Überschwemmungen und ein überhitztes Mittelmeer: Wetter- und Klimaexperte Frank Böttcher erklärt, warum sich ganz Europa auf verheerende Stürme vorbereiten muss.
Herr Böttcher, Polen, Österreich, Italien, Frankreich und zuletzt nun Spanien: Dieses Jahr gab es in vielen europäischen Ländern extreme Niederschläge mit katastrophalen Überschwemmungen. Ist das alles nur Zufall oder gibt es einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen?
In der Tat gibt es einen Zusammenhang. Das Mittelmeer ist im Durchschnitt ein Grad wärmer als üblich. Da auch die Luft darüber ebenfalls wärmer ist als normalerweise, bedeutet das eine enorme Zunahme der Verdunstungsrate. Pro Grad Erwärmung kann die Atmosphäre sieben Prozent mehr Wasser aufnehmen, das dann als extremer Regen irgendwo niedergehen muss. Man muss sich noch einmal vor Augen führen, was da vergangene Woche passiert ist: In der spanischen Gemeinde Chiva, westlich von Valencia, fielen knapp 491 Millimeter Regen innerhalb von nur acht Stunden. Das ist mehr, als sonst in der Region in einem ganzen Jahr fällt. So viel Wasser kann kein Fluss aufnehmen.Frank Böttcher
Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel?
Durch die sogenannte Attributionsforschung wissen wir, dass ein Teil dieser Niederschläge auf das Konto des Klimawandels zurückgeht. Selbst wenn das nur zehn Prozent zusätzlich sind, bedeutet das eine enorme Zunahme der Risiken und Schäden. Denn die steigen nicht linear zur Niederschlagsmenge, also auch um zehn Prozent, sondern um bis zu 30 oder 40 Prozent.Hurrikan Milton Fragen und Antworten 14.36
Warum sind denn die Temperaturen im Mittelmeer immer noch so hoch? Und welche Rolle spielt dabei das Klimaphänomen „El Niño“?
Im Mittelmeer – ebenso wie im Nordatlantik – spielt El Niño kaum eine Rolle. Viel stärker ist der Einfluss der globalen Lufttemperatur. Diese erreichte Anfang November den höchsten jemals gemessenen Wert. Und mit dem Anstieg der Lufttemperaturen steigt auch die Oberflächentemperatur der Meere im Sommer. Damit bleiben dann auch im Herbst die Lufttemperaturen über dem Wasser höher. Streicht dann über diese wärmere, unten über dem Meer liegende Luftschicht eine kältere Luftschicht in höheren Lagen, ist der Temperaturunterschied zwischen beiden erheblich größer als in anderen Jahren. Dadurch gibt es viel stärkere Aufwinde in der Atmosphäre und das Potenzial für Starkregenereignisse steigt. Darüber hinaus steigt dadurch auch die Gefahr für Medicane.
Was ist das?
Das sind Sturmsysteme im Mittelmeer, die Hurrikans ähneln. Medicane bilden zwar nicht ganz so große Sturmsysteme wie Hurrikans, weil es im Mittelmeer nicht so große, freie Wasserflächen wie im Atlantik gibt. Aber sie sind deswegen punktuell nicht weniger gefährlich. Mit steigenden Wassertemperaturen im Atlantik besteht auch die Möglichkeit, dass von Westen her „richtige“ Hurrikans auf Portugal, Frankreich oder Spanien treffen. Die würden sich dann zwar abschwächen, aber sie könnten als Orkane immer noch extreme Regenfälle mit sich bringen. Außerdem könnten mit fortschreitender Erwärmung im Nordatlantik rund um die Azoren auch selbsterhaltende Hurrikans entstehen.
In den Jahren zuvor gab es vor allem in Südeuropa viele schwere Waldbrände. Wie passt das mit den Regenmassen dieses Jahres zusammen?
Beides gehört zusammen in Zeiten des Klimawandels. Auf Phasen mit langanhaltender Trockenheit folgen im Sommer heftige Gewitter und vor allem im Herbst extreme Niederschläge. Diese können ausnahmslos alle Regionen in Europa treffen, auch solche, die bislang nicht damit rechnen. Daher müssen sich auch alle Länder darauf vorbereiten.
Auf welche Weise?
Damit so große Regenmengen wie zuletzt in Spanien nicht unkontrolliert durch Straßen und Städte strömen, braucht es gewaltige Auffangbecken und Stauseen. Die könnten in kurzer Zeit große Wassermengen speichern und diese dann in den trockenen Monaten abgeben. Das gilt nicht nur für den Mittelmeerraum, sondern auch für Deutschland. Denn auch hier wird ja Wasser im Sommer oft knapp. Wir müssen die Wassermengen also nivellieren. Die Anpassung an den Klimawandel ist unumgänglich.