Das Remis in Ungarn kann die Stimmung bei der Nationalmannschaft nicht trüben. Bundestrainer und Kapitän geben eine Vorgabe für das Vor-WM-Jahr. Erste Weichen werden noch in dieser Woche gestellt.
Als sich das Grummeln über die erneute Hand-Gemeinheit etwas gelegt hatte, blickte Joshua Kimmich noch im riesigen Ferenc-Puskás-Stadion mutig nach vorne. Die große Titelsehnsucht hat sich bei der Nationalmannschaft nach einem wunderbaren, aber unvollendeten Länderspieljahr nochmal potenziert. „Wir können uns im ersten Moment nichts davon kaufen, weil wir jetzt noch keinen Titel gewonnen haben. Das ist das ganz große Ziel. Da wollen wir drauf hinarbeiten“, sagte der Kapitän in seiner Analyse für 2024.
„Die Turniere beginnen jetzt und jedes Spiel ist für uns wichtig auf dem Weg dorthin“, sagte Kimmich und legte damit nach dem 1:1 in Ungarn die Messlatte für das nächste Jahr neu auf. Der 29-Jährige fasste als Kapitän treffsicher die Lage der Fußball-Nationalmannschaft zwischen Stolz auf das Erreichte und Verlangen nach noch Größerem zusammen. Nur in einem Punkt irrte der Münchner. Julian Nagelsmann schickte er sinngemäß schon in den Winterurlaub.
Nagelsmann hat 2024 noch Termine
Das durch den späten und hochumstrittenen Handelfmeter nicht gewonnene Ungarn-Duell war keineswegs der „Jahresabschluss“ für den Bundestrainer, wie Kimmich meinte. Schon am Freitag, wenn es für die Bayern gegen Augsburg in der Bundesliga weitergeht, reist Nagelsmann zum Termin nach Nyon am Genfer See. Dort werden die Grundlagen für den kleinen Titelanlauf 2025 in der Nations League gelegt, der zur Blaupause für den WM-Angriff 2026 werden soll. Italien, Dänemark und Kroatien stehen als Viertelfinalgegner zur Auswahl.
„Ich lasse mich überraschen. A kann ich es nicht beeinflussen. B, wenn ich einen als Wunschgegner bezeichne und dann wird es ein anderer, dann heißt es, oh, er ist nervös“, sagte der 37-Jährige zu der Los-Zeremonie im UEFA-Hauptsitz. Die Zielvorgabe ist aber klar: Endrunde im Juni und dann schonmal einen Vorgeschmack einholen, wie es so ist, einen Pokal in die Höhe zu stemmen.
„Ein Titel ist es auf jeden Fall, ob das jetzt groß ist? Ich meine, den Wettbewerb gibt es noch nicht so lange. Trotzdem nehmen die besten Mannschaften Europas teil. Wir haben es in der Vergangenheit gesehen mit den Spaniern, die das Ding gewonnen haben. Also das kann auf jeden Fall nicht schaden“, sagte Kimmich.
Nach dem Budapester Schlusspunkt plauderte der Münchner auch über das Geschehen in der Kabine. Geheimnisse verriet er natürlich nicht – eher lieferte er ein passendes Stimmungsbild. Applaus habe es gegeben nach Worten von Nagelsmann. Auch wenn das zähe Remis mit der bewusst platzierten B-Elf im letzten Gruppenspiel keine Fortsetzung der jüngsten Fußball-Feste war, so ist die Perspektive der Nationalmannschaft doch verheißungsvoll.
„Wir haben generell natürlich noch Luft nach oben, aber insgesamt sind wir schon auf einem sehr, sehr guten Weg“, sagte Kimmich. Auch Nagelsmann bewegte sich zwischen Stolz und Aufbruch. Der Bundestrainer konnte seine Erkenntnisse an dem nasskalten Abend in Budapest in drei Rubriken aufteilen.
Die Lehren aus dem Spiel in Ungarn
Nagelsmann war realistisch. Diese Partie war unter den von ihm selbst verursachten Umständen mit neun Startwechseln kein Gradmesser. Dass der dennoch mögliche Sieg durch einen kontroversen Elfmeterpfiff noch hergegeben wurde, ärgerte den Bundestrainer nur kurz. Er könne „ein Auge zudrücken“, sagte der 37-Jährige. „Ich kann es einordnen. Es war nicht alles schlecht heute, aber wir können es auch besser machen. Das Spiel würde ich relativ schnell abhaken“, fügte er an.
Natürlich hatte Nagelsmann auch gesehen, dass seine Backups von Julian Brandt über Chris Führich bis Leroy Sané und auch Torschütze Felix Nmecha nicht an die Stammkräfte herankommen. In der Konstellation werden sie aber auch nicht mehr zusammen spielen. Im März wird man dann sehen, wer die Erwartungen des Bundestrainers dennoch erfüllte oder wer bei der nächsten Nominierung durchs Raster fällt.
Die Lehren aus dem Länderspieljahr 2024
Beim Jahresrückblick wurde Nagelsmann geradezu emotional. „Das hat mir viel gegeben, weil wir am Boden lagen im November und diese Heim-EM hatten als Damoklesschwert über uns“, referierte er. Das 0:2 in Österreich genau vor einem Jahr wirkte halt doch lange nach.
Aber die Entwicklung der DFB-Elf sei eine für ihn einzigartige Erfahrung. „Von der Gesamtheit, das Wir-Gefühl, das ich hier spüre, in Verbindung mit der Mannschaft und mit dem Staff, das hatte ich so noch nie. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass einem die Überzeugung fehlt“, lobte der Bundestrainer den Teamgeist und die Einsatzbereitschaft.
Nur dieser Makel des verpassten EM-Titels durch das 1:2 nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Spanien hängt als fiese Erinnerung im Raum. Ansonsten sind die Zahlen beeindruckend. Zehn Siege, vier Remis, eine Niederlage. 35:10-Tore. Diese Zahlen sind statistisch sogar besser als im Jahr des WM-Sieges 2014. Und über allem steht: Die Fans lieben ihre Nationalelf wieder.
Der Ausblick auf das Länderspieljahr 2025 und darüber hinaus
Nach der Nations-League-Auslosung erfährt Nagelsmann am 13. Dezember auch noch, welche Optionen es für die WM-Qualifikation gibt. Durch ein notwendiges Platzhalter-System wird Deutschland dann zwei Gruppen zugelost, welche es wird, entscheidet sich im März abhängig vom Erfolg im Viertelfinale der Nations League.
Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Denn egal, gegen wen Deutschland auf dem Weg nach Amerika 2026 spielt, das Ticket muss bei der Qualität problemlos gelöst werden. Für Nagelsmann geht es primär um die strukturelle Vorbereitung seines Teams. Das Sieger-Gen muss noch mehr in die Köpfe der Spieler durchdringen.
„Wenn wir 2025 so angehen, wie wir 2024 aufgehört haben und die WM-Qualifikation erfolgreich bestreiten und die Nations League holen oder gute Spiele machen, dann glaube ich schon, dass wir mit einigen Lehrgängen präparierter sind für ein großes Turnier. Deswegen sehe ich 2025 und auch 2026 schon sehr positiv und glaube, dass da viel entstehen kann“, sagte Nagelsmann.