Neubrandenburg: Regenbogenflagge in Neubrandenburg – Streit und Bekenntnis

Nach einer folgenreichen Sitzung im Oktober sind erstmals die Neubrandenburger Stadtvertreter wieder zusammengekommen. Wieder ging es auch um die umstrittene Regenbogenfahne, aber nicht nur.

Der Streit um das Hissen der Regenbogenfahne in Neubrandenburg hat in der Stadtvertretersitzung für teils hitzige Diskussionen gesorgt. Am Mittwoch ging es dabei auch um den Umgang miteinander und die Außenwirkung der Stadt. Neubrandenburg war in die Negativ-Schlagzeilen geraten, nachdem die Stadtvertreter im Oktober per Beschluss die Regenbogenfahne vom Bahnhofsvorplatz verbannt hatten. Oberbürgermeistern Silvio Witt (parteilos) hatte danach seinen Rücktritt angekündigt.

Nun bekannten sich die Ratsherren und Ratsfrauen zu der Fahne als internationales Symbol für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit. Eine entsprechende Beschlussvorlage von mehr als zwei Dutzend Stadtvertretern verschiedener Fraktionen erreichte eine deutliche Mehrheit. Der Beschluss bedeutet aber nicht automatisch, dass die Flagge vor dem Neubrandenburger Bahnhof wieder aufgehängt wird. Die Stadtverwaltung wird beauftragt, Maßnahmen „zur Förderung einer angemessenen und dauerhaften Sichtbarkeit von Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt in der Stadtgesellschaft“ vorzulegen.

AfD-Fraktion verlässt Saal

Der Ratsherr Tim Großmüller vom Wählerbündnis Stabile Bürger Neubrandenburg, der mit seinem Antrag für die Verbannung gesorgt hatte, hatte zeitweise eine Beschlussvorlage eingebracht, die vorsah, abwechselnd die Deutschland-, Landes-, Stadt- und Regenbogenflagge vor dem Bahnhof zu hissen. Dem „Nordkurier“ hatte er gesagt, das Ziel, dass Witt gehe, habe er erreicht. Am Mittwoch zog er seine Vorlage wieder zurück. Er brachte die Fahne mit der aus seiner Sicht gescheiterten Politik der Berliner Ampel-Koalition in Verbindung. Die Fahne sei politisiert und sexualisiert. Mit einem Antrag, der sich gegen sprachliches Gendern richtete, scheiterte Großmüller. Bei der Abstimmung zum Bekenntnis zur Fahne enthielt er sich. Die AfD-Fraktion verließ den Saal, um nicht abstimmen zu müssen.

Vor dem Neubrandenburger Bahnhof aufgehängte Regenbogenfahnen waren in der Vergangenheit wiederholt gestohlen und teils durch Hakenkreuz- oder andere NS-Fahnen ersetzt worden.

Witt: Populisten forcieren Streit um Regenbogenflagge

Der Streit ist nach Aussage Witts, der offen homosexuell lebt, bewusst provoziert worden. Die Flagge sei nicht etwa von ihm oder der Stadtverwaltung in diesem Maße thematisiert worden, sondern von „rechten Populisten“. Diese wollten sagen, „guckt mal, die wollen nur ihre Regenbogen-Agenda, was das auch immer sein mag, ich weiß es gar nicht, durchsetzen“. 

Er habe nicht das Gefühl gehabt, dass Menschen aus dem Bahnhofsgebäude gekommen seien und sich angesichts der Flagge erschrocken hätten. „Ich habe eher den Eindruck gehabt, dass die Menschen gedacht haben, „Ja, das ist eine weltoffene Stadt und schön, dass es hier in Mecklenburg-Vorpommern im vielzitierten ländlichen Raum diese Weltoffenheit gibt.““ 

Einige Stadtvertreter kritisierten die große Aufmerksamkeit, die der Stadt wegen des Themas auch bundesweit zuteil werde oder sagten, der Streit um die Flagge spalte die Stadtgesellschaft.

Sorge um gegenseitigen Umgang

Witt sieht sich schon seit längerer Zeit Anfeindungen ausgesetzt – unter anderem durch Großmüller. Das Stadtoberhaupt hat nach eigener Aussage rund ein Dutzend Strafanzeigen wegen Beleidigungen am Laufen. Teils zeigten sich Redner am Mittwoch solidarisch mit ihm.

Steven Giermann von der Fraktion CDUplus äußerte Sorge mit Blick auf die Debatte in der Sitzung. „Da werden Dinge behauptet, die nicht nachgewiesen werden können.“ Es würden Vorurteile geschürt. „Ich glaube, wir sind an einem Punkt, wo wir uns in unserer Stadt fragen müssen, wie wir wirklich miteinander umgehen wollen“ und wie man es schaffe, jeden in der Stadt willkommen zu heißen. Die Stadt sei laut beschlossenem Leitbild vielfältig.

Vor dem Sitzungssaal demonstrierten mehrere Dutzend Menschen unter anderem mit Regenbogenflagge. Sie überreichten eine Petition, die fordert, dass diese Flagge vor dem Bahnhof wieder aufgehängt wird. Auch unter mehreren Fenstern in der Innenstadt hingen am Mittwoch Regenbogenfahnen. Der Livestream der Sitzung erreichte laut Stadtverwaltung Rekord-Zugriffszahlen.