Erste deutsche Siegerin: Für Nicole muss ESC „zurück zu den Wurzeln“

Nicole spricht im Interview über ihr neues Album und verrät, was sie mittlerweile vom ESC hält, den sie 1982 für Deutschland gewann.

Nicole (60) veröffentlicht am 15. November ihr neues Album „Carpe Diem“. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news spricht die Sängerin über den besonderen Song „Ich gratuliere mir“, ihren Glauben und ihre Heimatverbundenheit. Zudem verrät die Musikerin, die mit „Ein bisschen Frieden“ den Eurovision Song Contest 1982 erstmals für Deutschland gewann, wie sie heute auf ihren ESC-Sieg blickt und warum sie den Musikwettbewerb mittlerweile kritisiert.

In „Ich gratuliere mir“ blicken Sie auf Ihren Weg zurück, angefangen bei Ihrem „kleinen Lied nur für den Frieden“. Wie stehen Sie heute zu Ihrem ESC-Sieg?

Nicole: „Ich gratuliere mir“ ist überhaupt nicht angeberisch oder herablassend gemeint. Es ist der Stolz auf das, was ich in den letzten über 40 Jahren geleistet habe, beruflich wie auch privat. Alles, was ich mir erträumt hatte als jugendliches Mädchen, ist in Erfüllung gegangen. Ich wollte für Deutschland den Eurovision gewinnen. Ich wollte eine tolle Familie haben und das alles unter einen Hut bekommen. Das alles habe ich geschafft und war dabei als Sonntagskind auch noch vom Glück verfolgt. Ich durfte Länder bereisen und an verschiedensten Orten drehen und tolle Begegnungen haben. Ich spüre einfach nur Dankbarkeit, Stolz und Demut, das alles erlebt haben zu dürfen und dass ich das alles so hingekriegt habe. Ich kann mir mit reinem Gewissen selbst auf die Schulter klopfen und sagen: „Mädel, hast du gut gemacht.“

Sie singen in dem neuen Song über „Ein bisschen Frieden“ auch: „Es sprach den Menschen aus dem Herzen und das ist nicht so leicht.“ Bekommen Sie heute noch viele Reaktionen auf das Lied?

Nicole: Ja, dieses Lied wird seine Aktualität und seine Botschaft nie verlieren. Irgendwo auf der Welt wird es immer Krieg geben. Man muss nur die Nachrichten verfolgen, Ukraine, Russland, Israel. Das erfüllt einen mit Ohnmacht. Als ich vor 42 Jahren in Harrogate auf der Bühne gesessen habe, hatte ich einen Hocker, eine weiße Gitarre und ein Friedenslied, mehr nicht. Aber es hatte die Kraft, 750 Millionen Menschen aus dem Herzen zu sprechen. Das ist nicht so leicht, wie ich in „Ich gratuliere mir“ singe. Es hat sie tief berührt und es erreicht sie auch heute noch. Bevor ich das Lied bei jedem Konzert gegen Ende anstimme, erzähle ich dem Publikum gerne, was damals passiert ist. Es war ja nicht nur der erste Sieg für Deutschland, die zweite Sensation waren die zwölf Punkte aus Israel an ein deutsches Mädchen mit einem Friedenslied. Die Einladung nach Israel, um dort für die Soldaten zu singen, das Bild, wie sie ihre Waffen auf den Boden legten und mir lauschten, das kriegst du nicht mehr aus dem Kopf und auch nicht aus dem Herzen. Da habe ich gespürt, dass dieses Lied so eine Magie hat, Menschen miteinander zu verbinden, egal, welcher Herkunft sie sind und welche Geschichte sie haben. Solche Lieder findest du nicht so oft.

Wie ist es für Sie, das Lied heute zu performen?

Nicole: Wenn ich es bei den Konzerten anstimme, taucht der Saal in ein Lichtermeer. Früher waren es Feuerzeuge, heute sind es Handylichter, aber der Effekt ist derselbe. Da gibt es keine Berührungsängste, da sitzt eine 80-Jährige neben einer 20-Jährigen, da sitzt ein Mann mit einer Lederjacke neben einem Mann im Anzug. Die kennen sich nicht, und plötzlich fassen sie sich an der Hand, stehen auf, machen ein Friedenszeichen oder holen ein Taschentuch raus und weinen.

Verfolgen Sie den ESC noch?

Nicole: Ich schaue ihn mir jedes Jahr an, aber ich muss sagen, es wird immer schwieriger für mich. Es ist nur noch laut, schrill und bizarr. Es berührt mich nicht mehr und es ist kein Lied mehr dabei, was mir ans Herz geht. Wir hatten damals eine einzige Bühne, die war für alle gleich und jeder hatte die gleichen Voraussetzungen. Es war ein fairer Wettbewerb. Da gab es keine aufziehbare Bühne, keine LED-Leinwand oder einen Olympiasieger, der auf der Bühne Schlittschuh läuft. Auch waren wir 18 Teilnehmer, jetzt haben wir 28, die schon von 56 ausgesiebt sind und es nur noch darum geht, wie man am meisten auffällt.

Was würden Sie sich für den ESC dann wünschen?

Nicole: Es ist ein europäischer Lieder-Wettbewerb, es geht nicht um das beste Licht-Design. Es wird das Lied, der Text, die Komposition und die Darstellung beurteilt. Es stellt sich keiner mehr hin und singt einfach. Ich wünsche mir Lieder, die mich berühren, wo ich eine Gänsehaut kriege, das habe ich seit 20 Jahren nicht mehr erlebt. Back to the roots, geht zurück zu den Wurzeln, komponiert ein Lied, wo ich Tränen in den Augen habe, wo ich denke: „Oh, ist es schon aus?“ Und nicht sagen muss: „Puh, wann ist das endlich vorbei?“ (lacht)

In „Nur durch Gottes Hand“ singen Sie: „Wenn ich einmal sterben muss, dann nur durch Gottes Hand“. Wie wichtig ist Ihnen Ihr Glauben?

Nicole: Ganz wichtig. Glauben heißt nicht Wissen, aber du musst doch etwas haben, an das du glaubst. Manchmal versetzt der Glaube Berge und es geschehen Dinge, die du nie für möglich gehalten hättest. Im Song geht es darum: Ich möchte bitte nicht einen gewaltsamen Tod sterben, ich will nicht, dass ein anderer bestimmt, wann ich zu gehen habe. Das hat nur einer zu bestimmen, und das ist der liebe Gott. Wenn der sagt: „Es ist an der Zeit, ich rufe dich“, dann ist es gut so.

In „Für immer dein Kind“ geht es um eine Mutter-Tochter-Beziehung. Wie kamen Sie auf das Thema?

Nicole: Familienzwists kommen in den besten Familien vor, aber es kann gefährlich werden, wenn die Worte „Verzeih mir“ nicht fallen. Im Song geht es darum: „Im größten Sturm bin und bleibe ich immer noch dein Kind.“ Das muss man sich bewusst machen, dass man die Zeit, die man hat auf der Erde, nicht mit Streitigkeiten verplempern sollte. Manchmal passieren Dinge und du hast keine Zeit mehr, „Verzeih mir“ zu sagen, das hängt einem ein Leben lang nach. Ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Ich mag keine vergiftete Luft. Man ist doch entspannter, wenn man weiß, dass alles in Ordnung ist, alle sich verstehen und sich guttun. Streit tut der Seele und dem Körper nicht gut.

Ihr Lied „Freunde“ zeigt auch Ihren engen Bezug zu Ihren Freunden. Haben Sie langjährige Freundschaften?

Nicole: Ja, viele Freunde von früher sind es bis heute geblieben. Daran haben auch meine Karriere und die Bekanntheit nichts geändert. Ich liebe dieses Lied, weil es einfach so viel Freude versprüht. Ich beginne mit dem Lied auch jedes Konzert, weil es so gut passt, wenn ich singe: „Schön mal wieder hier bei euch zu sein.“ Wenn ich mir Freunde einlade, dann werde ich sie demnächst auch so musikalisch begrüßen (lacht).

Ist Ihr Umfeld auch ein Grund, warum Sie in Ihrer Heimat geblieben und dort so verwurzelt sind?

Nicole: Ja, die größten Städte haben versucht, mich zu locken, aber die Versuche sind kläglich gescheitert (lacht). Wir Saarländer sind sehr heimatverbunden und sehr bodenständig. Hier sind meine Freunde und meine Familie. Hier muss ich nicht die Nicole sein, ich kann Frau Seibert sein, oder „unser Nicole“, wie die Leute im Dorf sagen (lacht). Ich bin stolz darauf, dass ich eine von ihnen bin und schätze die Freiheit. Ich kann zur Bäckersfrau gehen, ich backe einen Kuchen für den Schützenverein wie alle anderen Mütter auch. Alle gehen ganz normal mit mir um, wissen aber auch, was mein Beruf mit sich bringt, dass das alles gar nicht so einfach ist und das respektieren sie und sie tolerieren mich im positivsten Sinne. Ich bin hier behütet und beschützt und das könnte ich niemals aufgeben.

Wie meistern Sie dann Ihre Tour, wenn Sie gerne zu Hause sind?

Nicole: Man stellt sich darauf ein, dass eine Tour viele Kilometer mit sich bringt, die man zurücklegen muss. Aber du wirst jeden Abend dafür belohnt. Wenn die Leute nach zweieinhalb Stunden nach Hause gehen mit dem Satz auf den Lippen: „Was für ein schöner Abend, vielen Dank“, dann bin ich beseelt. Ich freue mich auch über die vielen treuen Fans, die seit 40 Jahren an meiner Seite sind, richtige Wiederholungstäter, die die ganze Tournee mitreisen und immer in der ersten Reihe in der Mitte sitzen. Die kenne ich fast alle schon mit Namen und die haben wiederum mittlerweile schon Kinder und Enkel mit dabei. Da bin ich sehr stolz darauf.