Der kanadische Popsänger Shawn Mendes verspricht nach Burnout und Pause sein persönlichstes Album. Keine Werbung für seine Seele.
Alben mit dem eigenen Namen als Titel sind ein Statement. Sie sagen: „Das bin ich.“ So auch beim kanadischen Popsänger Shawn Mendes, der jetzt „Shawn“ veröffentlicht. Die Platte wird von einigem Rummel begleitet, denn Mendes brach vor zwei Jahren seine laufende Konzerttour ab und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Er erlebte etwas, das viele Arbeitnehmer der Moderne kennen: Er war ausgebrannt, musste sich um seine Gesundheit kümmern.
Das neue Album soll sich auf das Wesentliche, also den Sänger und seine Erfahrungen, konzentrieren: Shawn. Nicht zu verwechseln mit seinen bisherigen Veröffentlichungen „The Shawn Mendes EP“ und „Shawn Mendes“. Im Werbetext dazu heißt es: „Es ist sein bisher ehrlichstes und intimstes Werk, in dem er den Hörer mit jedem Song auf eine Reise durch seine Gedankenwelt führt“. Aber Presseankündigungen sind bekanntlich wie Hotel- und Urlaubsortanpreisungen in Reisekatalogen: viel Superlative, wenig Realität.
Linkin Park ALbum From Zero Review 6.42Hören wir also selbst mal rein in diese Gedankenwelt. Die erste Zeile des sanft perlenden Eröffnungsstücks „Who I Am“? lautet: „One, two, three„. Mendes haucht, dass er gerade viel im Kopf habe und entschuldigt sich mehrmals für alles mögliche, bis er schließlich feststellt, er müsse sich selbst an erste Stelle setzen. Das besingt er auch in dem Lied „Why Why Why“.
Tiefgang sucht man bei Shawn Mendes vergeblich
Zwar werden die Themen, die den bereits im Teenageralter bekanntgewordenen Sänger umtreiben, benannt – aber eben nicht verhandelt. Dass Mendes als Popsänger die für Popsongs gängigen Tropen Liebe, Tod, Frauen, Mama, Alkohol und Selbstfindung aufgreift, möchte man ihm nicht zum Vorwurf machen. Das ist sein Arbeitsmaterial. Doch dafür, dass der persönliche Dreh des Albums so stark beworben wurde, bleiben zu viele Allgemeinplätze zurück. Etwa: Wenn man zu zweit ’ne Flasche Wein trinkt, könne alles passieren. Man stirbt irgendwann. Im Juni ist es warm. Alles richtig, aber eben keine intime Reise in seine Gedankenwelt. Oder, schlimmer: eben doch. Das täte einem dann wiederum sehr leid für Shawn Mendes.
Mit wenig Tiefe behandelt Mendes auch den Tourabbruch, die daraus folgende Auseinandersetzung mit sich und seinen Beziehungen. Das alles klingt weniger nach persönlichem Tagebucheintrag als nach therapeutischem Erstgespräch: Das war, das auch, und dann beschäftigt mich noch jenes.Shawn Mendes Comeback Konzert 7.30
Einmal macht das Sinn, in „The Mountain“ greift Mendes die Gerüchte auf, die um ihn im Umlauf sind (Beitritt in einen Kult, Liebschaften mit Frauen und Männern). Sagt, was ihr wollt, mir egal, ist die Botschaft und zum ersten Mal beim Hören gratuliert dem jungen Mann in Gedanken. Offenbar hat er durch seine Therapien, von denen er öffentlich lobend berichtet, eine abgeklärte Haltung zur Meinung anderer gefunden.
Weniger Fortschritt dagegen macht er musikalisch. Zwar ist der Folk-Einschlag auf der Platte neu für Mendes, der vorher klassischen Radio-Pop gespielt hat, und steht ihm nicht schlecht, wird aber so oberflächlich eingebunden, dass der Gesamteindruck immer noch Mainstream-Pop bleibt.
„Der Junge ist erwachsen geworden“
Und dann ist da noch der Style. Mit Mendes neuem Album geht auch sein neuer Look einher. Statt Lederjacke und Röhrenjeans trägt er jetzt ausgestellte Hosen im Seventies-Look, wie es Kollege Harry Styles vor einigen Jahren für Männer modern gemacht hat. Das neue Äußere soll seine Reifung symbolisieren. Wie auch der Bart, das international akzeptierte Symbol für „der Junge ist erwachsen geworden“. Und wenn er sich im Video zu „Why Why Why“ oberkörperfrei und Gitarre spielend in der Natur um sich selbst dreht, soll das wohl sagen: Ich bin nah bei mir, ganz pur, zurück an den Wurzeln nicht nur meiner Biografie, sondern der Menschheit überhaupt.
Das unterstreicht auch die Ästhethik des gesamten Albums. Betonte Reduktion. Die Titel sind sehr kurz, meist nicht mal drei Minuten lang. Das Gitarrenspiel ist reduziert, was nach einer Weile überstrapaziert wird, etwa bei den aufeinanderfolgenden Liedern „That’ll Be The Day“, „In Between“, „The Mountain“, „Rollin Right Along“. Man kann es als simple Schönheit rezipieren. Oder eben als schlicht.
Deep-Talk mit Potenzial nach oben
So bleibt das Album an der Oberfläche, analog zu einem Phänomen, das sich oft im Reality-TV beobachten lässt, wenn zwei „Bachelor“- oder „Love Island“-Kandidaten ihre geistige und emotionale Kompatibilität erörtern wollen. „Ich führe gerne Deep-Talks“, sagt dann die eine Person, „Ich auch! Voll“, die andere. Und beide haben danach das gute Gefühl, ein tiefgründiges Gespräch geführt zu haben.
Aber Mendes ist jung, er hat noch viel Zeit, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Und genügend Vornamen für weitere, dann wirklich ganz, ganz persönliche und intime Alben hat er dem Internet zufolge auch: Vielleicht folgen bald die Platten „Shawn Peter“, „Shawn Peter Raul“ und „Shawn Peter Raul Mendes“.