„Tatort“ aus Stuttgart: Dunkeldeutschland liegt auf der Schwäbischen Alb

Die „Tatort“-Kommissare Lannert und Bootz ermitteln auf der Schwäbischen Alb. Interessanter als der Mordfall ist die Sozialstudie des dörflichen Lebens.

4 von 5 PunktenSehenswerter „Tatort“, der in der zweiten Hälfe ein wenig nachlässt

Worum geht’s in diesem Fall?

Das Dorfleben auf der Schwäbischen Alb hatte Hanna Riedle satt. Sie hat ihre Eltern und das im Familienbesitz geführte Restaurant zurückgelassen, um in Stuttgart eine Tischlerlehre zu machen und ganz neu anzufangen. Jetzt liegt die junge Frau tot im Wald – und die Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) finden in ihrem Heimatdorf mehrere Verdächtige vor, denen sie die Tat zutrauen. War es ihr Verlobter, den sie samt frisch bezogenem Neubau zurückgelassen hat? War es ihr heimlicher Verehrer, der ihr penetrant nachgestellt hat? Schuldgefühle plagen auch Hannas Mutter (Julika Jenkins), die ihrer Tochter nicht verzeihen konnte, dass sie den Familienbetrieb im Stich gelassen hat.

Warum lohnt sich der „Tatort: Lass sie gehen„?

Ihr Ex-Verlobter kann es nicht verstehen: „Sie hat doch hier alles gehabt“, sagt er. „Der Hanna ging es gut bei uns. Ich wollte immer ihr Bestes“, beteuert die Mutter, die nicht verstehen will, dass ihre Tochter ein anderes Leben führen will als sie. Eigene Pläne und Wünsche hat.Ist der Tatort zu links? 06.20

Der „Tatort: Lass sie gehen“ führt in ein Milieu, das vielen Großstädtern fremd ist: das dörfliche Leben auf der schwäbischen Alb. In dem Film (Buch: Norbert Baumgarten, Regie: Andreas Kleinert) wird die dortige Welt als eng und kleingeistig dargestellt. Geprägt von Religiosität und Pflichterfüllung. 

„Was soll denn aus der Wirtschaft werden?“, fragt die Mutter Hanna, als die von ihren Zukunftsplänen erzählt. „Man kann doch nicht einfach machen, was man will. Ich konnte auch nicht machen, was ich will“, sagt die fassungslose Frau später zu Kommissar Lannert, der sie geschickt, im Stile eines Priesters ausfragt, indem er vor allem zuhört. Sie habe auch damals die Wirtschaft übernehmen müssen, „es war halt so“. Auf Lannerts Frage nach ihren eigenen Wünschen antwortet sie perplex: „Was ich will spielt überhaupt keine Rolle“.

Diese Art von Leben will ihre Tochter nicht mehr mitmachen. „Beten und arbeiten – das ist dein Leben. Das Leben will ich nicht“, sagt die junge Frau. Die Kamera (Michael Merkel) fängt die Enge, die Düsternis dieser Welt, in bedrückenden Bildern ein.

Was stört?

Die Studie des ländlich-katholischen Milieus allein wäre Inhalt genug für einen spannenden „Tatort“. Doch in der zweiten Hälfte wird dieses Motiv von einem anderen Thema überlagert: die Vorverurteilung und die Gruppenhetze gegen einen Unschuldigen, der den falschen, weil polnischen Nachnamen hat. Das überfrachtet diesen Film ein wenig.

Die Kommissare?

Zu Beginn dieser Folge sind Thorsten Lannert und Sebastian Bootz noch kerngesund. Doch beide überstehen die Ermittlungen zu diesem Mordfall nicht unbeschadet: Am Ende hat Lannert ein bandagiertes Bein und Bootz einen gebrochenen Arm.

Ein- oder ausschalten?

„Lass sie gehen“ ist ein exzellenter Fernsehfilm, der weit mehr ist als nur ein Krimi. Sie sollten ihn nicht verpassen.

Die Kommissare Lannert und Bootz ermittelten auch in diesen Fällen:

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