Zur Buchmesse redeten alle über den innerlich ergrauten Thomas Gottschalk. Viel interessanter wäre es, Frauen seiner Generation die Bühne zu überlassen, findet unsere Autorin.
Jedes Jahr im Herbst steht die Buchmesse an, nur dieses Jahr drohte sie fast herbstblond zu werden. „Herbstblond“ ist der Titel eines Buches von Thomas Gottschalk aus dem Jahr 2015, da war Deutschland befasst mit großen Fragen und Thommy mit seiner Biografie. Keine Sorge, ich werde ihm nicht die 1342. Kolumne widmen, ich nehme ihn und die Aufmerksamkeit, mit der er überschüttet wird, nur zum Anlass, auf interessante Fragen zu kommen.
Sein neues Buch ist weit oben in den Charts. Man muss sich um Thomas Gottschalk keine Sorgen machen, er hat eine lebenslange Rente allein dadurch, dass er, ganz gleich, was er tut, von einer Zeit profitiert, in der Millionen Bundesbürger nur drei Sender hatten. Alle über 40 verbinden ihn mit ihren Kindheitserinnerungen. Ich wäre ihm dankbar, wenn er unsere Kindheit durch seine Selbstverliebtheit nicht in so ein schlechtes Licht stellte.
Thomas Gottschalk will nur seinen Spaß
Wenn ich sehe, wie er so dasitzt und wie er damit 13-jährige hochpubertierende Jungs auffordert, der auffälligste Zampano auf dem Schulhof zu sein, ist es mir fast peinlich, dass Unterhaltung früher so wenig geistreich war. Gottschalk selbst will es einfach nur gut haben – gegen die Selbstverliebtheit dieses Mannes ist sogar Elon Musk ein Philanthrop. Er könnte das Licht, das er aus einer vergangenen Zeit hat, für zahllose sinnvolle Dinge nutzen, etwa guten Fernsehnachwuchs zu fördern. Aber nein, Gottschalk will nur seinen Spaß, und er hat das wohl gleichgesetzt: Wenn ich Spaß habe, dann haben ihn alle. Er merkt leider nicht, wenn andere keinen Spaß haben. Für ihn braucht es weder Hobbypsychologen noch Investigativjournalisten; der Mann zeigt auch allein, dass er aus einer Zeit kommt, in der viele Männer für solch ein Verhalten belohnt wurden.
Wo sind die Frauen?
Zur Buchmesse, wo die Autoren und Verlage ihr Programm präsentieren, wirbelten medial die Thommy-Festwochen. Jene, die ihn großschreiben, tun so, als liege das an Gottschalk selbst, dabei liegt es an ihnen. Es gäbe so viel zu berichten: Auf der Buchmesse habe ich eine Reihe moderiert, in der Autorinnen ihr Werk vorstellten. Das saßen Elke Heidenreich und Eva Demski und sprachen über ihre Bücher „Altern“ und „Plunderkammer“. Heidenreich kennt ohnehin jeder, aber Eva Demski, die sich als Anarchistin bezeichnet, leider nicht mehr. Sie müsste eigentlich in jedem Nacht-Talk des Landes sitzen, weil sie zeigt, wie einfallsreich sich das Leben beschreiben lässt. Ach, wäre sie doch Gottschalk! Zum Glück kann Heidenreich das, sich den Raum nehmen, denn berühmte Frauen im Herbstblondalter gibt es in Deutschland nicht genug. Als sie jung waren, ihre Karriere aufbauten, war es leichter für Männer wie Gottschalk und Jauch in den Medien.
Gemeinsinn braucht Präsenz
Wie anregend wäre es für die Öffentlichkeit, wenn wir das jetzt kompensierten: den Frauen der Generation Gottschalk endlich den Raum geben, den sie verdienen. Aleida Assmann etwa, Trägerin des deutschen Friedenspreises, wirbt in ihrem neuen Buch mit feinen Beobachtungen für den Gemeinsinn. Auf Gottschalk stürzen sich mit Leidenschaft mittelalte Männer. Es scheint, als fühlten sie sich im Kampf gegen ihn nicht ganz so alt. Männer beim Hahnenkampf, das stimuliert wiederum andere Männer, über Männer zu reden. Männer im Mittelpunkt – das gefällt ihnen. Frauen fassen wir dienstlich an, das ist die Zeit, die Gottschalk vermisst. Ich vermisse sie nicht. Aber ich vermisse, liebe TV-Redaktionen, die älteren Frauen in den Talkshows. Überhaupt sollten wir nun besser die Bücher älterer Autorinnen lesen, die etwas anderes zu erzählen haben als Herbstblond.