Das Gepäck auf Waffen checken, den Stress von Abzuschiebenden mildern, Anwälte anrufen – hinter jeder Abschiebung steckt enormer Aufwand. Reportage vom Flughafen Leipzig
Es ist sieben Uhr morgens am Flughafen Leipzig. Bundespolizist Cedric (seinen Nachnamen behält er lieber für sich) ist seit zwei Stunden wach. Der 23-Jährige wird heute seine erste Rückführung begleiten, erst vor Kurzem hat er die Weiterbildung zum „Personenbegleiter Luft“ (PBL) abgeschlossen. Nervös sei er nicht, sagt er: „Vom Training gleich in die Praxis, besser geht es eigentlich nicht. Das Gelernte ist jetzt noch alles ganz frisch.“ In Deutschland dürfen ausschließlich diese speziell ausgebildeten Beamtinnen und Beamten eine Rückführung begleiten. „Die Unversehrtheit der Person steht an oberster Stelle, ihm oder ihr darf in unserem Gewahrsam nichts passieren“, sagt der junge Mann. Bestünde dafür die Gefahr, würde die Maßnahme sofort abgebrochen werden. „Wir schieben nicht um jeden Preis ab.“
Abschiebung: Ein Flugzeug voller Straftäter
Cedric und seine Kollegen sind in einem eigenen Sicherheitsbereich am Flughafen – fernab vom normalen Publikumsverkehr. Noch ist alles ruhig, doch das wird sich gleich ändern. Aus dem ganzen Bundesgebiet sind die Personenbegleiter Luft angereist, inzwischen gibt es rund 2000 Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei mit dieser Zusatzqualifikation. Die Zahl hat sich seit 2015 vervierfacht. Das heutige Ziel: ein Drittstaat, also ein Nicht-EU-Land, in das Deutschland regelmäßig abschiebt. „Rückführungen sind nicht nur in Deutschland ein großes Thema, sondern auch in den Herkunftsländern“, so einer der verantwortlichen Bundespolizisten. „Da geht es auch um das Ansehen der Länder, um den Stolz der Länder und ein gutes Bild auf der internationalen Bühne.“ Ein Flugzeug voller Straftäter passe da nicht gut ins Bild. „Rückführungen sind das Ergebnis jahrelanger Diplomatie.“ Um diese nicht zu gefährden, wird das Zielland in diesem Text nicht genannt.
Für den Flug heute sind 25 Männer und eine Frau angekündigt, alle haben ein langes Strafregister.
STERN PAID 45_24 Abschiebungen
„Bis kurz vor Beginn der Maßnahme wissen wir nicht, wie viele Personen letztendlich wirklich an uns übergeben werden“, so Cedric. Auch, welche Straftaten ihr Gegenüber begangen hat, erfahren die Beamten erst kurz bevor sie ihn in Empfang nehmen. „Oft sind Verstöße aus dem gesamten Strafgesetzbuch vertreten: vom Erschleichen von Leistungen, Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz bis hin zu Mord und Totschlag“, berichtet einer der Verantwortlichen. Jeder Rückzuführende soll von einem so genannten „Escort-Team“ von drei bis vier Bundespolizisten begleitet werden, je nachdem ob er oder sie Widerstand leistet.
Polizisten in Warnwesten und Flüchtlinge sitzen in einer separaten Wartehalle im Flughafen Leipzig
100 Polizisten für 25 Menschen, die ausreisen sollen
Cedric und seine Kollegen tragen für diesen Einsatz zivile Kleidung, lediglich eine gelbe Weste weist sie als Behördenmitarbeiter aus. Die Räume am Flughafen Leipzig sind jetzt schon voller Menschen: mehr als 100 Kräfte der Bundespolizei sind da. Die große Halle ist aufgeteilt in verschiedene Abfertigungszonen, denn für die rückzuführenden Menschen gelten die gleichen Bestimmungen der Luftsicherheit wie für normale Passagiere auch. Direkt neben dem Eingang links findet die Sicherheitskontrolle statt. „Das Gepäck wird genau untersucht, zum Beispiel, ob sich spitze oder gefährliche Gegenstände darin befinden oder andere Gegenstände, die zur Selbstverletzung dienen könnten“, erklärt Cedric.
Starthilfe für mittellose Abzuschiebende: 50 Euro
In einem Nebenraum findet eine Durchsuchung statt. „Oft kommen die Personen direkt aus der Haft, wir wissen nicht, ob sie vielleicht noch etwas Gefährliches am Körper tragen.“ Immer wieder scheitern Abschiebungen am Flughafen, weil es zu Selbstverletzungen kommt. „Wir machen hier nochmal eine Nachkontrolle, in den Schuhen, im Kragen. Das sind beliebte Verstecke“, sagt einer der Beamten. „Rechts vom Eingang haben Bundespolizisten einen Tresen aufgebaut, er wirkt wie ein Check-In-Schalter. Hier findet die formelle Übergabe der übergebenden Kräfte der Landespolizei oder der Zentralen Ausländerbehörden an die Bundespolizei statt. Gemeinsam werden die Reisedokumente überprüft, Wertsachen katalogisiert, die jemand mitnehmen will. „So kann unterwegs nichts abhandenkommen“ erklärt eine der Beamtinnen. Wenn ein Rückzuführender mittellos ist, wird ihm hier noch eine Mini-Starthilfe in Form von 50 Euro in bar mitgegeben. „Damit kann er im Zielland zumindest Verpflegung und gegebenenfalls eine erste Übernachtung bezahlen.“
Polizist Cedric (l.) sitzt neben einem Flüchtling im Flughafen, es ist sein erster Einsatz bei einer Abschiebung
Direkt neben dem Eingang warten zwei Übersetzer und ein Arzt auf die Rückreisenden. „Einige Personen sind auf Medikamente angewiesen oder kommen aus Drogenentzugsprogrammen. Sie brauchen Ersatzstoffe.“ Ärzte würden vor Ort darüber entscheiden, ob eine Person reisefähig sei oder nicht.
„Viele Bürgerinnen und Bürger wissen gar nicht, wie viel Kontrollinstanzen bei einer Rückführung greifen“, erzählt einer der verantwortlichen Bundespolizisten. Von allen Seiten gebe es Kontrollmechanismen, die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter sei beispielsweise stichprobenartig vor Ort. Ihre Aufgabe: Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen verhindern. „Die Würde der Menschen und ihre körperliche Unversehrtheit ist unser oberstes Ziel“, so der Bundespolizist. Zudem hätten Mitglieder des Bundestages jederzeit Auskunftsrecht. Die Ergebnisse finden sich in den so genannten Drucksachen, für das laufende Jahr beispielsweise in der Drucksache 20/11471.
Sieben Menschen bleiben verschwunden
Auch eine internationale Beobachtung durch Frontex finde statt. In Leipzig ist an diesem Tag eine Frontex-Mitarbeiterin aus Österreich vor Ort, sie trägt eine gelbe Weste mit der Aufschrift „Monitor“. Sie soll überprüfen, dass bei den deutschen Behörden alles rechtmäßig abläuft. In den folgenden Stunden wird die junge Frau die Bundespolizei bei jeder einzelnen Maßnahme beobachten, sich Notizen machen und die Rückzuführenden bis zur Übergabe im Zielland begleiten. „Sollte eine der Personen eine offizielle Beschwerde über die Abschiebung bei Frontex einreichen wollen, so ist das jederzeit möglich“, erklärt einer der Bundespolizisten. Banner und Plakate in den Räumlichkeiten des Terminals weisen in mehreren Sprachen auf diese Möglichkeit hin, sie hängen in jedem Raum, sogar auf den Toiletten.
Schon in den frühen Morgenstunden sammeln sich die Einsatzwagen am Flughafen Leipzig
Seit den frühen Morgenstunden sammeln sich Autos der zuführenden Landespolizeistellen und Ausländerbehörden vor den Toren des Flughafens. Aus dem ganzen Bundesgebiet äußern Behörden ihre Rückführungswünsche, die Plätze in den Maschinen sind begehrt. „Wenn Personen aus einer Hafteinrichtung direkt rückgeführt werden, dann ist es für unsere Kollegen am einfachsten“, so einer der Verantwortlichen. Oft genug seien die Ausreisepflichtigen jedoch bereits dezentral untergebracht und am Tag der Rückführung nicht aufzufinden. Von den 25 für heute angekündigten Personen werden nur 18 das Flugzeug besteigen. 16 von ihnen befanden sich zuvor bereits im Gewahrsam, zwei Personen wurden an ihrem Wohnort angetroffen. Die anderen sieben sind verschwunden.
Um 8.15 Uhr geht es los. Mitarbeiter einer Zentralen Ausländerbehörde bringen den ersten Ausreisepflichtigen und übergeben ihn an die Bundespolizei. Der Mann kommt direkt aus dem Gefängnis, er saß dort eine Haftstrafe ab. Die Übersetzerin erklärt dem Mann, wie es nun weiter geht. „Wir haben Verständnis für Ihre Situation, aber wir werden die Maßnahme jetzt durchführen.“ Es scheint so, als ob er erst in diesem Moment begreift, wohin es heute geht. Das Gepäck des Mannes ist bereits auf dem Weg in die Sicherheitskontrolle. Die Registrierung, Aufnahme und Durchsuchung pro Person dauert rund zehn Minuten, dann werden alle nach und nach an die für sie zuständigen Escort-Teams übergeben.
Ein Mann wird von Einsatzkräften zum Flugzeug begleitet
Sie möchte ihren Anwalt sprechen – ihre Kinder sind noch in Deutschland
In das heutige Zielland werden nahezu ausschließlich alleinreisende Männer abgeschoben. Dass heute eine Frau mit an Bord sein wird, ist also die Ausnahme. Mit ihrer Abschiebung hat sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgefunden, sie trägt Handschnellen, weil sie auf der Fahrt Widerstand geleistet hatte. „Sie möchte jetzt einen Anwalt sprechen, um bei ihren vier Kindern in Deutschland zu bleiben“, erklärt einer der Verantwortlichen. Zur Wahrheit gehört, dass sich alle Kinder in Obhut des Jugendamts befinden. Die Frau soll in den letzten Jahren immer wieder mit Gewalttaten aufgefallen sein. „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Gründe für eine Rückführung zu hinterfragen. Eine deutsche Ausländerbehörde hat die Entscheidung getroffen, ein deutsches Gericht hat die Entscheidung geprüft und bestätigt, und wir führen diese im Rahmen unserer bundespolizeilichen Aufgaben aus“, kommentiert einer der Beamten die Situation. „Die Frau hat das Recht, ihren Anwalt zu kontaktieren, diese Möglichkeit wird ihr jetzt gegeben.“ Ihr Versuch, doch noch in Deutschland bleiben zu können, wird scheitern.
Es ist schwer, direkt mit den Abzuschiebenden ins Gespräch zu kommen; nur einer der Männer war bereit zu sprechen. Seinen Namen will er nicht nennen, sein Gesicht nicht zeigen. Er werde alles tun, erzählt er, um nach der Landung im Herkunftsland schnell wieder nach Deutschland zurück zu gelangen.
Unterdessen stockt die Gepäckkontrolle: „Gerade haben wir ein neues iPhone 16 Pro Max gefunden.“ Neupreis: knapp 2000 Euro. Das Gerät ist jedoch erst seit wenigen Tagen auf dem Markt – und der Rückzuführende saß davor in einer geschlossenen Haftanstalt. „Wie das iPhone da rein kam, können wir natürlich nicht sagen“, erzählt einer der Beamten. Doch weil es nicht als gestohlen gemeldet wurde, darf der Mann es mit in die Heimat nehmen.
Ein Drogensüchtiger wird fixiert
Gegen 10 Uhr wird der Mann gebracht, den Cedric und seine drei Kollegen als „Escort-Team“ gemeinsam in das Zielland bringen sollen. Es wird der herausforderndste Fall des heutigen Tages. Der kräftige Mann ist kaum zu bändigen, schlägt wild um sich und sackt dann plötzlich mehrfach in sich zusammen. Bei der Kontrolle seines Gepäcks wird klar, warum: „Gerade haben wir mehrere Crack-Utensilien in seinem Gepäck gefunden“, erklärt einer der Mitarbeiter der Gepäckkontrolle. Die Glasröhrchen werden sorgsam verstaut. Um den offensichtlich drogensüchtigen Mann zu kontrollieren, legen Cedric und seine Kollegen ihm einen Festhaltegurt an. Der Gurt wird um die Hüften gelegt wie ein normaler Gürtel. Die Handgelenke werden an flexiblen Schlaufen, die im Inneren des Gurtes verlaufen, fixiert. Den Abstand zu Hüfte kann man ganz kurz oder auf bis zu 50 cm Länge einstellen.
Trotz dieser Maßnahme wollen die Beamten deeskalieren, sprechen mit dem Mann. Er scheint sich langsam zu beruhigen. „Wir gehen jetzt mit ihm nach draußen zum Rauchen, das entspannt ihn vielleicht ein wenig“, erklärt Cedric. Neben Essen und Trinken, sind auch Rauchen und Toilettengänge trotz des Gurts möglich. Im Anschluss wird er vom Rest der Gruppe getrennt. Cedric und seine Kollegen möchten sicherstellen, dass er andere Rückzuführende mit seinem Verhalten nicht anstachelt.
Um kurz vor 12 Uhr geht es zum Flugzeug. Die Maschine ist von der Bundespolizei als Chartermaschine gemietet worden, normale Reisende sind also nicht mit an Bord. Für die Rückzuführenden gelten die gleichen Regeln, wie normalerweise an Bord von Flugzeugen. Kleine Ausnahmen gibt es: Messer und Gabeln sowie Heißgetränke gibt es an Bord nicht. Es werden Snacks gereicht, Sandwiches mit Käse.
In wenigen Minuten wird dieses Flugzeug abheben, 17 Männer und eine Frau werden dann in ihr Herkunftsland zurückgebracht
Punkt 12 Uhr hebt die Maschine ab
Cedric und seine Kollegen besteigen mit ihrem Mann als erstes den Flieger, es folgt das Escort-Team mit der Frau. Die Anrufe bei verschiedenen Anwälten haben zu keiner Änderung der Entscheidung geführt. Die übrige Gruppe der 16 Männer steigt zuletzt ein, alle verhalten sich ruhig. Mit an Bord sind zwei Ärzte, zwei Übersetzer, die Mitarbeiterin von Frontex – und insgesamt 64 Bundespolizisten. Um Punkt 12 Uhr habt die Maschine ab. Der rund dreistündige Flug verläuft ruhig, auch Cedrics zu begleitende Person hat sich beruhigt. Der Mann leistet keinen Widerstand mehr. „So ist es in den allermeisten Fällen. Sobald wir an Bord der Flugzeuge sind, fügen sich eigentlich alle der Situation und finden sich mit dem Schicksal ab“, erzählt einer der erfahreneren Personenbegleiter Luft.
Am Abend gegen 19 Uhr kehrt die Maschine mit Cedric und den übrigen Bundespolizistinnen und -polizisten, den Ärzten, Übersetzern und der Frontex-Mitarbeiterin wieder nach Leipzig zurück. Hinter ihnen liegt ein langer Tag. „Es ist alles gut gegangen“, sagt Cedric. Übermorgen wird er wieder zum regulären Dienst an seiner Dienststelle in Frankfurt erwartet.
Transparenzhinweis: Die Autorin ist Reporterin der Mediengruppe RTL, zu der auch der stern gehört.