T-Day in Amerika, Ampel-Chaos in Berlin. In der Kanzlerpartei steigt die Nervosität: Rettet Olaf Scholz die Koalition – und wenn ja, zu welchem Preis?
Wenn Olaf Scholz von Teamgeist, vollem Einsatz und Enthusiasmus im ganzen Land schwärmt, ist schnell klar, dass nicht von seiner abgekämpften Ampel-Koalition die Rede sein kann. Der Kanzler schwelgt sich beim Sportempfang der SPD-Bundestagsfraktion zur Fußball-EM zurück in einen unbeschwerten Sommer und zu einer „tollen“ Botschaft“, die ihm in Gedächtnis geblieben ist.
Die Enttäuschung hätten damals alle gefühlt, sagt der Kanzler. Doch nach dem Turnier-Aus habe Bundestrainer Julian Nagelsmann zum Zusammenhalt aufgerufen, daran erinnert, welche Möglichkeiten man habe, „wenn wir nicht alles schwarzmalen und wenn wir uns gegenseitig den Erfolg gönnen“. Er frage sich, so Scholz, „an was mich das grad erinnert“.
Das war am Montagabend. Am Montag war die Welt auch schon nicht mehr in Ordnung. In der Zwischenzeit hat Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen. Kann der Kanzler jetzt noch das Ampel-Aus abwenden, seine Koalition retten, die schon mehrfach unrettbar erschien? So sicher sind sie sich da in der SPD nicht. Denn seitdem das Wirtschaftspapier von Christian Lindner, dem FDP-Finanzminister, ins politische Berlin geplatzt ist, ist vor allem klar: Mit einem glimpflichen Ende ist nicht zu rechnen.
Olaf Scholz hält Situation für „noch lösbar“
Soli-Abschaffung auch für Spitzenverdiener, Senkung des Bürgergelds, Stopp des Tariftreuegesetzes wegen Überregulierung: Vieles von dem, was Lindner zum Revival der Wirtschaft vorschwebt, stellt eine Zumutung für die Sozialdemokraten dar. Will Lindner also den Preis für einen Koalitionsverbleib hochtreiben? Oder seinen Rauswurf provozieren, um die FDP ohne den Ballast der unbeliebten Ampel in den Wahlkampf zu führen?
Die Situation sei „schwierig“ und „brenzlig“, aber „noch lösbar“, sagte Scholz bei der SPD-Fraktionssitzung am Dienstag laut Teilnehmerangaben. Näher ins Detail sei er nicht gegangen. Der Wille zur Einigung sei da, aber es gebe auch Punkte, die für ihn „nicht verhandelbar“ seien. Fragt sich nur: Was bedeutet das konkret?
Die Sorge in der SPD ist groß, dass der Preis zu hoch sein könnte, Kernpositionen aufgeweicht oder gar geräumt werden könnten, um die FDP am Tisch zu halten. Zumal die Grünen ja auch noch mitziehen müssten. Wie weit möchte man den Liberalen entgegenkommen – und wann ist es zu weit? Nach dem wahrscheinlichen Wahlsieg von Donald Trump in den USA stellt sich zudem die drängende Frage, ob Deutschland mehr finanzielle Hilfe für die Ukraine leisten muss, dafür ein Überschreitungsbeschluss (also Aussetzen der Schuldenbremse) nötig sein könnte. In der SPD hat diese Idee viele Anhänger. Aber in der FDP? Entsprechend verfahren erscheint vielen die Lage.
SPD-Kommunalpolitiker Ampel-Kritik 05.00
Dass Scholz in diesen Tagen seine sonst unermüdliche „Zuversicht“ nicht stoisch betont, gibt manchem Genossen schon zu denken. Stattdessen sagt der Kanzler vor Kameras, angesprochen auf die Koalitionskrise: „Ich bin der Kanzler“, die Regierung werde ihre Aufgaben erledigen. Es gehe um Wirtschaft und Arbeitsplätze, um „Pragmatismus und nicht Ideologie“.
Das lässt sich auch verstehen als: Parteiprosa kann sich in dieser Lage niemand leisten – und ein Kompromiss schmerzhaft sein.
Wie angespannt die Lage bei den Sozialdemokraten tatsächlich ist, lässt sich auch an Rolf Mützenich ablesen. Offenbar liegen selbst beim sonst eher reservierten SPD-Fraktionschef die Nerven blank.
Beim Koalitionsausschuss am Mittwochabend – an jenem Abend also, an dem sich die Ampel-Spitzen final die Karten legen könnten – werde zwar über alles gesprochen, sagt Mützenich vor der roten SPD-Wand im Bundestag. Doch er sei schon irritiert über „manche Kinderei“ der letzten Tage. Gemeint: die Reaktion der Koalitionspartner auf den Industriegipfel, zu dem Scholz ins Kanzleramt geladen hatte.
Rauft sich die Ampel nochmal zusammen – oder macht sie Schluss?
Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte daraufhin einen eigenen Aufschlag in Form eines Wirtschaftspapiers gemacht, FDP-Finanzminister Lindner einen Gegengipfel veranstaltet. „Das fand ich albern“, sagt Mützenich. Eine „solche Art von Politik“ müsse man hinter sich lassen. Dass Scholz mit seinem Industriegipfel als Erstes an der Eskalationsspirale gedreht haben könnte, wie FDP und Grüne argumentieren, lässt Mützenich nicht gelten. Der Kanzler habe die aktuelle Situation nicht zu verantworten, findet der SPD-Fraktionschef.
Unabhängig vom Blamegame in Berlin wünscht sich mittlerweile jeder Zweite laut einer neuen Umfrage vorgezogene Bundestagswahlen. Der Haushalt für 2025 steht immer noch nicht, soll im Idealfall kommende Woche festgezurrt werden. Das Rentenpaket sorgt weiter für Diskussionen, ebenso die sogenannte Wachstumsinitiative – auf beides hatten sich die Koalitionäre eigentlich verständigt.
Für Scholz geht es nun erstmal darum, das große Ganze zu retten: Rauft sich die Ampel nochmal zusammen – oder macht sie Schluss? In den vergangenen Tagen hat der Kanzler Sechs-Augen-Gespräche mit Habeck und Lindner geführt, dem Vernehmen nach sind weitere vor dem Koalitionsausschuss am Mittwochabend geplant.
Von der SPD-Spitze wird die „einigende Kraft“ von Scholz betont, die er in den vergangen drei Jahren immer wieder gezeigt habe. Als Moderator, der die drei unterschiedlichen Parteien immer wieder zusammengehalten habe. Und diesmal?
Zurück zum SPD-Sportempfang am Montagabend, als diese Frage ganz kurz ganz weit weg erscheint. Stattdessen kriegt Scholz auf der Bühne diese zu hören: Wie sieht er seine Rolle in der Koalition – eher als Schiedsrichter oder Trainer? „Ich bin ja doch auf dem Platz“, antwortet Scholz, insofern sei Kapitän wahrscheinlich passender. „Ich spiele gern mit und versuche schon, dass die Mannschaft Tore schießt.“
Am Mittwochabend könnte sich entscheiden, ob die Ampel-Partie vorzeitig abgepfiffen wird.