Analyse: Spieler sind immer die anderen: Wie Merz und Scholz in den Wahlkampf starten

Olaf Scholz stellt sich als Stabilisator dar, Friedrich Merz fordert sie ein: Stabilität. Dabei sägten beide an der Koalition. Es ist jetzt ein Duell um Vertrauen.

Olaf Scholz kommt mit einem Lächeln in den Fraktionssaal. Bitte, was? Wenige Minuten vorher hatte der Bundeskanzler mit dem Rauswurf von Christian Lindner doch die Ampel beerdigt. Jetzt steht dort Olaf Scholz, der Wahlkämpfer, vor seinen Abgeordneten. Er bitte darum, jetzt „einfach cool zu bleiben und nicht in große Trauer auszubrechen“, sagt Scholz nach stern-Informationen. „Sonst wirkt das nicht cool und tapfer und nach vorne gerichtet, was wir jetzt machen.“ 

Was wir jetzt machen. Cool. Nach vorn gerichtet. Darum geht’s jetzt: Die SPD schaltet in den Wahlkampfmodus, im Führerhäuschen sitzt der Kanzler. Umjubelt von der Fraktion, als habe es die Debatten um einen Austausch durch den beliebteren Verteidigungsminister Pistorius nie gegeben. Wagenburg SPD. Es heißt jetzt Scholz gegen Friedrich Merz, die Zeit ist knapp. Die SPD muss mal wieder eine irre Aufholjagd starten.

Wer ist der Hasardeur und wer der Staatsmann?

Der vorgezogene Wahlkampf startet mit einem beinharten Streit darum, wer nun eigentlich Schuld ist am Ampel-Aus. Ist es der eiskalte Scholz oder der Spieler Christian Lindner? Und welche Rolle spielt nun Friedrich Merz? Ist er nur ein politischer Spätheimkehrer oder ein echter Staatsmann?

Es geht letztlich um die Frage: Welcher dieser beiden Männer übernimmt jetzt wirklich Verantwortung zum Wohl des Landes? Es ist ein Duell um das Vertrauen der Deutschen.

Kommentar Demokratie 15.00

Am Abend, an dem die Ampel zerbricht, hat Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz gerade noch rechtzeitig eine Veranstaltung verlassen. Früher als geplant, es geht in Richtung Bundestag. Später trifft er sich dort mit seinem Generalsekretär Carsten Linnemann, Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei und den Pendants der CSU in seinem Büro. Auch hier ist allen klar: Jetzt ist Wahlkampf.

Union stellt harte Bedingungen für Zusammenarbeit

Als am nächsten Morgen um 8 Uhr die Unionsfraktion zur Sondersitzung zusammenkommt, ist die Schlachtlinie klar: Merz will nicht den Ersatzmann für Scholz‘ fehlende Mehrheiten im Parlament spielen. Wenn der Kanzler die Union brauche, dann nur unter deren Bedingungen. Diese sind aus Merz‘ Sicht klar: Scholz dürfe nicht erst wie geplant im Januar die Vertrauensfrage stellen, sondern müsse das bis zur nächsten Woche machen. 

Der Unionsplan lautet wie folgt: Neuwahlen in der zweiten Januarhälfte. Schon im März könnte dann eine Regierung stehen. Scholz will erst im März neu wählen lassen, eine Regierung dürfte dann erst im Mai oder Juni stehen. Unionskanzlerkandidat Merz rechnet am Donnerstagabend bei Maybrit Illner vor: „Das wären sieben Monate Stillstand.“ Die Erzählung der Union ist klar: Scholz verzögere aus strategischem Kalkül Neuwahlen. Es gehe ihm nicht ums Land, sondern um sich.

Im Fraktionssaal der SPD unter der Reichstagskuppel nimmt der Wahlkämpfer Olaf Scholz kein Blatt vor den Mund. In den nächsten Wochen könne man zeigen, erklärt Scholz, „dass es immer an der FDP gelegen“ habe. Ähnlich wird sich Fraktionschef Rolf Mützenich nach der Sitzung öffentlich äußern: „Wir können zeigen, was hätte sein können.“ Scholz will die Vertrauensfrage auch deshalb erst im Januar stellen, um SPD pur vorzuführen – und die Union in dieser Zeit herausfordern.

Endlich sei der „Drinnen-Olaf“ auch der „Draußen-Olaf“, also geradeaus, nicht so verkopft. So sagt es ein Genosse. Der „Drinnen-Olaf“ stimmt seine Partei auf die Wahl ein, setzt die großen Themen für den Wahlkampf: den Kampf für sichere Renten, mehr Ausgaben des Staates, faire Löhne, Milliardeninvestitionen in die Wirtschaft. 

SPD feiert Ampel-Aus 04.31

Der „Draußen-Olaf“ erklärt zwar weiterhin, er sei derjenige, der sich bis zur Selbstverleugnung für Kompromisse stark gemacht habe. Den Finanzminister hat er aber trotzdem aus der Regierung geschmissen. „So, doof“, soll sein Kommentar gewesen sein, nachdem er Christian Lindner im Koalitionsausschuss über seinen Rauswurf informiert hatte. Sich selbst hat der Kanzler damit sicher nicht gemeint.

Wäre der Weg der FDP der stabilere gewesen?

Das alles birgt auch eine Angriffsfläche. Marco Buschmann, nunmehr ehemaliger FDP-Justizminister, bringt es auf diese Formel: „Warum der Bundeskanzler den geordneten Weg zu Neuwahlen ausgeschlagen hat, um sodann selbst die Koalition aufzukündigen und in völlig unklaren Verhältnissen Neuwahlen anzustreben, erschließt sich mir nicht.“ Scholz und seine SPD sehen das erwartungsgemäß anders. Doch für die Kanzlerpartei kann der Vorwurf noch gefährlich werden. Je chaotischer die kommenden Wochen werden, desto unverantwortlicher könnte seine Entscheidung wirken.

Schließlich rechtfertigt Scholz den Lindner-Rauswurf auch damit, dass das Land vor vielen Herausforderungen stehe und sich keine Blockaden mehr leisten könne. Scholz: „Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung, die die Kraft hat, die nötigen Entscheidungen für unser Land zu treffen.“ Aber warum leitet er dann nicht sofort Neuwahlen ein? Ist es wirklich verantwortlich, sich darauf zu verlassen, dass die Opposition einer rot-grünen Minderheitsregierung im Notfall schon aushelfen werde?

Politische Insolvenzverschleppung hat Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im Deutschen Bundestag, das am Morgen nach dem Knall genannt. Friedrich Merz hatte sich am Donnerstag sogar mit Scholz getroffen. Der Unionschef wollte ihn von einer früher gestellten Vertrauensfrage überzeugen. Nur 25 Minuten dauerte das Gespräch. Scholz blieb bei seiner Haltung, Merz zog ohne Ergebnis ab. Basta.

Scholz stellt der Union eine Falle

Die Union muss aufpassen, das wissen sie in der Fraktionsführung, nicht in die Falle von Scholz zu tappen: Das Instrument eines konstruktiven Misstrauensvotums steht Merz nicht zur Verfügung. Er müsste dann selbst als Kanzler antreten – und würde praktisch nur mit Stimmen der AfD gewählt werden können. Merz hat das am Donnerstagabend erneut ausgeschlossen. Es bleibt also nur: mahnen und blockieren. 

Nur wird nicht, wer immer nur blockiert, schnell selbst als Chaot wahrgenommen? Diese Gefahr droht der Union. SPD und Union haben zusammen eine parlamentarische Mehrheit – und sie haben gemeinsame Positionen. Sie könnten etwa die Vorratsdatenspeicherung zusammen beschließen, gegen den Widerstand der Liberalen. Sie könnten bei der Verhinderung irregulärer Migration weiter gehen als es bisher mit den Grünen in der Koalition möglich war. Sie könnten gemeinsam ein Wirtschaftspaket schnüren. Wäre das nicht Verantwortung fürs Land? Olaf Scholz wird Friedrich Merz diese Frage stellen.

Sozialdemokraten wollen sich in Ruhe auf Wahlen vorbereiten

Die SPD-Seite argumentiert so für den späteren Wahltermin: Listen müssten bis zur Wahl noch aufgestellt werden, die Kandidaten in den Wahlkreisen, auch Wahlprogramme haben die Parteien noch nicht. Die Grünen haben noch nicht mal eine richtige Parteiführung, die FDP wirkt kopflos, es bröselt personell. 

In den kommenden Wochen könnte in den Parteien ein Hauen-und-Stechen um die besten Plätze folgen. Nach der kommenden Wahl durch eine Wahlrechtsreform wird der Deutsche Bundestag ohnehin kleiner sich. Die SPD-Fraktion wird sich so – nach aktuellen Umfragen – praktisch halbieren. 

Habeck Kanzlerkandidatur 01.35

Parteichef Lars Klingbeil weiß um die Gefahr. Er weiß, dass es jetzt schnell gehen und gut organisiert sein muss. Am Donnerstagabend, nur wenige Minuten nach dem Rauswurf von Lindner, berichtet er in der Fraktion von ersten Fragen aus der Partei: „Wann gibt es die Plakate? Wer kommt wohin im Wahlkampf?“ Er appelliert an die Genossen: „Gebt uns jetzt auch ein paar Tage, um das zu sortieren.“ Unvorbereitet ist man weder im Willy-Brandt-Haus noch im Konrad-Adenauer-Haus. Die Union etwa hatte schon vor Wochen große Plakatflächen an Autobahnen reserviert. 

Spieler, das sind immer die anderen

Es müsse jetzt klar sein, sagte der Parteichef, dass die SPD „diesen Spielern“ nicht die Zukunft des Landes überlasse. Damit sind Friedrich Merz und Christian Lindner gemeint. Er habe sogar den Verdacht, dass Christian Lindner sich mit Merz zuletzt immer mal wieder abgesprochen habe, sagt Klingbeil. 

Wer ist Opfer, wer ist Täter in der Politik? Der ehemalige SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hat das kürzlich klug beantwortet: Man sei immer beides. Es käme lediglich auf den Zeitpunkt der Betrachtung an.

Klingbeil schwört die Sozialdemokraten schon auf eine harte Auseinandersetzung ein, auf einen Abgrenzungswahlkampf. Auf eine „Schlacht der Deutung“ in den nächsten Tagen. Dabei ist diese schon längst in Gange. Und die Spieler, das sind immer die anderen.