optionen für einen gezielten Austritt aus der Ampel-Koalition durchgespielt hatte. Aus dem Papier geht hervor, dass die FDP noch während ihrer Zugehörigkeit zur Ampel gezielt auf einen Bruch der Koalition hinarbeitete.
Nachdem kurz nach dem am 6. November erfolgten Koalitionsbruch erste Informationen über das Dokument an die Öffentlichkeit gelangt waren, hatte Djir-Sarai den Gebrauch des aus dem Zweiten Weltkrieg entlehnten Begriffs „D-Day“ abgestritten: „Dieser Begriff ist nicht benutzt worden“, hatte Djir-Sarai am 18. November den Sendern RTL und ntv gesagt.
Am Donnerstagabend veröffentlichte die FDP dann das interne Papier, nachdem in Medien ausführlich daraus zitiert werden war. Der Begriff „D-Day“ war darin enthalten, ebenso der Begriff „offene Feldschlacht“ für die Auseinandersetzung mit den damaligen Koalitionspartnern SPD und Grünen.
Die früheren Partner reagierten bestürzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fühle sich „durch die aktuellen Veröffentlichungen in seiner Entscheidung bestätigt“, FDP-Chef Christian Lindner als Bundesfinanzminister entlassen zu haben, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner.
„Ich habe mich persönlich betrogen gefühlt“, sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch dem Portal t-online. „Zu erfahren, dass die FDP-Spitze die letzten Wochen insgeheim den Bruch der Regierung vorbereitete, hat mich tief getroffen.“ Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte dem Portal, die halte die FDP für nicht regierungsfähig: „Ein Parlament ist kein Schlachtfeld.“
Verfasser des Papiers war nach eigenen Angaben FDP-Bundesgeschäftsführer Reymann. Mit seinem Rücktritt wolle er der FDP ermöglichen, „mit voller Kraft und ohne belastende Personaldebatten“ in den Wahlkampf zu gehen, erklärte Reymann am Freitag. Reymann hatte den Posten in der FDP-Zentrale seit April diesen Jahres inne. Zuvor war er Leiter des Bundestagsbüros von Parteichef Christian Lindner.
Mit Djir-Sarai und Reymann verliert die FDP zwei zentrale Figuren der Wahlkampf-Planung – und dies in einer Situation, in der sie laut Umfragen mit einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde rechnen muss. Über die Nachfolge war bis Freitagnachmittag nach Parteiangaben nicht entschieden. Als ein Anwärter für den Posten des Generalsekretärs wurde der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann genannt.
Innerhalb der FDP sorgte der Wirbel um das Strategiepapier für Unmut und Kritik – die sich aber nicht gegen Parteichef Lindner richtete. Die FDP-Nachwuchsorganisation Julis hatte am Morgen als erste Parteigliederung den Rücktritt Djir-Sarais gefordert. „Nicht nur die Öffentlichkeit muss den Eindruck gewinnen, über Wochen getäuscht worden zu sein, sondern auch die eigene Partei“, erklärte Juli-Chefin Franziska Brandmann.
Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki sagte der „Welt am Sonntag“: „Die Kommunikation um das Papier war fehlerhaft, ja indiskutabel schlecht.“ Djir-Sarais Rücktritt sei „folgerichtig und respektabel“. Der bayerische FDP-Landesvorsitzende Martin Hagen kritisierte gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“ die Wortwahl des Papiers und „vor allem die missglückten Versuche, das im Nachgang kommunikativ einzufangen“.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bedauerte Djir-Sarais Rücktritt und sprach gegenüber dem „Stern“ von einem „herben Verlust für die FDP“. Djir-Sarai war ein erklärter Anhänger einer Koalition mit der Union und galt von Anfang an als „Ampel“-Skeptiker in der FDP.