Die Erotikmesse Venus hat in diesem Jahr 17 Platintickets verkauft – der Eintritt kostet ein halbes Vermögen. Unterwegs mit zwei Männern, die sich diesen Luxus gegönnt haben.
Eben noch hat sich Sven am Empfang bei einer jungen Frau den Besucherausweis abgeholt, der ihn zum Teil der Elite macht. „Wer weiß, wie lange ich noch lebe“, sagt er, „und das wollte ich einmal gemacht haben.“ Jetzt baumelt der Ausweis an einem Band um seinen Hals, und Sven steht ratlos da.
Sven ist 59 Jahre alt und verheiratet. Er ist selbstständig und wohnt irgendwo in Norddeutschland. Mehr soll hier nicht verraten werden. Sven fürchtet, dass sich einige stören könnten an seinem Ausflug nach Berlin, zur Venus. Dass er dann einen blöden Ruf weg hat.
„Ich muss erstmal gucken, wo ich meine Hostess finde“, sagt Sven. Er glaubt, er bekomme eine Frau an die Seite gestellt, die ihn über die Erotikmesse führt. In der Papiertüte, die er in die Hand gedrückt bekam, findet er einen Zettel, darauf die Handynummer von Larissa. Sven wählt die Nummer. „Hallo“, flüstert er ins Telefon, „ich bin jetzt da.“
Larissa steht nur drei Meter entfernt. Es ist die junge Frau, die ihm eben den Besucherausweis und die Papiertüte überreichte. Larissa ist da, um Fragen zu beantworten. Eine persönliche Begleitung, erfährt Sven, gibt es nicht. „Ich habe von nichts eine Ahnung“, sagt er.
Es ist ja auch sein erstes Mal.
Die Venus ist die größte Pornomesse der Welt
Die Venus ist die weltweit größte Messe der Erotik- und Pornobranche. Seit 1997 findet sie jährlich in Berlin statt. Sie zieht rund 30.000 Besucher an, ein Tagesticket bekommt man ab etwa 60 Euro. Daneben gibt es hochpreisige Tickets in den Kategorien Silber, Gold und Platin. Wer ein Platinticket wollte, musste dafür in diesem Jahr 1200 Euro zahlen. 17 Menschen waren dazu bereit. Einer von ihnen ist Sven.
„Jetzt ist die Frage, wo man langgeht“, sagt der Venus-Neuling. Er läuft los, ohne Plan, schnurstracks in die „Kinky Area“.
Sven wirkt in den ersten Minuten auf der Venus etwas verloren und überfordert
© Patrick Slesiona / stern
In der Halle wummert elektronische Musik, eine Lack-und-Leder-Frau räkelt sich auf der Bühne. Aussteller verkaufen Peitschen und Zeichnungen von gefesselten Frauen. Die „Fistschwester“ wirbt für ihre Dienste. Man erzählt sich hier, sie können ihren Arm vollständig im Körper der Kunden verschwinden lassen.
Sven schaut nach links, schaut nach rechts, dreht sich einmal im Kreis. „Hm“, sagt er dann. „Das ist nicht so meins.“
Was nun? In der Papiertüte findet er einen Zettel. Sven schiebt die Brille auf die kahle Stirn und liest: „Bei Vorlage dieses Gutscheins erhalten Sie eine Privatshow am PussyKat-Stand.“ Er lässt den Zettel wieder in die Tüte gleiten.
Auf Tuchfühlung mit den Darstellerinnen
Sven sagt, er sei da für das Ambiente, wolle einfach Spaß haben, mal was anderes erleben. Vielleicht bekomme er die Gelegenheit, mit einer Darstellerin zu sprechen, so von Privatmann zu Privatfrau. Sie zu fragen, wie sie zu dem Beruf gekommen ist, oder so. Als Porno-Fan sieht er sich nicht, aber: „Ich sitze nicht nur vorm Computer, um Rechnungen zu schreiben.“
Seine Frau weiß von dem Trip nach Berlin. Ist da Eifersucht? „Doch nicht nach 28 Jahren“, beteuert er. „Selbst wenn hier irgendeine Dame bereit wäre, was mit mir zu haben, das hätte ich doch billiger haben können.“
Das stimmt wohl. 1200 Euro für das Ticket, dazu die Kosten für Hotel und Anreise. Natürlich hätte er auch für 60 Euro ein normales Tagesticket kaufen können, sagt er. „Aber wenn ich mir schon mal was leiste, dann kann ich mir auch richtig was gönnen.“
Eine Frau in Dessous nähert sich. Sie sieht den Platin-Besucherausweis, sie weiß, dass Sven in seiner Tüte den Striptease-Gutschein trägt. Sie umgarnt ihn: „Private dance? Let’s go!“
Sven winkt ab, ohne Worte. Was sie von ihm wollte?
„Gute Frage“, sagt Sven. „Mein Englisch ist noch aus der Schule, fünfte Klasse.“
Viel nackte Haut. Pornodarstellerinnen werben auf der Venus um Zuschauer
© Patrick Slesiona / stern
Sven wirkt in diesen ersten Minuten auf der Venus schüchtern, unsicher, überfordert. Andere Männer treten selbstbewusster auf. Sie sind ausgestattet mit Digicams oder Videorekordern aus den Nullerjahren und einer beachtlichen Standfestigkeit. Stundenlang filmen und fotografieren sie nackte Haut, Megabyte um Megabyte wächst die private Sexfilmsammlung.
Die Venus ist eine Messe der Erotik- und Sexbranche, einerseits. Wer durch den Ausstellerbereich läuft, kann sich über Sexspielzeuge informieren und erfahren, dass Silikonpenisse mittlerweile in Form, Farbe und Festigkeit dem menschlichen Pendant beeindruckend gut entsprechen.
Die Venus ist aber auch eine Pornomesse, ihr haftet ein Schmuddelimage an. Weil sie Männer anzieht, die für relativ wenig Geld relativ vielen Vulven relativ nahekommen können.
Die Männer rangeln um den besten Schnappschuss
Am Stand der Camgirls in Halle 20 ist am meisten los. Aus den Boxen dröhnt „It’s getting hot in here, so take off all your clothes.“ Die Frauen sind schon nackt. Manche lutschen an Dildos, andere machen mit den Fingern zwischen den Beinen etwas, das sie den Männern hinter der Absperrung wohl als Selbstbefriedigung verkaufen wollen.
Das starke Geschlecht rangelt um den besten Schnappschuss. Die Deckel der Smartphonehüllen werden zur Seite geklappt, die Münder stehen offen. „Die hat doch eine Top-Figur“, sächselt ein 180-Kilo-Mann.
Als Sven an dem Spektakel vorbeiläuft, hebt er den Blick nicht vom Boden.
Chatten mit Pornodarstellerinnen
Ein paar Meter weiter geht Jens, 33, auf die Suche nach einem Pullover der Pornoseite „My dirty hobby“. Er schätzt, dass er monatlich etwas mehr als 100 Euro für die Seite ausgebe. Um Filme zu kaufen, aber auch um mit Pornodarstellerinnen zu chatten.
Als Jens 24 Jahre alt war, besuchte er das erste Mal die Venus. Seither war er fast jedes Jahr da. Es sei toll, sagt Jens, mal mit „den ganzen Girls“ zu quatschen. Irgendwann kaufte er sich ein Goldticket, das schon ein paar Extras enthält, einen schnelleren Zugang zur Messe etwa. Vor zwei Jahren stieg er auf Platin um und zur Elite auf.
Pornos, erzählt Jens, zählten zu seinen Top 5 Hobbys. Die anderen sind: Paintball, Zocken, Fitnessstudio, Freunde.
Jens sagt, er würde sich als „normalen Fan“ von Pornografie bezeichnen. Manchmal schaue er drei, vier Filme hintereinander. „Es ist nicht so, dass man dann eine Stunde lang Hand anlegt.“ Er wolle einfach sehen, was die Darstellerinnen, die er gut findet, da so trieben. Was das mit der Sexualität macht? „Ich glaube schon, dass Leute, die viele Pornos konsumieren, manche Sachen als normaler empfinden als andere“, sagt er.
Es fing an bei der Bundeswehr
Jens arbeitet in der Sicherheitsbranche. Früher war er als Berufssoldat im Ausland stationiert, im Irak, in Afghanistan. Er habe in dieser Zeit „viel rumgegammelt“. Wer weiß, sagt er, ob das mit den Pornos und ihm auch so verlaufen wäre, wenn er auf Dates hätte gehen können wie andere junge Männer.
Er ist am Stand von „My dirty hobby“ angekommen und kauft einen Pullover für 40 Euro. Wo will er den denn anziehen? „Zum Beispiel, wenn ich nächstes Jahr wieder auf die Venus gehe.“
Jens sammelt Autogramme von Pornodarstellerinnen. Manche kennt er nur vom Sehen
© Patrick Slesiona / stern
Jetzt geht Jens aber erstmal auf Autogrammjagd. Er nähert sich einer sehr jungen Frau. Sie hat ihr rosafarbenes Oberteil bis zum Hals hochgeschoben, darunter trägt sie ein Bustier, das etwas knapp bemessen scheint für ihren sehr üppigen Busen. Jens fragt nach einem Autogramm, sie unterschreibt auf dem Pulli.
Wer ist die Frau?
„Weiß ich jetzt gar nicht“, sagt Jens. „Wie heißt du?“
Die Frau heißt Daphne Dietz, jedenfalls nennt sie sich so. Sie ist 19 Jahre alt und hat vor einem Jahr angefangen, Pornos ins Netz zu laden. Ihre Videos tragen Titel wie „Mein aller erster NIPPEL-ORGASMUS mit 18!!!“ oder „Mein erstes Mal mit einer HAARBÜRSTE, mit 18!!!“
Jens sagt, mit dem Platinticket stiegen die Chancen, dass man bei einer der Stripshows auf die Bühne geholt werde. Einmal sei ihm das passiert, im vergangenen Jahr, „war ganz witzig“, erinnert er sich. „Aber auch ungewohnt, wenn dich auf einmal alle Leute anschauen und filmen.“
Früher war er mal mit seiner Ex-Freundin auf der Venus. Die habe das anfangs seltsam gefunden, sich dann aber darauf eingelassen. Momentan ist er Single. „Es wäre ein Problem“, sagt Jens, „wenn meine künftige Freundin ein Problem damit hätte.“
Auf der Venus werden alle Augen – und Smartphones – auf die nackten Darstellerinnen gerichtet
© Patrick Slesiona / stern
Der Venus Award ist wie der Oscar
Jens bezahlt das viele Geld für das Platinticket vor allem, weil er damit Zugang zum Venus Award erhält. Einmal im Jahr werden Darstellerinnen und Produzenten in verschiedenen Kategorien mit dem Preis ausgezeichnet. Jens sagt, das sei wie der Oscar, und da komme man ja auch nicht so einfach rein. Nur geladene Gäste – und die Käufer des Platintickets.
„Die Teilnahme am Venus Award lässt einen exklusiv wirken“, sagt Jens. „Feeling like a celebrity.“
Er geht weiter in die Halle mit der Hauptbühne, da läuft gerade eine Stripteaseshow. Rechts neben der Bühne ist ein Abteil reserviert für Goldticketinhaber, links das Abteil für Platinticketinhaber. Beide Bereiche bieten einen unverstellten Blick auf die Bühne. Aber nur für Platinkunden gibt es Sitzgelegenheiten.
Im Platinbereich sind zwei Männer. Einer davon ist Sven, der Venus-Neuling. Er sitzt auf einer weißen Ledercouch, allein, und die Hüllen fallen.