Beim Treffen des Unions-Nachwuchses wird der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gefeiert, als sei er längst Kanzler. Für Aufregung sorgt hingegen ein anderer Spitzenpolitiker.
Jens Spahn gab sich bescheiden. Eigentlich sei er ja nur die Vorband für Friedrich Merz, sagte er bei seinem Auftritt auf dem Jahrestreffen der Jungen Union in Halle (Saale). Riesenapplaus, Gelächter unter den Delegierten. Das sei er, fügte der Vizefraktionschef der Union dann eilig hinzu, aber sehr gern. Gefeiert wurde Spahn auf dem „Deutschlandtag“ der konservativen Jugend trotzdem wie ein Main-Act.
Hängen bleiben wird vom Nachwuchstreffen an diesem Wochenende aber nicht die eher behutsame Rede des Kanzlerkandidaten Merz. Sondern ein anderer Satz von Spahn.
Dieser hatte gleich zu Beginn seiner Rede am Samstagvormittag die Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD) in einem Atemzug mit dem NS-Kriegsverbrecher Hermann Göring genannt. „Es ist eine Schande, dass zum ersten Mal seit Hermann Göring möglicherweise wir im Deutschen Bundestag wieder tagen, diskutieren, und da sitzt jemand und präsidiert, der gegen Israel und gegen Juden hetzt, das ist inakzeptabel“, sagte Spahn. Özoğuz müsse zurücktreten.Miersch Herausforderungen. 18.50
SPD-Generalsekretär reagiert scharf auf Spahns NS-Vergleich
Spahn beklagte Judenhass auf deutschen Straßen und an deutschen Universitäten und sagte: „Und wir sehen es an höchster Stelle.“ Die Sozialdemokratin Özoğuz habe „nicht zum ersten Mal Hass und Hetze gegen Juden, Hass und Hetze gegen Israel in Social Media geteilt“. SPD und Grüne versuchten, schnell zur Tagesordnung überzugehen.
In der SPD reagierte man entsetzt auf Spahns Vergleich. Der neue SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagte dem stern: „Solche Nazi-Vergleiche richten sich selbst. Jens Spahn kann offensichtlich nur noch mit schrecklicher Demagogie auf sich aufmerksam machen.“ Es sei traurig, ergänzte Miersch, welchen Weg wichtige Repräsentanten der Union einschlagen würden.
Özoğuz hatte Mitte Oktober einen Beitrag auf Instagram geteilt, in dem Israel Apartheid und Kolonialismus vorgeworfen wurden. Auf einem Foto waren brennende Gegenstände zu sehen, darüber stand: „This is Zionism“ („Das ist Zionismus“). Özoğuz wurde danach Antisemitismus vorgeworfen sowie das Infragestellen des Existenzrechts Israels. Die Bundestagsvizepräsidentin distanzierte sich später von dem Posting.
Friedrich Merz führt die Partei seit genau 1000 Tagen
Friedrich Merz erwähnte Özoğuz bei seinem Auftritt in Halle am frühen Samstagnachmittag nicht. Von der Parteijugend wurde er empfangen, als sei er längst Kanzler. In riesigen Lettern stand das Wort auf der Leinwand hinter der Bühne, unterlegt mit schwarz-rot-goldenen Farben. Merz konnte an diesem Tag ein kleines Jubiläum feiern: Seit 1000 Tagen führt der 68-Jährige inzwischen die CDU.
Es waren 1000 Tage, in denen Merz durchaus zeigte, dass er das Zuspitzen, das Polemisieren und Verbildlichen ähnlich gut beherrscht wie Jens Spahn. Und dass er ebenfalls durchaus bereit ist, verbale Grenzen mitunter zu überschreiten.
Doch jetzt ist der Mann Kanzlerkandidat, muss anders auftreten als ein Fraktionsvize. Diese Vorsicht hörte man seiner Rede an. Fast behutsam, im Vergleich zu sonstigen Auftritten, gerieten die knapp 45 Minuten. Das hätte Olaf Scholz auch gekonnt.
Der CDU-Kanzlerkandidat bedient sich bei Ideen der SPD
Bermerkenswert war Merz‘ Lob für einen Sozialdemokraten: Wolfgang Clement, den ehemaligen Superminister für Wirtschaft und Arbeit. Der Kanzlerkandidat der Union führte ihn als Vorbild an, als Reformer. „Arbeitsmarktpolitik ist Wirtschaftspolitik und nicht Sozialpolitik“, sagt Merz. Nach einem möglichen Wahlsieg wolle er die beiden Ministerien deshalb wie einst unter Clement (und einem Kanzler Gerhard Schröder) zusammenlegen.
Der Rest ist rasch erzählt: Bürokratieabbau, Abschaffung des Bürgergeldes, Zurückweisungen an Grenzen, mehr Freude an Leistung. „Politik für die hart arbeitende Mitte“, sagte Merz in Halle. Auch das ist von den Sozialdemokraten entliehen: Seit Monaten versucht die SPD-Parteispitze mit diesem Satz zu erklären, dass sie wirklich, wirklich verstanden hätten, dass nun, nach Einführung des Bürgergeldes, wieder mal Politik für den arbeitenden Teil der Bevölkerung gemacht würde. Merz kann den Satz ohne diese Hypothek nutzen.
Merz will offene Flanke schließen
Beim „Deutschlandtag“ wollte Merz auch eine offene Flanke der Union schließen, selbst wenn das Thema – gerade hier, beim Parteinachwuchs – keine Jubelstürme auslöst: die Rente. „Wir brauchen ein gesetzliches Renteneintrittsalter. Und dieses gesetzliche Renteneintrittsalter sollte bei 67 bleiben“, versprach er. Der Unionsfraktionschef versicherte: „Nein, es wird keine Rentenkürzung in Deutschland geben.“ Merz tut das, weil sie in der Union die Falle erkannt haben, die die SPD aufstellt: Hier der Die-Rente-ist-sicher-Kanzler Scholz, dort Rentenkürzer Merz. Liebe Wähler, Sie haben die Wahl!STERN PAID 08_23 Interview Friedrich Merz 16.16
Handgestoppt: Es waren fünf Minuten und 19 Sekunden, die die jungen Delegierten ihrem Traumkanzler nach der Rede bejubelten. Er wurde in der Halle gefeiert wie ein Rockstar, einer im Rentenalter zwar, aber das sind die Rolling Stones schließlich auch schon längst. Und vielleicht ist es ja so: Für die Skandale sind in der Unionsband inzwischen Andere zuständig. Einer wie Spahn etwa. Der Kanzlerkandidat mag daneben etwas verblassen, aber den Rhythmus, den gibt er in diesen Tagen schon selbst vor.