Nach der umstrittenen Parlamentswahl in Georgien hat das laut dem offiziellen Ergebnis unterlegene pro-europäische Lager zu Großdemonstrationen aufgerufen. „Jetzt ist die Zeit für Massenproteste“, erklärte der inhaftierte Ex-Regierungschef Michail Saakaschwili am Sonntag. Auch die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili nannte das Wahlergebnis eine „totale Fälschung“ und rief für Montag zu Massenprotesten auf. Die EU forderte die georgischen Wahlbehörden auf, „Unregelmäßigkeiten“ bei dem Urnengang zu untersuchen.
Die Wahlkommission hatte am Sonntag nach der Auszählung der Stimmen in mehr als 99 Prozent der Wahlkreise die Moskau-freundliche Regierungspartei Georgischer Traum mit 54 Prozent der Stimmen zur Siegerin erklärt. Das pro-westliche Oppositionsbündnis kam demnach auf 37,58 Prozent. Das Bündnis bezeichnet die offiziellen Ergebnisse als „gefälscht“ und beansprucht den Wahlsieg für sich.
Präsidentin Surabischwili sagte nach einem Treffen mit Spitzenvertretern der Opposition: „Ich erkenne das Wahlergebnis nicht an.“ Sie machte Moskau für eine „totale Fälschung“ der Wahl verantwortlich. „Wir sind Zeugen und Opfer einer russischen Spezialoperation, einer modernen Form des hybriden Krieges gegen das georgische Volk“, sagte sie, ohne diese Anschuldigungen zu präzisieren.
Der inhaftierte Oppositionspolitiker und Ex-Regierungschef Saakaschwili erklärte im Onlinenetzwerk Facebook, die Georgier müssten jetzt bei Massenprotesten zeigen, „dass wir für die Freiheit kämpfen und dass wir ein Volk sind, das Ungerechtigkeit nicht duldet“. Saakaschwili gehört der größten Oppositionspartei UNM an.
UNM-Chefin Tina Bokuschawa bezeichnete die Wahl als „Versuch, die Zukunft Georgiens zu stehlen“. Sie rief die Opposition auf, jetzt Geschlossenheit zu zeigen.
Regierungschef Irakli Kobachidse erklärte hingegen: „Unser Sieg ist beeindruckend.“ Der Opposition warf er vor, „die verfassungsmäßige Ordnung des Landes zu untergraben“, indem sie den Sieg seiner Partei in Frage stelle.
EU-Ratspräsident Charles Michel forderte die georgischen Wahlbehörden auf, mutmaßliche Wahl-Unregelmäßigkeiten zügig zu untersuchen. Die zentrale Wahlkommission und weitere zuständige Behörden sollten „ihrer Pflicht nachkommen und die Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen und die diesbezüglichen Vorwürfe rasch, transparent und unabhängig untersuchen und bewerten“, schrieb Michel im Onlinedienst X mit Verweis auf Berichte internationaler Wahlbeobachter.
Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), des Europarats, des Europaparlaments und der Nato hatten in einer gemeinsamen Erklärung von Störungen des Urnengangs durch „Ungleichheiten (zwischen den Kandidaten), Druck und Spannungen“ berichtet. Sie äußerten Zweifel am offiziellen Ergebnis.
Wahlbeobachter des EU-Parlaments wurden nach eigenen Angaben am Wahltag „Zeugen von großer Anspannung, Verwirrung und Chaos“. Der Vorsitzende der georgischen Wahlkommission, Giorgi Kalandarischwili, sagte jedoch, die Wahl am Samstag habe „in einer ruhigen und freien Umgebung stattgefunden“.
Doch auch die Bundesregierung zeigte sich besorgt über den Verlauf der Wahl. Deutschland unterstütze „voll und ganz die vorläufigen Ergebnisse und Schlussfolgerungen (…) der internationalen Wahlbeobachtungsmission“, erklärte das Auswärtige Amt in Berlin im Onlinedienst X. „Wir sind besorgt über das angespannte Umfeld und die Unregelmäßigkeiten, die angesprochen und behoben werden müssen.“
Das Auswärtige Amt kündigte an, dass die Bundesregierung die weiteren Ereignisse in Georgien aufmerksam verfolgen werde. Die Bundesregierung rufe „alle Parteien auf, Zurückhaltung zu üben und Gewalt und weitere Polarisierung zu vermeiden“.
Auch stellte das Berliner Außenamt einen Zusammenhang mit Georgiens Status als EU-Beitrittskandidat her. Der Umgang mit dem Wahlausgang und die Regierungsbildung in dem Kaukasusland würden „auch den weiteren Fortschritt Georgiens auf dem europäischen Weg beeinflussen“, hieß es.
Allerdings will Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, am Montag nach Georgien reisen, wie die Regierung in Tiflis ankündigte. Orban gilt als enger Verbündeter von Georgischer Traum. Er hatte bereits am Samstag der Regierungspartei zu einem „überwältigenden Sieg“ gratuliert.
Der seit 2012 regierende Georgische Traum hatte zunächst einen liberalen und pro-westlichen Kurs verfolgt, wandte sich in den vergangenen zwei Jahren jedoch verstärkt Moskau zu. Die Verabschiedung eines Gesetzes der Regierung gegen angebliche „ausländische Einflussnahme“ löste in diesem Jahr Massenproteste in dem Kaukasusland aus. Brüssel fror daraufhin den EU-Beitrittsprozess mit Georgien ein, und die USA verhängten Sanktionen.
dja